Themen: Islamisten-Demo: Ruf nach Kalifat +++ Ein Zugunglück und seine schweren Folgen +++ Umbennung der Sedanstraße abgelehnt

„Dann gibt es nur eins!“

2. Mai: „Besuch im größten Lager für russische Kriegsgefangene“

Ein bedrückender Bericht – besonders für uns Ältere, die als Kinder das Elend des Zweiten Weltkriegs noch miterlebt haben. Das Nein des russischen Kriegsgefangenen im letzten Absatz des Berichts erinnert an die Mahnung des Nachkriegsdichters Wolfgang Borchert: „Wenn sie dir morgen befehlen, (…), dann gibt es nur eins: Sag Nein!“ Mit Ergriffenheit haben wir mit unseren Lehrern damals jenen Text gelesen. Und heute soll die Jugend von unserem forschen Verteidigungsminister wieder zur Kriegstüchtigkeit ermuntert werden! Bei aller Verurteilung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine dürfen aber auch die Ursachen, die in der Nato-Osterweiterung liegen, nicht außer Acht gelassen werden! Wenn ein Angriffskrieg nicht erfolgreich verteidigt werden kann, bleibt dem Angegriffenen nur die Verhandlungslösung, wenn es nicht zur bedingungslosen Kapitulation, wie sie Deutschland 1945 erleben musste, kommen soll. Beim Einsatz von Nato-Truppen in der Ukraine droht ein atomares Inferno in Mitteleuropa, das vermutlich zur weitgehenden Vernichtung unseres Kontinents führen würde.
Hans Losse, Agathenburg

Ich bin Verfassungspatriot

30. April/1. Mai: Leitartikel: „Wehrhafte Demokratie? Die Rufe nach dem Kalifat sind inakzeptabel – gerade in der Hansestadt“ und „Scholz: Islamisten-Demo wird Nachspiel haben. Kanzler will Konsequenzen prüfen“

Ja, ich bekenne mich zu dem, was die Kalifatanhänger eine „Wertediktatur“ nennen. Ich bin ein Verfassungspatriot. Unser Grundgesetz ist sehr liberal, die Meinungsvielfalt ist ein hohes Gut – aber es setzt klare Grenzen, ist sehr muskulös gegen die Vertreter von Unwerten, wie sie Figuren wie Hitler, Putin oder die mörderische IS-Clique in Irak vertreten (haben). Der Artikel 20 GG setzt den Rahmen: Wir sind ein demokratischer und sozialer Bundesstaat mit garantierten Menschenrechten (auch für Frauen!), allgemeinem Wahlrecht, Gewaltenteilung, Gliederung in Bundesländer mit eigenen Verfassungen. Und Artikel 20 (4) gibt allen Deutschen das Recht zum Widerstand, „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Mein Wunsch: Diesen Artikel 20 GG sollte das Abendblatt schön drucken, zum Ausschneiden und zum „An-das-Pin-Brett-Stecken“. Denn unsere Demokratie sollte wehrhaft sein, 1948 so, wie sie es heute sein muss. Wir leben eine Zeitenwende, das Fragezeichen hinter dem engagierten Artikel von Matthias Iken beunruhigt. Die Islamisten-Demo erfüllt für mich den Tatbestand des Aufrufs zu einem Staatsstreich – und der Lehramtsstudent Boateng sollte wissen, dass er mit diesen Ideen keine Aussicht auf eine Lehrerstelle hat.

Dr. Reinhard Behrens

Müssen wir das aushalten?

Unstrittig ist, dass wir in einer Demokratie angemeldete Demonstrationen nicht nur hinnehmen, sondern auch unangenehme Themen aushalten müssen. Was wir aber meiner Meinung nach nicht kopfschüttelnd akzeptieren müssen, sind die aufrührerischen, hasserfüllten und gegen unser Grundgesetz und unsere Werte gerichteten Redebeiträge bestimmter offensichtlich bekannter Personen. Ich finde es völlig inakzeptabel, dass dieses Thema erst im Juni im Rathaus auf der Tagesordnung steht, statt endlich mal spontan darauf zu reagieren. Wo ist eigentlich in diesem Zusammenhang unser Bürgermeister? Wie immer in Deckung und ohne Rückgrat, um bloß nichts Falsches zu sagen und eventuell Wählerstimmen zu verlieren! Das kann und darf doch nicht Hamburgs Zukunft sein!

