Die Metrobuslinie 13 in Wilhelmsburg hat einen besonderen Ruf. Die Kulturanthropologin hat jetzt ein Buch über die Fahrgäste geschrieben.

Hamburg. Eine Afrikanerin mit kunstvoll geflochtenen Rastazöpfen und im grauen Business-Kostüm spricht geschäftig in ihr Handy. Offenbar gelangweilt sitzt ein Punk mit gesenktem Haupt auf der Bank am Busbahnhof Veddel neben ihr. Doch auch der müde wirkende Mann mit dem schlaff herunterhängenden Haar im Irokesen-Stil und einer Leopardenfell-Applikation auf der Jeansjacke ist beschäftigt. Mit Zeigefinger und Daumen rupft er sich zackig noch ein paar Haare aus der Nase, als der Bus der Linie 13 eintrifft.

Im Metrobus 13 prallen verschiedene ethnische, kulturelle und soziale Gruppen aufeinander. Auch das ist ein Grund dafür, dass die Wilhelmsburger diese Linie "wilde 13" nennen - nach dem bekannten Bilderbuch von Michael Ende. Ein Türke mit deutschem Schäferhund steht Bein an Bein mit einer russischen Großmutter, die Plastiktüten aus einem türkischen Gemüseladen trägt. Eine Szene, die Kerstin Schaefer beobachtet und in ihrem Feldforschungstagebuch festgehalten hat. Die 33-Jährige mit dem frechen Kurzhaarschnitt ist Kulturanthropologin und hat den Mikrokosmos der wichtigsten Buslinie auf der Elbinsel erforscht.

Die Stadtforscherin und gelernte Werbetexterin hat jetzt nach monatelangem Busfahren ihre Ergebnisse und Erlebnisse zu einem Buch verarbeitet, das am 2. September erscheint und in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg und Hafen entstanden ist. "Die wilde 13. Durch Raum und Zeit in Hamburg-Wilhelmsburg" lautet der Titel. Was die Fahrt in einem Linienbus wissenschaftlich alles hergibt, hat Kerstin Schaefer dem Abendblatt schon einmal vorab erzählt. Natürlich im Metrobus 13, in den 27 Minuten vom S-Bahnhof Veddel bis zur Endhaltestelle Kirchdorf-Süd.

+++ Wilhelmsburg +++

Kulturanthropologen sind Wissenschaftler, die Alltagskulturen erforschen. Sie beobachten die Fans des FC St. Pauli, fremde Südseevölker - oder eben das im Bus auf engstem Raum versammelte Elbinselvolk. Kerstin Schaefer hat für ihre Forschungen mit Kreuzchen auf einem Sitzplan markiert, wo welche Bevölkerungsgruppen im Bus bevorzugt Platz nehmen. Elf regelmäßige Fahrgäste und zwei Busfahrer auf der "wilden 13" hat sie ausführlich interviewt. Etwa Ruth aus Eimsbüttel, die als Ein-Euro-Jobberin in der Werkstatt der Arbeitslosen-Initiative Wilhelmsburg arbeitet. Oder die Architektin Sibylle, die bei der Internationalen Bauausstellung beschäftigt ist. Die Lieblingsbeschäftigung der meisten Fahrgäste ist, mit dem Handy zu telefonieren. Oder sie tagträumen. Die Interviewpartner der Wissenschaftlerin konnten sich zunächst nicht vorstellen, was sie überhaupt Interessantes berichten sollten. "Aber dann sprudelten sie los", sagt Kerstin Schaefer, "und es wurde deutlich, wie viel die Busfahrgäste im Unterbewusstsein wahrnehmen."

Innerlich regen sich Menschen in der "wilden 13" über Mitreisende auf, die "kaputt" aussehen, nach Schweiß und Alkohol riechen. Oft seien das Deutsche, sehr hellhäutig jedenfalls. Wilhelmsburg steht bei den meisten Menschen im übrigen Hamburg immer noch im Ruf, ein sozialer Brennpunkt zu sein. Diese Stigmatisierung ist bei Bewohnern und Besuchern fest in den Köpfen verankert, hat die Kulturanthropologin herausgefunden.

