Die Designerin verkündete gerade zum dritten Mal ihren Rückzug. Am 27. November wird die wohl berühmteste deutsche Designerin 70 Jahre alt.

Hamburg. Mehrmals von der Bühne abzutreten wie mancher Schlagersänger, das passt eigentlich nicht zu Jil Sander. Pathos schien der Modemacherin bisher fremd. Auch im Privaten pflegte sie die leisen Töne. Es wäre traurig, wenn die rekordverdächtige Dramatik des dreifachen Rückzugs aus der von ihr gegründeten Marke innerhalb von 13 Jahren ein geniales Lebenswerk übertönen würde. Am 27. November wird die wohl berühmteste deutsche Designerin 70 Jahre alt.

Auch wenn Heidemarie Jiline Sander im norddeutschen Wesselburen geboren wurde, kann sie als echte Hanseatin gelten. In Hamburg, wo sie bei ihrer Mutter und deren zweitem Ehemann aufwuchs, eröffnete sie im schicken Stadtteil Pöseldorf 1967 eine Boutique, Keimzelle ihres späteren Imperiums. Noch heute lebt sie in der Hansestadt. Das typische Understatement, die Liebe zu Qualität und zu Begriffen wie „tadellos“ und „solide“ scheinen jeden Entwurf der „Queen of Less“ zu prägen.

Als sie antrat, wollte sie den Frauen eine ähnlich angenehm zu tragende Garderobe verschaffen, wie sie bei den Männern schon lange üblich war. Sie schuf Damenkleidung aus Herrenstoffen, die nicht maskulin, sondern weich und in ihrer Klarheit oft bezaubernd schön wirkte. Sie selbst verkörperte mit ihren feinen und zugleich energischen Zügen das neue Frauenbild aus „zart“ und „hart“ in Vollendung.

Als Jil Sander 1979 für ihr erstes Parfum mit dem eigenen Gesicht warb, wurde sie bundesweit bekannt. Die elitärsten Moderedakteurinnen der Welt huldigten ihrer Mode, die sie bei den Mailänder Schauen zeigte. 1997 brachte die Deutsche auch eine Herrenkollektion heraus.

Dass sie 1999 die Aktienmehrheit an die Prada-Gruppe verkaufte, mag von heute aus gesehen als Sündenfall gelten. Die als „Kontrollfreak“ bekannte Jil Sander überwarf sich mit Prada-Chef Patrizio Bertelli und stieg 2000 als Chefdesignerin aus. Drei Jahre später kehrte sie zurück mit einer hochgelobten „Comeback“-Kollektion, um 2004 erneut das Handtuch zu werfen.

Diesmal dauerte die Auszeit länger. Als der neue Mehrheitseigner des Unternehmens Jil Sander, die japanische Onward-Holdings, 2012 die Rückkehr der Modemacherin zu der von ihr gegründeten Marke verkündete, hatten nur wenige noch damit gerechnet. Ihr erneuter Abschied vor wenigen Wochen hingegen überraschte Insider nicht. Zu viele Jahre war sie dem sich immer schneller drehenden saisonalen Kleiderkarussell fern geblieben. „Ich bin ein wenig erschöpft“, sagte sie Ende September am Rande einer Schau. Ihrem modischen Perfektionismus ist Jil Sander aber auch am – vorläufigen – Ende ihrer Laufbahn treu geblieben.