Evelyn Koppermann, Wedel

Auf einem Auge blind

Schaut man sich das Foto an: Diese jungen Menschen wollen Gerechtigkeit. Sie sehen, wie Israels Angriff im Gazastreifen, den sie nicht isoliert als Vergeltungskampf gegen den barbarischen Terror der Hamas vom 7. Oktober wahrnehmen wollen, gewaltige Zerstörungen und viele unschuldige zivile Opfer fordert; sie hören davon, wie fanatische Neusiedler im von Israel besetzten Westjordanland illegal immer weiter vordringen und sogar vor Anwendung von Gewalt nicht zurückscheuen. Sie erleben, wie die gegenwärtige, stark rechtslastige Regierung Netanjahu solchen Bestrebungen nicht entgegentritt. Sie sehen aber nicht, dass die Hamas nicht für ein gleichberechtigtes Palästina neben Israel eintritt, sondern fanatisch die totale Vernichtung Israels anstrebt, sogar im Glauben, damit Kernforderungen des wahren Islam aufzugreifen. Sie sehen nicht, dass alle Versuche nach einer Zweistaatenlösung, die immer wieder einmal von israelischer Seite her angestrebt wurden, auch an den totalen Vernichtungsideen der arabischen Seite scheiterten. Solange nicht beide Seiten bereit sind, ein befriedetes Nebeneinander ins Auge zu fassen und realistisch anzustreben, wird es auch weiterhin nur ein wüstes Geschrei auf den Straßen geben, in dem manche sich sogar ein Weltkalifat wünschen, als hätten wir erst dann eine gerechte Welt.

Klaus Lutterbüse

Genehmigung für Motto-Woche

29. April: Gastbeitrag: „Meinungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Politiker wollen völlig legale Äußerungen bekämpfen. Doch Konzepte wie das Demokratiefördergesetz sind grotesk“

Leider muss ich Herrn Strate beipflichten, dass die Meinungsfreiheit in kleinen Schritten zunehmend eingeschränkt wird. Häufig höre ich im Bekanntenkreis Sätze wie „Das sagt man doch nicht mehr!“ oder „Darf man das eigentlich noch sagen?“. Vorweg marschiert ausgerechnet die Innenministerin Faeser, die die Freiheit und Demokratie in diesem Lande schützen sollte. Frau Faeser will legale, aber ihr nicht genehme Meinungen unter Strafe stellen. Herr Strate weist hier zu Recht auf das umfangreiche Aktionspaket der Ampel auf Kosten der Steuerzahler hin. In der Tat hat sich einiges in Deutschland verschoben. Früher war alles erlaubt, wenn es nicht ausdrücklich verboten war. Heute bedarf es häufig einer Genehmigung. Ein Beispiel aus der Schule, die ja angeblich freie Kinder mit Rückgrat bildet. Für die sogenannte „Motto-Woche“ (Verkleidungsaktion im Vorfeld des Abiturs) bedarf es nun fast überall einer ausdrücklichen Genehmigung der Schulleitung. Begründung: Es seien ja Verstöße möglich (gemeint ist Alkoholkonsum)! Mit einer solchen Geisteshaltung sind wohl weitere Einschränkungen zu erwarten. Wie sagte es einst Bertolt Brecht so treffend: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“

Chris Martens

Chaos bei der Bahn

29. April: „Ein Zugunglück und seine schweren Folgen. Sieben Verletzte. Unfall mit Bauzug sorgt das ganze Wochenende für Behinderungen. Gab es eine Kommunikationspanne?“