Doch das Bild der Elbinsel verändert sich. Sie ist Schauplatz eines ehrgeizigen Stadtentwicklungsprozesses. Internationale Bauausstellung, Internationale Gartenschau, Investitionen in Schulen, subventionierte Mieten für Studenten und gewaltiger Straßenbau verwandeln den Stadtteil - nicht immer zum Besten, wie zahlreiche Einwohner und Bürgerinitiativen meinen.

Nirgendwo lässt sich der Wandel auf der Elbinsel besser verfolgen als im Metrobus 13. Die Busfahrt sei den Menschen wichtig, sich über das Stadtbild zu informieren. "Fahrgäste haben sich deshalb beschwert, wenn auf die Busfenster geklebte Werbung die Sicht versperrt hat", sagt Kerstin Schaefer.

Im Metrobus 13 sieht man mehr Kinderwagen als anderswo in Hamburg - so jedenfalls der Eindruck vieler Fahrgäste. Und die Anzahl der Studenten im Stadtteil steigt deutlich. "Vom Bus aus sieht man sie bei Wohnungsbesichtigungen Schlange stehen", bestätigt Kerstin Schaefer. Beinahe alle Studenten, so hat sie beobachtet, würden im Reiherstiegviertel ein- oder aussteigen. Das ist das Quartier, das in den Medien bereits als das kommende Szeneviertel Hamburgs gehandelt wird.

Ob diese Prognose tatsächlich zutreffen wird, mag die Stadtforscherin nicht voraussagen. Kerstin Schaefer lebt seit fünf Jahren in Wilhelmsburg, siedelte aus dem beliebten Eimsbüttel auf die Elbinsel über. Die ausgebildete Werbetexterin ist auch Chefredakteurin der Kunst- und Musiksendung "Konspirative Küchenkonzerte", die früher von Tide und jetzt von ZDF.kultur ausgestrahlt wird. Sie promoviert zurzeit am Graduiertenkolleg "Kunst und Technik" der TU und erforscht das Unterwegssein im Flugzeug. Ihre Entscheidung für Wilhelmsburg hat sie nie bereut. "Ich bin glücklich hier", sagt sie überzeugt.

34,2 Prozent der Wilhelmsburger sind Migranten, das sind doppelt so viele wie im übrigen Hamburg. Die Fahrt im "wilden Bus" hilft da, Vorurteile abzubauen. Rentner, die ursprünglich Furcht vor Migranten hatten, hätten inzwischen die Erfahrung gemacht, dass junge Türken ihnen als Erste einen Sitzplatz anböten. An afrikanischen Kirchtagen fahren viel festlich gekleidete Schwarze mit dem Metrobus 13. Kleine Jungen in lila Anzügen und orangefarbenen Krawatten sind Kerstin Schaefer besonders in Erinnerung geblieben. In ihren Gesprächen hat Schaefer herausgefunden, dass die Afrikaner am schlechtesten integriert seien. Sie blieben auch im Bus unter sich, heißt es. Und auch das gibt es wohl nur in der "wilden 13": Der Busfahrer stoppt plötzlich jenseits der Haltstelle, steigt aus und greift die Tüten mit Fladenbrot, die ein bereits wartender türkischer Händler ihm entgegenstreckt. So kann man auch seine Einkäufe erledigen. Die Fahrgäste haben erst erstaunt geguckt - und dann gelacht.

Was ist Kerstin Schaefers persönlicher, magischer Moment in dem einzigartigen Bus? "Wenn Eltern ihren Kindern Geschichten vorlesen", sagt sie spontan, "und ich die Geschichte vom kleinen Drachen hören darf."

"Die wilde 13. Durch Raum und Zeit in Hamburg-Wilhelmsburg", Lesung mit der Autorin Kerstin Schaefer, Musik, Kaffee und Kuchen am kommenden Sonntag, 2. September, 16 Uhr, Stübenplatz