Dem Reiherstiegviertel drohen steigende Mieten und die Verdrängung alteingesessener Bewohner. Senatorin Jutta Blankau will gegensteuern.

Hamburg. Endlich Sommer. Während viele Hamburgerinnen und Hamburger ihren Urlaub genießen, tourt Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD) durch die Stadt. Manchmal sei es gut, die Dinge, von denen sie in Akten lese, mit eigenen Augen anzuschauen. Gestern, vor dem nächsten Termin, stellte sie sich dem Interview.

Hamburger Abendblatt: Hamburg zählt wieder 1,8 Millionen Einwohner. Freut das die Stadtentwicklungssenatorin?
Jutta Blankau: Als Hamburgerin finde ich das gut. In den 1970er- und 80er-Jahren gingen die Zahlen zurück - als Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung. Jetzt hat sich der Wind gedreht und Metropolen wachsen.

Was spricht für Hamburg?
Blankau: Die Lage am Wasser, das viele Grün und: Hamburg bietet Arbeitsplätze, was für Berufseinsteiger wichtig ist. Unternehmen interessieren sich für den Standort Hamburg, weil hier junge und qualifizierte Menschen leben.

Was ist wichtiger: zwei Millionen Einwohner oder qualifiziertes Wachstum?
Blankau: Mir ist wichtig, dass Hamburg jung bleibt. Was die Alterung unserer Gesellschaft angeht, so genießen wir zwar eine gewisse Schonfrist, weil in den vergangenen Jahren sich sehr viele junge Menschen in Hamburg angesiedelt haben. Aber auch Hamburg wird älter werden und wir müssen auf die Mischung von Alt und Jung achten. Mit anderen Worten: Wir müssen für junge Menschen attraktiv bleiben.

Wie wollen Sie das erreichen?
Blankau: Dadurch, dass wir ausreichend Kindergartenplätze, gute Schulen und attraktive Hochschulen anbieten. Hinzu kommt, Unternehmen die Ansiedlung in der Stadt zu erleichtern. Es geht dabei in erster Linie um attraktive Arbeitsplätze, wie sie die Luft- und Raumfahrtindustrie um Airbus, die regenerativen Energien oder der Hafen bieten.

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Wenn junge Menschen nach Hamburg kommen, suchen sie nach bezahlbarem Wohnraum. Was tut die Stadt dafür?
Blankau: Wir sorgen dafür, dass jedes Jahr 6000 Wohnungen gebaut werden, von denen ein Drittel bezahlbar sein wird. In diesem Jahr stehen dafür Fördermittel in Höhe von 100 Millionen Euro bereit. Das Wichtigste war jedoch, dass wir mit dem "Bündnis für das Wohnen" einen Dialog mit der Wohnungswirtschaft in Gang gebracht haben. Am Tisch sitzen Wohnungsgenossenschaften, private Bauherren, der Grundeigentümerverband, die städtische Wohnungsgesellschaft Saga GWG und die beiden Hamburger Mietervereine.

Worüber reden Sie?
Blankau: Darüber, welche Rahmenbedingungen nötig sind, um Wohnungen zu bauen. Der zweite Förderweg, den es seit Beginn dieses Jahres gibt, ist auf Hinweis der Genossenschaften hin entwickelt worden. Die Genossenschaften haben vermehrt wohlhabendere Mitglieder, die größere Wohnungen nachfragen. Wir fördern jetzt klassischen sozialen Wohnungsbau und Angebote für Schwellenhaushalte, bei denen die Miete bis zu acht Euro pro Quadratmeter betragen darf.

Dialog ist das eine. Die Menschen draußen aber wollen Wohnungen. Und wenn es geht, möglichst rasch.
Blankau: Es ist ein Fehler gewesen, dass das städtische Wohnungsunternehmen Saga GWG in den vergangenen Jahren wegen fehlender staatlicher Förderung keine neuen Sozialwohnungen bauen konnte. In der Folge wurden dort die entsprechenden Planungskapazitäten abgebaut. Das Umswitchen ist nicht einfach. Aber es ist auch klar, dass wir in diesem Punkt Druck machen. Die Saga GWG wird pro Jahr 1000 Sozialwohnungen bauen.