In diesem Zusammenhang sollte man die Gelegenheit nutzen, endlich einmal auf die Missstände bei der DB hinzuweisen, die selbst eingefleischte (noch) Bahnreisende wie mich zunehmend nerven. Dazu gehört beispielsweise ein fehlendes Krisenmanagement bei Störungen. Die Fahrgäste werden nicht, verspätet und oft falsch informiert. Die S-Bahn-Fahrgäste können davon ein Lied singen. Das war auch am Freitag leider der Fall, wie betroffene Fahrgäste übereinstimmend berichteten. Weiterhin zeigte dieser Unfall die Schwachstellen im Hamburger Bahnnetz sehr deutlich auf: Die Verlegung des Bahnhofs Altona zum Diebsteich ist ein großer Fehler. Züge in Richtung Norden konnten nach dem Unfall von Altona fahren. Was hätte die DB gemacht, wenn ihr nicht der Bahnhof Altona – im Übrigen der einzige absolut barrierefreie Bahnhof in Hamburg – zur Verfügung gestanden hätte? Der Hauptbahnhof ist nicht nur überlastet, sondern auch ein Engpass, der selbst bei kleineren Störungen oder gar Unfällen nicht umfahren werden kann, denn die einzige zweite Elbquerung liegt bei Lauenburg und ist nur eingleisig, also keine Alternative. Es wird höchste Zeit, dass die DB im Hamburger Raum eine zweite Bahn-Elbquerung plant. Der Senat sollte sie im Interesse der Bürger dazu drängen. Die Bewohner südlich der Elbe haben schon jetzt im „Normalbetrieb“ oft genug Probleme, mit der S-Bahn in die Innenstadt zu gelangen. Wie soll das erst werden, wenn z. B. die Elbbrücken saniert werden müssen? Chaos nicht nur auf den Straßen! Statt weitgehend vom Steuerzahler finanzierte Großprojekte wie die Aufgabe des gut funktionierenden Bahnhofs Altona oder einen Tunnel vom Hauptbahnhof zum Diebsteich (VET) zu planen, sollte sich die DB endlich einmal um die Alltagsprobleme der Bahnreisenden kümmern. Sie wissen schon: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, gute und schnelle Informationen am Bahnsteig usw.

Christoph Beilfuß

Lob an den Lokführer

Vielen Dank für die kritische Beleuchtung des Krisenmanagements der S-Bahn Hamburg im Zusammenhang mit dem Zugunfall am Freitag. Die fragwürdige Kommunikation und Koordination habe ich aus erster Hand erfahren müssen. Ich war mit vielen anderen Fahrgästen etwa zweieinhalb Stunden in der S 3 im Citytunnel zwischen den Stationen Landungsbrücken und Stadthausbrücke gefangen – die Evakuierung unseres Waggons erfolgte gegen Viertel nach sechs, nachdem die S-Bahn bereits gegen 15.40 Uhr gebremst hatte und anschließend in den Notstrombetrieb wechselte. Der Lokführer der S-Bahn schien anfänglich nicht ausreichend von der Leitstelle über die Situation am Hauptbahnhof informiert worden zu sein und konnte entsprechend keine informationsreichen und beruhigenden Nachrichten an die Fahrgäste überbringen. Es wurde lediglich von einem Unfall berichtet, infolgedessen der Strom auf den Gleisen weiträumig abgestellt worden war. Genauere Informationen über den Unfall konnten wir etwas später online einholen, wenn es der Handyempfang zuließ. Erleichterung war spürbar, als die Evakuierung unseres Zuges angekündigt wurde. Diese begann etwa eineinhalb Stunden später. Zwischenzeitlich hatten wir das Gefühl, man hätte uns einfach vergessen. Da infolge des Notstrombetriebs die Klimaanlage abgestellt war und sich die Fenster nicht ohne entsprechendes Werkzeug öffnen ließen, saßen wir über eine Stunde ohne jegliche Luftzufuhr schwitzend im Zug fest, bevor ein Mitarbeiter der S-Bahn alle Fenster des gesamten Zugs händisch öffnete. Für die spätere Evakuierung unserer S-Bahn standen drei Bahnmitarbeiter zur Verfügung. Nach dem Verlassen des Zuges über eine Trittleiter und dem anschließenden Fußmarsch entlang der Schienen bis zum Notausgang in der Nähe der U-Bahn-Station Landungsbrücken, ging jeder seiner Wege – von Feuerwehr oder anderen Rettungskräften war keine Spur zu sehen. Die Weiterfahrt nach Hause in überfüllten U-Bahnen und Bussen ist dann eine andere Geschichte. Der Zugunfall am Hauptbahnhof zeigt wieder einmal mehr, wie schnell der ÖPNV und auch der Straßenverkehr in Hamburg lahmgelegt werden kann. Gerade vor dem Hintergrund anstehender Großveranstaltungen (z. B. die EM) und der damit verbundenen Gefahrenpotenziale sollten das Krisenmanagement und die Koordination aller Beteiligten verbessert werden. Ich möchte an dieser Stelle dennoch ein Lob an die Rettungskräfte und den Lokführer aussprechen, der trotz aufgeregter Rückfragen der Fahrgäste gefasst blieb und uns im Rahmen seiner Möglichkeiten mit Informationen versorgte. Ein weiterer Dank geht an alle Fahrgäste in der S 3, die in dieser Ausnahmesituation überwiegend ruhig geblieben sind und mit ihren Erzählungen, Gesängen und Witzen das Warten auf die Rettung erträglich machten.

