Hamburg. Prof. Andreas de Weerth vom Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg über die besondere Therapie von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.

„Wer an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa leidet, entwickelt eine unglaubliche Kompetenz“, sagt Prof. Dr. Andreas de Weerth. „Ich kenne den Körper ja gar nicht so gut wie der Patient selbst. Jemand, der seit 20 Jahren krank ist, weiß genau, wann ein Schub kommt und wann er nicht mehr zur Arbeit gehen kann.“ Der Chefarzt für Innere Medizin und Gastroenterologie und ärztliche Direktor des Agaplesion Diakonieklinikums Hamburg in Eimsbüttel ist Experte für chronisch entzündliche Darmerkrankungen (kurz CED).

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen äußern sich sehr unterschiedlich und sind deswegen nicht leicht zu diagnostizieren. „Man merkt das schon daran, dass die Patienten oft relativ spät zu mir kommen”, sagt Prof. de Weerth. „Sie haben zum Teil schon mehrere Jahre Symptome wie Bauchschmerzen, ab und zu Fieber oder Appetitlosigkeit, aber erst, wenn die Patienten richtig krank werden und ein Gewichtsverlust hinzukommt, kommen sie in die Klinik.“

Krankenhaus Hamburg: Facharzt für Gastroenterologie über diffuse Symptome

Aus großen internationalen Studien wisse man, dass die Zeitspanne zwischen Symptombeginn bis zur letztendlichen Diagnose bei ein bis zwei Jahren liegt, so der Facharzt für Gastroenterologie, dem Teil der Inneren Medizin, der sich mit Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes beschäftigt.

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Aufgrund der diffusen Symptome wüssten die Hausärzte, die die Patienten zuerst aufsuchen, oft nicht weiter oder nähmen sie nicht ernst. Bauchschmerzen oder einen gereizten Darm, etwa bei Aufregung vor einer Prüfung, hat schließlich jeder mal. Erst wenn die Beschwerden schlimmer und immer wiederkehrend auftreten, denken auch Ärzte an CED.

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind die großen entzündlichen Darmerkrankungen

Die zwei großen entzündlichen Darmerkrankungen sind Colitis ulcerosa und Morbus Crohn. Man rechnet mit bis zu 500.000 Betroffenen in Deutschland. Bei der Colitis ulcerosa stehen häufige, zum Teil blutige Durchfälle im Vordergrund, Morbus Crohn äußert sich eher durch Schmerzen im Bauchraum, mitunter mit Fieber und Unwohlsein.

Die Krankheit verläuft meist in Schüben und sehr unterschiedlich: „Es gibt Schübe, bei denen es den Patienten sehr schlecht geht, und solche, die von allein wieder weggehen“, so der Facharzt. „Sehr häufig müssen wir den Patienten mit Medikamenten helfen, den Schub zu überwinden, aber wir müssen immer damit rechnen, dass er wiederkommt. Deswegen sind Therapien zwischen den Schüben so wichtig, um den nächsten zu vermeiden“, erklärt Andreas de Weerth.

Chronische Darmerkrankungen sollten so früh wie möglich therapiert werden

Dabei seien die Abstände völlig unterschiedlich. Patienten, die ein- oder zweimal jährlich einen Schub bekämen, bräuchten keine Dauertherapie, weiß der Mediziner. Wer aber fünf- bis sechsmal im Jahr krank wird, brauche diese sehr wohl.

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen früh zu erkennen und somit auch früh therapieren zu können, ist ein Ziel von Prof. de Weerth. Der erste Schritt ist eine Stuhluntersuchung, um zu unterscheiden, ob die Symptome entzündlicher oder – wie im Falle eines Reizdarms – funktioneller Natur sind. „Ein guter Stuhlmarker ist das Calprotectin, das ist ein Entzündungswert. Patienten können ihren Hausarzt ruhig darauf hinweisen, dass es diesen Stuhltest gibt“, empfiehlt der Gastroenterologe.