Kritiker sagen, dass 1000 Sozialwohnungen kaum reichen, die Wohnungen zu ersetzen, die aus der Sozialbindung fallen.
Blankau: Wie gesagt, wir versuchen einen Ausgleich. Aber eines steht auch fest: Eine Wohnung, die aus der Sozialbindung herausfällt, bleibt auf lange Zeit eine Wohnung mit bezahlbarer Miete. Unsere Gesetze lassen nicht zu, dass Mieten innerhalb kurzer Zeit in riesigen Sprüngen steigt. Mal ganz abgesehen davon, dass Wohlhabende in den seltensten Fällen in eine frühere Sozialwohnung einziehen wollen.

Hamburg hat nur in angesagten Vierteln ein Problem mit günstigen Wohnungen?
Blankau: Lassen sie mich diplomatisch antworten: Wir haben eine angespannte Situation, was bezahlbaren Wohnraum angeht. Ob dazu ein Reihenhaus mit einer Warmmiete von 700 Euro gehört, da habe ich meine Zweifel. Zugleich müssen wir Stadtteile, die derzeit nicht im Fokus der Wohnungssuchenden liegen, besser bewerben. Horn oder Hamm liegen vom Stadtzentrum genauso weit entfernt wie Ottensen.

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Welche weiteren Stadtteile werden aus Ihrer Sicht unterschätzt.
Blankau: Da fällt mir Barmbek ein. Das ist ein tolles Quartier am Stadtpark. Ich will gar nicht erst von Harburg und Wilhelmsburg anfangen, wo es wunderschöne Ecken gibt, den Reiherstieg zum Beispiel. Sie sind schnell an der Elbe, die Harburger Berge liegen nur einen Katzensprung entfernt. Alle diese Stadtteile zeichnet zudem ihre gute Anbindung durch den öffentlichen Personen- und Nahverkehr aus.

Marketing allein wird nicht reichen. Was tut die Stadt konkret, Wohnungssuchenden den Weg in den Süden zu erleichtern?
Blankau: Die Saga GWG saniert in Wilhelmsburg und Harburg verstärkt Gebäude. Der Reiherstieg beispielsweise zieht vorrangig Studenten an. Dann sanieren und errichten Saga GWG in den Stadtteilen Schulen. Zu guter Letzt wird in der Mitte Harburgs gebaut.

Gibt es noch Möglichkeiten, innerstädtisch zu verdichten?
Blankau: In den citynahen Stadtteilen wird das schwieriger. Aber ich glaube, dass dreigeschossige Häuser auf bis zu sechs Etagen aufgestockt werden können. Die beliebten Gründerzeithäuser haben oft fünf oder sechs Geschosse.

In jüngster Zeit mehren sich die Proteste gegen die Folgen von Gentrifizierung. Wie wollen Sie verhindern, dass angestammte Einwohner vertrieben werden?
Blankau: Indem wir Rahmenbedingungen schaffen, die eine soziale Mischung gewährleisten. Ich setze dabei auf öffentlich geförderten Wohnraum und auf soziale Erhaltensverordnungen.

Ist auch Wilhelmsburg gefährdet?
Blankau: Ja. Das Reiherstiegviertel steht jetzt schon vor der Gentrifizierung - da werden wir gegensteuern.

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Sind Ergebnisse von Gentrifizierung in einigen Stadtteilen wie St. Georg wirklich noch zu ändern?
Blankau: Zurückdrehen kann man nichts und in St. Georg ist es möglicherweise zu spät. Aber wir können den Prozess entschleunigen. Auf St. Pauli sind wir dabei auf einem guten Weg, in Eimsbüttel und im Schanzenviertel ebenso. Auch in Hamburg-Nord passen wir auf. Wir werden keine Gebiete aufgeben. Sicher: bei einigen ist es schwierig, bei anderen nicht. Aber der Ehrgeiz ist da, die gemischte Bewohnerstruktur zu erhalten - vor allem in allen innerstädtischen Gebieten.

Wie soll das gehen?
Blankau: Mithilfe von städtebaulichen Verträgen. Bei städtischen Grundstücken nutzen wir über die Ausschreibung die Möglichkeit, den Bau von Sozialwohnungen festzulegen. Bei privaten Flächen ist es dann möglich, wenn das Planrecht geändert werden soll. Also: Wenn jemand auf einem ehemaligen Gewerbegrundstück Wohnungen bauen will, kann der Bezirk mit ihm einen städtebaulichen Vertrag schließen und sozialen Wohnungsbau vorschreiben.