Ladenmiete steigt um 200 Prozent. Mit Buchhandlung Wohlers wird weiteres Traditionsgeschäft verdrängt. Morgen Demonstration.

Hamburg. Sie wird in dritter Generation geführt, hat Krieg, Wirtschaftskrisen und Internetkonkurrenz getrotzt - jetzt bricht ihr die "Yuppisierung" von St. Georg das Genick. Ende des Jahres muss die Buchhandlung Wohlers an der Langen Reihe schließen, nach 79 Jahren im Stadtteil. Inhaber Jürgen Wohlers kann die Miete , die Hausbesitzer Frank Jendrusch beinahe verdreifacht hat, nicht mehr zahlen. "4100 Euro statt 1400 Euro - das kriege ich nicht hin", sagt der Buchhändler. Ebenso geschockt wie von der Miethöhe war er von der Tatsache, dass jetzt der Keller als Verkaufsfläche zählt.

Dass mit Dr. R. Wohlers & Co. nach dem Kräuterhaus und dem Modell & Hobby-Laden ein weiteres Traditionsgeschäft an der Langen Reihe schließen muss, bringt die Bewohner St. Georgs auf die Palme. "Im Stadtteil brodelt es", sagt Michael Joho, Vorsitzender des Einwohnervereins. Der Zorn eint Institutionen, die sonst nicht einer Meinung sind: Johos Einwohnerverein, der gegen jede Form der Gentrifizierung ist, den Bürgerverein, der nichts gegen Veränderung, aber etwas gegen maßlose Mieterhöhungen hat, den Stadtteilbeirat, der gerade eine Anwohnerinitiative gegen ein Neubauvorhaben gegründet hat, und Bewohner wie Karl-Heinz Ramke, der in St. Georg viele Immobilien besitzt und sich daher für den Stadtteil verantwortlich fühlt.

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+++ Auf der Langen Reihe gibt es Ärger auf ganzer Linie +++

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"Dass sich eine Straße im Laufe der Zeit verändert, ist normal", sagt Helmut Voigtland, Jurist und Vorsitzender des Bürgervereins. "Doch eine Mietensteigerung um 200 Prozent wie im Falle der Buchhandlung ist unanständig." Mittlerweile werde in St. Georg eine Miete von 30 Euro pro Quadratmeter verlangt - das könnten nur Ladenketten, nicht aber Einzelhändler bezahlen. "Mietentwicklung muss man mit Augenmaß betreiben", sagt Ramke, Seniorchef der Immobiliengesellschaft Haueisen. "Wir brauchen in St. Georg eine Solidargemeinschaft aus Vermietern, Eigentümern und Bewohnern, die Verantwortung für den Stadtteil übernimmt." Das gelte nicht nur für die Festlegung von Mieten, sondern auch für die Einkaufsgewohnheiten der Bürger: So hätten auf der Langen Reihe auch Geschäfte aufgeben müssen, weil nicht genug Kundschaft kam.

Ursache dafür, dass die Mieten für Kräuterhaus und Wohlers angehoben werden konnten, war eine Frist zur Mietvertragsverlängerung, die die Mieter versäumt hatten. "Als cleverer Immobilienwirt hat der Besitzer das natürlich sofort erkannt", sagt Voigtland. Der Chef des Bürgervereins appelliert in einem offenen Brief an Jendrusch, der sein Büro am Hansaplatz hat: "Stellen Sie sich der sozialen Verantwortung gegenüber Ihren Mietern, gegenüber der Langen Reihe und Ihrem Stadtteil St. Georg. Geben Sie Ihren Mietern eine faire Chance hierzubleiben."

Der Ärger von Michael Joho vom Einwohnerverein richtet sich nicht nur gegen Immobilienbesitzer, deren Mietforderungen die Geschäftsinhaber verdrängen, sondern auch gegen den Bezirk Hamburg-Mitte, der das Viertel zu "einer Visitenkarte der Stadt machen möchte", wie der Historiker beklagt. Statt bezahlbarer Mietwohnungen entstünden immer mehr Eigentumswohnungen, Cafés und teure Modeläden.

"St. Georg droht sein Gesicht zu verlieren", befürchtet auch Falko Droßmann, SPD-Fraktionsvorsitzender von Hamburg-Mitte. Die Möglichkeiten seitens des Bezirks, einzugreifen, seien jedoch beschränkt. Zwar habe man durch die soziale Erhaltensverordnung Einfluss auf Modernisierungen, Nutzungsänderungen und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen - doch das gelte nicht für den gewerblichen Bereich. Zum Steindamm hin gebe es noch eine enorme Vielfalt, problematisch sei dagegen der zur Alster gelegene Teil.

Die Schriftstellerin Peggy Parnass, die seit 40 Jahren an der Langen Reihe wohnt, hat das kommen sehen. "Ich habe schon vor 25 Jahren geschrieben, dass Pöseldorf seine lackierte Kralle nach uns ausstreckt", sagt sie. Je mehr Menschen und Geschäfte verdrängt würden, desto teurer werde das Viertel natürlich. "Man kann es aber nicht Schickimicki nennen, da Charme und Eleganz fehlen."

Ebenso wie zahlreiche andere aufgebrachte Bewohner des Stadtteils wird sie am Mittwoch an einem Protestmarsch teilnehmen. Er beginnt um 18 Uhr vor der Buchhandlung Wohlers und endet am Hansaplatz. "Jeder Teilnehmer sollte ein Buch mitbringen, das wir vor dem Immobilienbüro von Herrn Jendrusch niederlegen werden", sagt Initiator Michael Joho. Auch der Bürgerverein plant, Immobilienunternehmer Jendrusch gezielt anzusprechen: mit Plakaten, auf denen er darum gebeten wird, dass die Buchhandlung Wohlers bleiben kann. Ob und wie Jendrusch darauf reagieren wird, ist ungewiss. Gegenüber dem Abendblatt wollte er keine Stellungnahme abgeben.

+++ Mietenspiegel +++

Auch an anderer Stelle in St. Georg formiert sich Widerstand - und zwar gegen die Bebauung eines Grundstücks zwischen den Adressen An der Alster 42 und Koppel 43/45. Dort plant der Besitzer, das Versicherungsunternehmen Allianz, mit Zustimmung des Bezirksamts den Neubau eines Bürokomplexes (zur Alster hin) und zahlreicher Eigentumswohnungen (an der Koppel).

Eine Anwohner-Initiative kritisiert, dass für das Vorhaben mehr als 20 Bäume gefällt werden müssen. Außerdem fürchten sie, dass durch eine Aufwertung des Wohngebiets die Mieten steigen und es zu Lärmbelästigung und Verschattung kommt. "Das Gebäude an der Alster wird fast fünf Meter höher als der jetzige Bürobau", sagt Michael Schwarz vom Stadtteilbeirat St. Georg. "Es wird den denkmalgeschützten CVJM nebenan optisch noch mehr als bisher erschlagen und die Alstersilhouette verändern." Schwarz und seine Mitstreiter, darunter der Stadtplaner Peter Zander, fordern, dass statt Büros an der Alster öffentlich geförderte Wohnungen entstehen. Allianz-Sprecherin Melanie Epp deutet an, sich mit den Bedenken auseinandersetzen zu wollen.