Hamburg. Ohne Ankündigung wurde die Praxis von Ajmal Amin am Süderquerweg geschlossen. Menschen kommen jetzt nicht mehr an ihre Patientenakte.

Patienten der Hausarztpraxis am Süderquerweg 95 stehen vor verschlossener Tür. Neben dem Eingang klebt ein handschriftlich beschriebener Zettel: „Die Arzt-Praxis ist bis auf Weiteres geschlossen. Die Post bitte zurück an den Absender.“ Ansonsten werden die Patienten, darunter viele Senioren, mit ihren Problemen und Fragen allein gelassen. Der letzte Arzt, der dort bis Ende März praktizierte, Ajmal Amin, ist nicht mehr erreichbar. Auch sein Vorgänger, Mustafa Havuc, der die Räume im ersten Obergeschoss am Spieker Markt gemietet hatte, geht nicht ans Telefon.

Seit der Eröffnung der Praxis vor drei Jahren, die sich anfangs gegenüber, am Süderquerweg 101 A befand, gab es dort viele Ärztewechsel. Axel Spaeth, der dort als erster praktizierte, zog sich aus Altersgründen zurück. Auf ihn folgte Havuc als neuer Mieter der Räume, in denen dann auch eine Frau Block die Patienten empfing. Zu Beginn dieses Jahres informierte dann ein Aushang, dass Amin die Praxis übernimmt. Trotz der vielen Wechsel blieb die Praxis geöffnet. Havuc betreibt auch eine Praxis an der neuen Großen Bergstraße 6 in Altona.

Hausarzt verschwunden: Apotheke sollte zunächst die Patientenakten aushändigen

Nora Picka-Pamperin war Patientin der Hausarztpraxis. Sie benötigt nun ihre Patientenakte und musste aufwendig recherchieren, um sie anfordern zu können. In der Elbdeich-Apotheke Zollenspieker, die sich im gleichen Haus wie die einstige Arztpraxis befindet, konnten Patienten, die ihre Akte benötigen, eine Telefonnummer mit der bitte um Anruf hinterlegen. Dies tat auch Nora Picka-Pamperin. Sie sucht sich nun einen neuen Hausarzt, braucht dafür ihre Akte. „Doch die Mitarbeiter der Apotheke meldeten sich nach eineinhalb Wochen schließlich bei mir und teilten mir mit, dass die Aushändigung auf diesem Wege doch nicht funktioniere. Ich wurde gebeten, mich stattdessen bei Dr. Havuc zu melden. Aber in dessen Praxis habe ich nie jemanden erreicht“, sagt sie.

Anke Döcke, Betreiberin der Apotheke, bestätigt, dass „ein paar Dutzend Patienten“ ihre Telefonnummern hinterlassen hatten, um an ihre Unterlagen zu kommen. Leider habe das ihrem Kenntnisstand nach in keinem Fall funktioniert, bedauert die Apothekerin, die die Vermittlung als Service angeboten hatte. „Viele der früheren Patienten der Praxis sind ja Stammkunden bei uns“, sagt sie. Als Amin ihnen mitteilte, dass er doch nicht an die Akten käme, klemmten sich die Mitarbeiter der Apotheke hinters Telefon und riefen alle Patienten an, die ihre Nummer hinterlegt hatten, um sie darüber zu informieren, dass sie auf diesem Wege doch nicht an ihre Unterlagen kämen.

Arzt informiert Apotheke einen Tag vor der Schließung

Anke Döcke berichtet, dass sie gedacht habe, dass nebenan schnell wieder ein anderer Arzt einzieht: „Fluktuation gab es dort ja auch schon vor der Praxisschließung.“ Sie und ihre Mitarbeiter würden oft auf den Weggang des Hausarztes angesprochen: „Leider können wir unseren Kunden da auch nicht helfen, weil wir selbst nicht über die Hintergründe informiert sind.“ Amin habe sie einen Tag vor der Schließung informiert, dass er am Spieker Markt nicht mehr praktizieren werde. Für die Apotheke seien die leeren Praxisräume in direkter Nachbarschaft natürlich ein Nachteil, betont die Apothekerin.

