Die neue Nordwandhalle macht es Bergsteigern leicht. Seit dem Monat März gibt es das nach Betreiberangaben größte Kletterzentrum der Republik.

Hamburg. Kleine Knubbel, große Knubbel, rote, grüne, gelbe Knubbel - zusammengenommen macht das eine sehr hübsche, bunte "Wand-Akne". Mehr als 25.000 dieser farbenfrohen Beulen verleihen den hohen, grauen Mauern jedenfalls etwas Einladendes. Und die Sache folgt sogar einem System. Denn Jan Pieperhoff zeigt nicht grundlos auf eine schwarze Knubbellinie, die senkrecht nach oben verläuft und nach zwölf Metern endet. Die schwarzen Griffe und Tritte bilden eine harmlose Kletterroute für Anfänger "Probier das mal aus", sagt er. Dann zieht er das Sicherungsseil des Sitzgurts stramm. Es kann losgehen. Steil aufwärts. Immer an den Knubbeln entlang.

Ja, so ist das neuerdings auf dem Gelände der Internationalen Gartenschau (igs) 2013 in Wilhelmsburg. Schon ein Jahr vor der Eröffnung ruft der Berg. Oder besser: die Nordwand. Seit März erhebt sich im norddeutschen Tiefland das nach Betreiberangaben modernste und größte Kletterzentrum der Republik. 5,6 Millionen Euro teuer, 16 Meter hoch, 850 Quadratmeter groß - ein Koloss, den die Betreiber Nordwandhalle getauft haben. In der künftigen "Welt der Bewegung", einem der sieben Themenparks der Hamburger Gartenschau, kann man jetzt die Wand hochgehen. Leitthema rundherum ist passenderweise der Sport.

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"Geklettert wird aus den Beinen", sagt Jan Pieperhoff, der nicht nur passioniert in Wände steigt, sondern auch Sprecher der Nordwandhalle ist. Mit den Händen sollte man zwar primär Halt suchen, aber mit den Beinen drückt man das Körpergewicht nach oben. Also: vorsichtig tasten, festhalten, nächstes Gliedmaß nachziehen. Funktioniert sogar. Vorausgesetzt, man hat einen der Tritte erwischt.

Mehr oder weniger geschmeidig gilt es dann, an der Wand zu kleben. Denn merke: Je dichter der Körper an der Wand bleibt, desto weniger Kraft benötigt man. Zumal der wichtigste Muskel beim Klettern ohnehin ist das Gehirn ist, wie Ausnahme-Aufsteiger Wolfgang Güllich einmal sagte. Jeder Schritt, jeder Griff will wohldurchdacht sein. Klettern bedeutet nämlich auch, Probleme zu lösen. Wo ist der nächste Knubbel? Und vor allem: Wie geht's danach weiter? Reicht die Spannweite? Wohin mit dem linken Fuß?

Ganz zu schweigen von der Höhe. Zehn Meter über dem Hallenboden an einem Griff zu hängen erscheint mitunter auch problematisch. Doch Höhenangst ist fehl am Platz. In der Nordwandhalle sichert immer ein Partner über Topropes (Seilrollen an der Hallendecke) den Kletternden. Vertrauen. Loslassen können. Einem Partner sein Leben überlassen. Klettern ist nicht nur ein schöner Ausgleichssport, es ist auch Interpretationssache.

Wer es selbst versucht, stellt fest, dass Klettern langsam, ästhetisch und für die Muskulatur wirkungsvoll ist. Jedenfalls haben die Menschen, die regelmäßig in der Nordwandhalle klettern und Besucher betreuen, wohldefinierte Arme und Beine. Einsteiger dagegen müssen auf den Übungsrouten nicht mal ins Schwitzen geraten. In bequemer Jeans klettern? Kein Problem.

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Dabei besitzt die neue Kletterhalle mehr als nur steil aufragende Wände mit brutal schwierigen Überhängen. Der mit weichen Matten ausgelegte Boulderbereich etwa, in dem eher in die Breite als in die Höhe gestiegen wird, ist ein Spielplatz für jedermann. "Bouldern, das Klettern in Absprunghöhe, ist inzwischen mindestens ebenso gefragt wie das Klettern in der Wand", sagt Jan Pieperhoff. Zudem können sich Bergsteigerfreunde (und jene, die es noch werden wollen) im gerade eröffneten Außenbereich probieren. Zur neuen Halle gehören außerdem eine Terrasse, das Restaurant Refugium und ein Shop mit Bergsteiger-Equipment.

Viel Glas, viel Platz, viel Licht - die Halle dürfte sich in die künftige Architekturlandschaft von Internationaler Bauausstellung (IBA) und igs problemlos einfügen. Entdecken kann sie eigentlich jeder. Kleinkinder und Senioren ebenso wie Sofaliebhaber und grundsätzlich Sportliche. Die Ausrüstung, etwa Kletterschuhe (immer eine Nummer kleiner, damit man den Druck an der Wand spürt), steht zum Leihen bereit. Die Herausforderung sucht sich jeder selbst. Es gibt Routen für Unbedarfte, Einsteiger, Halbeinsteiger und Fortgeschrittene. Und weil es mehr auf Koordination, Technik und Taktik ankommt als auf schiere Kraft, müssen Menschen mit Spaghetti-Ärmchen nicht in Ehrfurcht erstarren.

Fünf Minuten von der S-Bahn-Station Wilhelmsburg sind die Geschäftsführer-Geschwister Katrin Erenyi und Jost Hüttenhain das Wagnis einer Kletterhalle eingegangen. In Hamburg gibt es inzwischen vier ähnliche Angebote, in Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen etwa 20. Eine reguläre Tageskarte in der Nordwandhalle kostet für Erwachsene 15,50 Euro, für Jugendliche von 14 bis 18 Jahren 7,50 Euro. Kinder bis 13 Jahre haben freien Eintritt. Studenten-, Schnupper-, Kinder und andere Extraangebote werden jede Woche angeboten. Eine zweite große Halle ist das Kletterzentrum des Deutschen Alpenvereins (DAV) an der Döhrnstraße. Dort kostet der Eintritt für Nichtmitglieder 14,50 Euro. Wer jünger als 18 Jahre ist, zahlt 9 Euro.