Zwei Jungunternehmer gründeten Gewürzmanufaktur Ankerkraut in Wilhelmsburg. Es geht ihnen dabei vor allem darum, die Gewürze so ursprünglich wie möglich zu erhalten.

Hamburg. Die Tonka-Bohne ist groß wie ein Daumen, glänzt dunkelbraun und riecht nach bitterer Mandel und Marzipan. Der Kubeben-Pfeffer ist grob und rau – und wer ganz nah mit der Nase herangeht, bemerkt, dass er eine Note Menthol enthält. Dazu kommen Sternanis, Petersilie, Curry, Vanilleschoten. Und ein matt-schwarzes Salz von der Hawaii-Insel Molokai.

Die Gewürze, die Hauke Jacobsen und Stefan Lemcke nach und nach auf dem Edelstahltisch drapieren, vermischen sich so nicht nur zu einer optischen, sondern auch zu einer olfaktorisch bunten Melange, die schnell die kleine, sonst fast sterile Experimentierküche in Wilhelmsburg bis in die hinterste Ecke füllt. Für Laien riecht das mindestens interessant – und hat bei Profi Lemcke, der seit April den Großteil seiner Zeit hier verbringt, bereits Spuren hinterlassen. „Weil ich das jeden Tag rieche, ist mein Geschmackssinn schon ein wenig abgestumpft“, lacht er. „Die Schärfe vom Chili schmecke ich zum Beispiel nicht mehr so intensiv wie früher.“ Der 36-Jährige hat gemeinsam mit Jacobsen, 32, Anfang des Jahres eine eigene Gewürzmanufaktur eröffnet. Der Name: Ankerkraut. Zwar gibt es keine Pflanze, die diesen Namen trägt, aber die beiden Jungunternehmer wollten im Namen möglichst eine Verbindung ihrer Arbeit mit Hamburg herstellen. Also Ankerkraut. Das klingt nach Gewürzen und irgendwie maritim.

Jacobsen und Lemckes Geschäftsgründung passt in die Zeit. Längst wird heimisches Kochen nicht mehr nur durch Salz und Pfeffer dominiert, sondern durch immer mehr exotische Gewürze. Mittlerweile ist Deutschland neben den USA, Japan und Frankreich einer der größten Gewürzimporteure der Welt – und nach Europa kommen die meisten Gewürze über den Hamburger Hafen. „Frischer als hier bekommt man Gewürze also nicht“, sagt Lemcke. Dabei sind Pfeffer, Paprika, Ingwer, Koriander und Kümmel die gewichtsmäßig am meisten eingeführten Speisenverfeinerer. Im vergangenen Jahr haben die Deutschen mehr als 60.000 Tonnen Gewürze verbraucht.

Entstanden ist die Idee von Jacobsen und Lemcke allerdings nicht in Hamburg, wo im Mittelalter unter den hiesigen Gewürzhändlern das Bild der hanseatischen „Pfeffersäcke“ geprägt wurde, sondern beim Urlaub auf den Philippinen im September 2012. Jacobsen hatte sich nach seinem Job im Online-Marketing ein Jahr Auszeit genommen, um zu Reisen, Lemcke war noch selbstständiger IT-Berater tätig. „Das Essen in Südostasien schmeckte ganz toll, eben vor allem wegen der Gewürze“, erzählt Lemcke. „Und das waren nicht die abgepackten Portionsdosen aus dem Supermarkt, sondern ganz frische Kräuter oder besonderer Pfeffer. Wir haben uns gefragt, ob man das nicht auch zu Hause in Hamburg hinbekommen könnte.“ Nach langer Recherche, vielen Telefonaten und dem Zusammenkratzen der eigenen Ersparnisse wurde so aus der Urlaubsidee Anfang 2013 tatsächlich Ankerkraut.

Die Rohware wird ohne Maschinen geschält und auch sortiert

Es geht Jacobsen und Lemcke dabei vor allem darum, die Gewürze so ursprünglich wie möglich zu erhalten. Sie verwenden zwar elektrische Mühlen und Küchenwaagen, aber sonst keine Maschinen. Ihre Rohware holen sie am Hamburger Hafen von den Händlern ab, schälen und sortieren sie dann per Hand – selbst das Auskratzen der Vanilleschoten erledigen sie selbst. „Wir haben mit klassischen Pfeffersorten und Salzen angefangen, aber nur mit ganz kleinen Mengen, um zu testen, was schmeckt und was nicht“, erzählen sie. In ihrer kleinen Experimentierküche neben ihrem Büro sind sie so auch auf ihre selbst erfundenen Gewürzmischungen gekommen, die sie in kleinen Gläsern mit Korken verkaufen, etwa die „Neun Pfeffer Symphonie“ oder die „Marinade Hamburg“ aus edelsüßer Paprika, Zwiebeln, Knoblauch, Pfeffer, Meersalz, Roh-Rohrzucker, Senfpulver, Basilikum, geräucherter Paprika, Lorbeerblätter, Koriandersaat, Thymian und Kreuzkümmel.

Ganz leicht ist der Markteinstieg für die beiden Hamburger nicht. Im Supermarkt dominieren große Hersteller wie Fuchs oder Ostmann, immer mehr gibt es aber auch teurere Gewürzmischungen wie von Bio-Produzent Herbaria zu kaufen oder von Star-Köchen wie Jamie Oliver und Alfons Schuhbeck. Der Gewürzmarkt für Hobby-Köche wächst. Lemcke und Jacobsen wollen ihre Nische finden, indem sie ihre Mischungen kaum auf Lager, sondern immer frisch auf Bestellung anfertigen – ohne Geschmacksverstärker, Konservierungsmittel und Rieselhilfen. Damit es eben möglichst so schmeckt wie im Urlaub auf den Philippinen.

Jacobsen ist in Tansania aufgewachsen als Sohn eines Entwicklungshelfers

Ihr Gewürz-Know-how mussten sie dabei erst entwickeln. Während Jacobsen eher wenig Erfahrung hat, hat sich Lemcke schon früh für die Zubereitung von Essen begeistert. Als Sohn eines deutschen Entwicklungshelfers ist er im afrikanischen Tansania aufgewachsen. „Im Alter von fünf Jahren stand ich neben unserem pakistanischen Koch in der Küche und habe ihm zugeschaut, wie er seine Currys zubereitet hat“, erzählt er. Zwar hat er später auch mal für ein Jahr in einer Küche gearbeitet, den Koch-Beruf aber nie gelernt. „Genauso wenig, wie man beruflich lernen kann, wie man Gewürze paaren und vermischen kann“, sagt er.

Auf seinem Schreibtisch liegt ein Bücherstapel über Kräuter und Gewürze, hieraus zieht er seine Inspiration. Der Rest sei „learning by doing“ – und gerade jetzt am Anfang viel eigene Handarbeit in der kleinen Küche in Wilhelmsburg. Stefan Lemcke lacht und sagt: „An manchen Abenden tun uns ganz schön der Rücken und die Füße weh.“