70 Jugendliche aus dem Stadtteil Billstedt tanzen regelmäßig. Jetzt soll die Schule, in der sie üben, abgerissen werden. Zukunft des Projekts ungewiss.

Hamburg. Mit den Kindern aus dem Sonnenland, Billstedts verrufenster Gegend, hat alles angefangen. Ihnen wollte Nadine Tobien eine Alternative bieten zum tristen Alltag und zum Herumlungern auf der Straße. Also gab sie dort, im Jugendbereich des Stadtteilzentrums, Hip-Hop-Unterricht. Das verbreitete sich wie ein Lauffeuer. In Windeseile waren erst 20, ein Jahr später 50 Kinder mit dabei. Geübt wurde in fünf Gruppen vor ausrangierten Spiegelschranktüren.

Das Stadtteilprojekt Sonnenland zahlte der Tanzlehrerin ein kleines Honorar. Für die zahlreichen Auftritte bei Straßenfesten und HipHop-Wettbewerben nahm sie nichts. Damit sie über die Runden kam, arbeitete sie in zwei Jobs. "Die Kinder liegen mir am Herzen", sagt die 23-Jährige mit den blonden Locken. "Ich kann sie doch nicht auf der Straße stehen lassen."

Mittlerweile ist aus dem Tanzprojekt die "Dream Dance Factory Billstedt" geworden, mit 70 Kindern und Jugendlichen im Alter ab sechs bis 23 Jahre. Weil im Sonnenland nicht ausreichend Platz für sie ist, trainieren sie nun seit Dezember 2011 an vier Tagen in der Woche in der Aula einer verlassenen Schule am Oststeinbeker Weg. Organisiert hat das der Verein BilleKidz, der Nadine Tobiens Projekt unter seine Fittiche genommen hat. "2010 hatte ich die Idee zu einem Hip-Hop-Musical und habe fast ein Jahr lang einen Sponsor dafür gesucht", erinnert sich die Tanzlehrerin. "Als ich den Leuten von BilleKidz davon erzählte, haben sie mirsofort ihre Unterstützung angeboten." Sie griff begeistert zu.

+++ Klassik trifft HipHop: Hier tanzt die Musik +++

+++ Stadtteilserie Billstedt +++

"Das Tanzen gibt den Kindern und Jugendlichen aus diesem benachteiligten Stadtteil eine Menge Selbstvertrauen", sagt Christine Krebs vom Verein BilleKidz. "Sie werden teamfähig, lernen Disziplin und übernehmen Verantwortung."

BilleKidz ist vor zwei Jahren aus der Jugendarbeit der Evangelisch-Freikirchlichen (Baptisten-)Gemeinde Billstedt hervorgegangen, der "Kirche ohne Turm". Sich um die Probleme aller Jugendlichen im Stadtteil zu kümmern, unabhängig von deren Religion, hatte den Rahmen der Kirchenarbeit gesprengt. Also wurde der Verein gegründet und von der Kirche abgekoppelt. Er bietet verschiedene Projekte an: Hausaufgabenhilfe, Coaching für Schüler und Azubis, Sportveranstaltungen und Feiern. Die meisten Jugendlichen aber werden mit der Dream Dance Factory erreicht. Sogar Schulverweigerer seien hier aufgefangen worden und hätten wieder Zugang zum Lernen gefunden, sagt Christine Krebs. Ende Februar wurde in der Aula das Musical "Dream" aufgeführt. Mit einem Riesenerfolg: An drei Vorstellungsterminen kamen 900 Besucher. Für die Zeit nach den Sommerferien haben sich 30 weitere Teilnehmer bei Nadine Tobien angemeldet.

Doch jetzt ist die Zukunft ihres Hip-Hop-Projekts ungewiss. Das Schulgelände soll verkauft und mit Wohnhäusern bebaut werden. Ende Juli läuft der Mietvertrag für die Aula, der mit der Schulbehörde geschlossen wurde, aus. Möglichkeiten zum Ausweichen gibt es nicht, große Räume in erreichbarerNähe fehlen.

"Schon in den letzten Monaten hatten wir wegen der zeitlich befristeten Mietverträge Probleme, zu planen", sagt Nadine Tobien. Sie habe sogar mit den jungen Tänzern, die teilweise auch aus Hamm, Wilhelmsburg und Horn kommen, schon vor verschlossener Tür gestanden. Für die Jugendlichen sei es ein erheblicher Verlust, weil das Tanzprojekt für viele die einzige Möglichkeit sei, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten.

Wie es nach dem 31. Juli weitergehen soll oder gar, wenn die Aula verkauft und abgerissen wird, weiß niemand. Die "Kirche ohne Turm" möchte die Schulhalle gerne kaufen und als Gemeindesaal nutzen - und auch für die Jugendarbeit zur Verfügung stellen. "Wir hoffen, dass uns mit Unterstützung des Bezirksamts Hamburg-Mitte eine längerfristige Nutzungsmöglichkeit gegeben wird", sagt ChristophGüra, Vorstandsvorsitzender von BilleKidz, der sich um ein Gespräch mit dem neuen Bezirksamtsleiter Andy Grote bemühen will. Außerdem hofft er, dass der Mietvertrag ein weiteres Mal verlängert wird.

"Solange der Standort nicht veräußert ist, können die Proben dort stattfinden. Der Mietvertrag würde dann jeweils um einen kurzen Zeitraum verlängert werden", sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Das Bezirksamt, das sich bei der Schulbehörde schon für eine Nutzung der Aula durch BilleKidz eingesetzt hatte, prüft in seinen Bebauungsplänen einen möglichen Erhalt der Aula. Zudem hat man Nadine Tobien und ihren Tänzern zwei weitere Aulen für die Proben angeboten. Doch: "Der Weg ist zu weit", sagt die Hip-Hop-Lehrerin. Die wenigsten ihrer Schüler hätten Monatskarten, viele Eltern würden das weitere Trainieren dann verbieten. "Wir würden unsere Kinder verlieren."