Unsere Redaktion fragte bei der Ärztekammer Hamburg nach, was in so einem Fall zu tun sei. „Die Patientin kann sich an unser Ärzteverzeichnis wenden. Die Kolleginnen dort schreiben dann den betreffenden Arzt an und fordern ihn auf, die Patientenakten herauszugeben“, sagt Sebastian Franke, Sprecher der Ärztekammer Hamburg, und fügt hinzu: „Es kommt leider immer mal wieder vor, dass Patienten ihre ehemaligen Ärzte nicht mehr erreichen und dann ihre Patientenakten über unser Ärzteverzeichnis anfordern.“ Das Ärzteverzeichnis der Kammer ist per E-Mail an verzeichnis@aekhh.de und telefonisch unter 040/202 29 91 30 erreichbar.

Nora Picka-Pamperin meldete sich unverzüglich beim Ärzteverzeichnis. „Nach Auskunft von Herrn Amin können Sie Ihre Patientenunterlagen in der Praxis von Herrn Mustafa Havuc anfordern“, lautete die Antwort. Aber weil sie telefonisch niemanden erreicht, will die 46-Jährige ihre Unterlagen nun per Brief von Havuc anfordern.

Senioren besonders von der Praxis-Schließung betroffen

Im Landgebiet gebe es nur eine Handvoll Ärzte, obwohl es stetig wächst und in jüngerer Vergangenheit viele Menschen dorthin gezogen sind, kritisieren frühere Patienten der Praxis. „Hier, auf dem Lande, leben auch viele Senioren. Für sie ist die Situation besonders schwierig“, sagt Nora Picka-Pamperin. Es seien vor allem auch die älteren Menschen gekniffen, die nun vor verschlossener Tür am Spieker Markt stehen und den Zettel mit dem Hinweis auf die Schließung der Arztpraxis lesen. „Sie haben nun keinen Hausarzt mehr und auch ihre Patientenakte nicht. Die wissen doch gar nicht was sie jetzt tun sollen, zumal sich nur wenige Senioren über soziale Medien informieren“, sagt die 46-Jährige. Denn auch auf Facebook sei die Praxisschließung natürlich ein Thema. Über die Internetplattform habe sich auch die Information verbreitet, dass die Apotheke bei der Aushändigung der Akten helfe.

Warum die Praxis überhaupt geschlossen wurde, darüber gibt es keine offizielle Auskunft. Die Chefin der Firma, die sämtliche Immobilien am Spieker Markt verwaltet, will sich gegenüber unserer Redaktion dazu nicht äußern. Sie verweist auf „datenschutzrechtliche Gründe“. Laut Nora Picka-Pamperin soll es Unstimmigkeiten zwischen Mieter und Vermieter der Praxisräume gegeben haben.

Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg gibt zu den meisten Fragen, die unsere Redaktion ihr gestellt hat – etwa nach dem Grund der Praxisschließung oder ob neue Praxisräume in den Vierlanden gesucht würden –, keine Antwort, „aus Datenschutzgründen“.

Kassenärztlichen Vereinigung entscheidet über Nachfolge

„Grundsätzlich gilt: Ärzte ohne Kassenzulassung können grundsätzlich frei über die Aufgabe ihrer Praxis entscheiden“, sagt Ärztekammer-Sprecher Franke. Doch da Amin Patienten in einer Praxis mit Kassenzulassung empfing, entscheide im Regelfall der Zulassungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung, ob es eine Nachfolge gibt, teilt Sebastian Franke mit.

Die Frage, ob es für Arztpraxen normalerweise langfristige Mietverträge gebe, ließe sich nicht pauschal beantworten, teilt Jochen Kriens, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, mit. Ob man die Patienten über die Schließung hätte informieren und auf eine Vertretungs-/Ausweich-Praxis hinweisen müssen? „Grundsätzlich besteht hierzu im Fall einer Praxisschließung keine Verpflichtung“, antwortet Kriens. Für die Patientenakten gebe es Aufbewahrungsfristen.

Ärztekammer-Sprecher Franke schreibt, dass das Ärzteverzeichnis Amin aufgefordert habe, sich zur Aufgabe der Praxis zu äußern. Dies sei „das übliche Vorgehen im Fall einer Praxisaufgabe“. Dies habe Amin inzwischen getan, teilt Franke mit. Er habe dem Ärzteverzeichnis mitgeteilt, dass für seine früheren Patienten in Zollenspieker Havuc nun der Ansprechpartner sei. Sie könnten sich von Havuc in dessen Praxis in Altona behandeln lassen. Havuc reagierte auf mehrfache Anfragen unserer Redaktion nicht.