Fünf Meter hohe Wand schützt Ausstellung vor dem Krach der Bahn - auf der Anwohnerseite sind es nur 1,5 Meter. Wilhelmsburger protestieren.

Hamburg. Verschwörerisch sieht der Mann mit der grünen Outdoorjacke, dem schlichten Brillengestell aus Metall und der Durchschnitts-Kurzhaarfrisur den ihm recht ähnlich sehenden Jungen im Jugendalter an. Dann zieht er schnell einen Aufkleber aus seiner Tasche und bringt ihn an einen Laternenpfahl an. Fertig. Nichts wie weg. Manfred Mustermann rebelliert. "Keine Autobahn durch Hamburgs Mitte", steht nun auf dem Pfahl vor dem Hamburger Rathaus. Ein Stück weiter demonstrieren gut 60 Menschen für dasselbe Ziel. Zumindest in der Konsequenz, denn heute geht es erst einmal um Lärmschutz. "Das ist nur der Auftakt", sagt Jochen Klein von der Bürgerbewegung Engagierte Wilhelmsburger. "Es gibt noch viele weitere Aspekte bei diesem Thema. Und wenn wir gleich gegen alles protestieren würden, ständen wir hier Stunden."

Diese Protestaktion vergangenen Sonnabend fand zwar mitten im Stadtzentrum statt, geografisch geht es aber um ein Problem südlich der Elbe. Die Internationale Gartenschau (igs) liegt unmittelbar an der stark frequentierten Bahntrasse, die Wilhelmsburg in Nord-Süd-Richtung durchschneidet. Der Lärm ist beträchtlich. Damit die Besucher davon möglichst ungestört bleiben, wurde jetzt an der westlichen Trassenseite eine fünf Meter hohe Schallschutzwand errichtet.

Auf der anderen Trassenseite steht seit dem S-Bahn-Bau 1979 auch eine Lärmschutzwand. Sie ist nur - damals übliche - 1,50 Meter hoch. Das Dröhnen und Pfeifen der Züge wird davon kaum zurückgehalten. Es wird sogar noch verstärkt, reflektiert durch die Fünf-Meter-Wand. Diesen Lärm bekommen die Bewohner im großen Siedlungsgebiet östlich der Bahntrasse ab. "Anscheinend ist man der Meinung, bei uns kommt es auf ein bisschen Lärm mehr oder weniger auch nicht mehr an", sagt Jochen Klein. Einen Änderungsvorschlag seitens der Stadt, auch für die Menschen einen höheren Lärmschutz zu bauen, gibt es nicht.

+++ Die neue Wilhelmsburger Reichsstraße +++

+++ Neue Parkplätze statt Platz für Tiere +++

+++ Politik wie die Axt im Walde +++

Aber es geht nicht nur um die Wand. Eine ganze Reihe von Wilhelmsburgern kämpft gegen den Plan, die Schnellstraße 200 Meter weiter östlich, direkt neben die Trassen von S- und Fernbahn zu verlegen. Die Idee, sie mit der Bahntrasse zusammenzulegen, wurde bereits 2008 vom schwarz-grünen Vorgängersenat mit der Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL) vorgestellt. Eigentlich sollten die Arbeiten bis 2013 zum Start der Internationalen Gartenschau (igs) beendet sein. "Das war in Anbetracht der Zeit illusorisch", sagt Jochen Klein. Trotzdem wird das Vorhaben jetzt konkretisiert - Ende April soll es einen sogenannten Erörterungstermin geben. Dieser schließt den Teil des Planfeststellungsverfahrens ab, in dem die Wilhelmsburger ihre Einwände gegen den Straßenumbau vorbringen konnten.

Vonseiten der Politik sind der Ausbau und die Verlegung beschlossene Sache, aus ihrer Sicht ist die Wilhelmsburger Reichsstraße als dritte Verkehrsachse in Nord-Süd-Richtung unentbehrlich. Mit 14 Metern ist sie für das mittlerweile hohe Verkehrsaufkommen jedoch zu schmal, nicht sicher genug und außerdem sanierungsbedürftig. "Wir hätten die Straße nicht im Bestand erweitern und instand setzen können", sagt Michael Osterburg (GAL), Fraktionsvorsitzender von Hamburg-Mitte. Bei einer Bündelung von Straße und Bahntrasse könne zudem die verkehrsbedingte Lärmbelastung durch entsprechende Schallschutzmaßnahmen erheblich reduziert werden. Zusätzlich soll eine Verlegung der Straße die zerschneidende Wirkung der Elbinsel aufheben und Flächen freigeben, auf denen bis zu 6000 Wohnungen gebaut werden könnten.

Die Anwohner jedoch finden, dass eine Zusammenlegung von Schnellstraße und Bahngleisen die Zerschneidung der Elbinsel verfestige, anstatt sie aufzuheben. Denn etwa die Hälfte der angestammten Bewohner Wilhelmsburgs ist von igs-Park, Schwimmbad, Sporthalle und anderen Errungenschaften in der neuen Wilhelmsburger Mitte durch die dann fast 100 Meter breite Straßen- und Bahntrasse getrennt. "Auf einer Länge von fünf Kilometern wird sie nur fünf Übergänge bieten", sagt Klein.

Michael Rothschuh von dem Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg hat zudem größte Sicherheitsbedenken. "Nirgendwo sonst werden eine dicht befahrene Straße und eine Bahnmagistrale, auf der sämtlicher Nord-Süd-Verkehr verläuft, so eng zusammengelegt", so Rothschuh. "Das führt zu extremen Sicherheitsproblemen, für die an allen vergleichbaren Doppeltrassen von Bahn und Straße Sicherheitsabstände, Schutzwälle und Rettungswälle gebaut werden." Bei der neuen Wilhelmsburger Reichsstraße seien Straße und Trassen lediglich durch Lärmschutzwände getrennt. Hier donnerten jedoch zahlreiche Züge und S-Bahnen mit 100 bis 160 Kilometern pro Stunde durch, zudem würden auf Straßen und Schienen viele Gefahrgüter transportiert.

"Von möglichen Unfällen könnten Tausende von Menschen betroffen sein", gibt Rothschuh zu bedenken. Eine zufriedenstellende und sichere Lösung könne nur gefunden werden, wenn tatsächlich der vom Senat angekündigte "regionale Charakter" der Wilhelmsburger Reichsstraße hergestellt werde. "Dafür muss aber die Breite reduziert und die Höchstgeschwindigkeit auf 50 Kilometern pro Stunde festgelegt werden", fordert Rothschuh. Auf das Risiko angesprochen, heißt es aus der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation: "Die Verlegung der Straße an die Bahntrasse bietet die Chance, aktuelle Sicherheitsstandards umzusetzen. Die Planungen dafür entsprechen dem Regelwerk."

Eine ganz andere Idee, nämlich die Wilhelmsburger Reichsstraße mehrere Hundert Meter nach Westen zu verlegen, hat Uli Hellweg Chef der Internationalen Bauausstellung (IBA), die 2013 in Wilhelmsburg stattfindet. "Wir halten es immer noch für sinnvoll, eine westliche Umfahrung voranzutreiben und die dortigen Verkehrswege zu verbessern." Entscheidend sei jedoch, dass die Hafenverkehre nicht mitten durch Wilhelmsburg geführt würden.