Ernährung bei CED: Erwachsene können dem Leiden nicht vorbeugen

Ein hoher Wert für Calprotectin sollte zu weiteren Schritten veranlassen: Das sind meist Ultraschall-, Blut-, genaue körperliche Untersuchungen und eine Darmspiegelung. Dabei stellt Prof. de Weerth klar, dass das Calprotectin ein unspezifischer Wert ist: „Er sagt mir nicht, ob ich ein Morbus Crohn habe oder nicht, aber er sagt: ,Da ist eine Entzündung im Darm, guck mal weiter nach‘.”

Es gibt viele Ernährungsempfehlungen für Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, dem Leiden vorbeugen lässt sich darüber allerdings nicht. „Bei Kindern kann spezifische Ernährung durchaus helfen, die Entzündung zu verhindern oder zu verbessern. Warum das bei Erwachsenen nicht funktioniert, wissen wir nicht”, sagt der Leiter des Hamburger Darmzentrums des Agaplesion Diakonieklinikums.

CED-Therapie: Kurzfristig hilft auch die Gabe von entzündungshemmendem Kortison

Bei einem leichten Verlauf einer Colitis ulcerosa behandelt der Gastroenterologe lokal mit anti-entzündlichen Medikamenten, ähnlich dem Aspirin, mittels Zäpfchen oder Einläufen. Diese seien gut verträglich, so der 63-Jährige. Wenn das nicht hilft, können diese für eine kurzfristige Therapie auch aus entzündungshemmendem Kortison bestehen.

Die Entwicklung hin zu Alternativen sei rasant, jedes Jahr werden neue Medikamente zugelassen, mit dem Ziel, die Lebensqualität und Entzündung der Patienten zu verbessern – ohne Kortison. Gute Erfolge erzielen die Mediziner etwa mit Biologika, kortisonfreien Medikamenten, die das Immunsystem unterdrücken, wenn die überschießende Immunreaktion ausgelöst ist. „Die bekommt der Patient per Infusion oder spritzt sie sich selbst unter die Haut – oft dann ein Leben lang, aber damit verhindern wir das Wiederkommen der Symptomatik”, erklärt de Weerth.

Chronische Darmerkrankungen: Selbsthilfegruppen sind für Betroffene wichtig

Frühe Diagnose und früher Therapiebeginn sind wichtig für die Ärzte, um Folgeschäden wie die Entwicklung von Vernarbungen im Darm zu verhindern. Bei solch schweren Krankheitsverläufen reichen Medikamente oft nicht mehr aus und die Vernarbungen müssen chirurgisch behandelt werden.

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Menschen, die an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen leiden, sind oft lange arbeitsunfähig, ebenso führt das Leiden oft zu sozialer Isolation. In Phasen mit zehn bis zwölf Durchfällen am Tag ist ein Teilnehmen am „normalen” Leben schlicht nicht möglich. Die Patienten hier zu unterstützen und auch psychisch aufzufangen, gehört für Andreas de Weerth zum Therapiekonzept. „Wir schaffen ein Netzwerk, das nicht nur aus Fachärzten, Chirurgen und Ernährungsberatern besteht. Einer der entscheidenden Bausteine sind zum Beispiel die Selbsthilfegruppen.“

Krankenhaus Hamburg: Keine Heilung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen

Idealerweise entwickeln die Ärzte in vielen Gesprächen in Abstimmung mit dem Patienten einen Behandlungsplan. Dass dies nicht in jeder gastroenterologischen Praxis so ausführlich geschieht, läge auch an der Vergütung der Behandlung, vermutet Andreas de Weerth. „Das ist sehr traurig, weil die sprechende Medizin nicht gut vergütet wird. Ich halte das für ein großes Problem. Wir sind ja die Mutmacher und die, die die Behandlungen erklären müssen, da ist es mit einer Fünf-Minuten-Medizin nicht getan.”

Eine Heilung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen sei leider immer noch nicht möglich, bedauert Prof. de Weerth, „weil wir den Grund der Erkrankung nicht kennen“. Den Patienten umfassend zu begleiten und ihm eine je nach Krankheitsschwere angepasste Therapie zu bieten, dafür setzt sich der Klinikchef ein. „Als ärztlicher Direktor muss ich natürlich ein bisschen dafür sorgen, dass der Laden läuft, aber das, was mich letztendlich am meisten erfüllt, ist die Arbeit mit und an den Patienten.”