Lena Spreckels

Stimmungsmache gegen Habeck

27./28. April: Leitartikel: „Energieverschwendung. Beim Streit um Habeck und Atom zeigen sich große Erinnerungslücken“

Ja, der Ausstieg aus der Kernenergie wurde mehrheitlich beschlossen, als die Weltlage noch anders war. Der Beschluss war gut, und daran ändert auch die jetzt aufkommende, wenig fundierte Debatte nichts. Fakt bleibt, dass die teure Atomenergie Unsummen an Steuergeldern verschlungen hat und nach der Abschaltung auch noch auf kaum absehbare Zeit verschlingen wird. Zur CO₂-Bilanz eines Atomkraftwerks gehört leider auch, dass das Kraftwerk gebaut, Uran gewonnen und transportiert, die Brennstäbe gefertigt und letztendlich das Kraftwerk auch wieder über Jahrzehnte mühselig rückgebaut werden muss – nur um ein paar Punkte zu nennen. Ach ja, die Endlagerung gibt es ja auch noch, und Uran wächst bei uns nicht an Bäumen, womit die Abhängigkeit nicht besser ist als bei Gas und Öl. Wenn man auf den Neubau von Atommeilern im Ausland verweist, dann könnte man ruhig einmal anführen, wie sich dort die Baukosten im Milliardenbereich vervielfacht haben. Auch bei den angesprochenen Mini-Atomkraftwerken lohnt die Serienproduktion erst, wenn die Stückzahl entsprechend hoch ist – Experten schätzen mehrere Tausend. Wer will die bitte bauen und wer will die im Vergleich zu Sonne und Wind sehr teure Energie haben? Unabhängig davon eignen sich die trägen Atomkraftwerke nicht, um bei Flaute schnell an und bei Sonnenschein wieder ausgeschaltet zu werden. Nach Stand der Kenntnis hatten auch die Betreiber keinen Weiterbetrieb vorgesehen, da die Vorbereitung viel Geld und Zeit gekostet hätte. Weshalb also die ganze Aufregung jetzt? Eigentlich „Energieverschwendung“ und dabei leicht zu durchschauen: Stimmungsmache um Robert Habeck politisch zu schaden.

Susanne und Dr. Ing. Michael Hahn

Stand der Technik einbeziehen

Wenn man sich schon auf Fakten bezieht, dann sollte auch der aktuelle Stand der Technik und alle bekannten Erkenntnisse mit einbezogen werden. Fakt ist: 2023 haben die erneuerbaren Energien mehr als 59 Prozent zu der Stromerzeugung beigetragen und sind weltweit die kostengünstigste Energiequelle. Das zeigen auch die Zahlen der neu in Betrieb gegangenen Projekte. Die Aussage, dass unsere Nachbarn stärker einsteigen, beruht überwiegend auf Projektideen, deren Finanzierung noch nicht gesichert sind, sondern auf staatliche Garantien warten, die wir als Steuerzahler garantieren sollen. Beispiele sind das Projekt „Hinkley Point“ in England, das nur mit massiver staatlicher Hilfe und chinesischen Investoren angeschoben wurde. Die Stromerzeugungskosten werden heute schon mit dem doppelten Preis von erneuerbaren Energien angesetzt. Welcher Verbraucher will und soll das bezahlen? Hierbei sind die bei Atomkraftprojekten üblichen Kostensteigerungen um den Faktor zwei bis vier noch nicht berücksichtigt. Welchen Nutzen bringen uns neue Kraftwerke, die mit viel Optimismus vielleicht in zehn Jahren in Betrieb und danach sofort für zwei Monate in Reparatur gehen, wie das finnische Beispiel aktuell gezeigt hat? Auch die Mini-Kraftwerke sind nicht wirtschaftlicher. Der russische Krieg in der Ukraine macht auch immer wieder das zusätzliche Risiko der Atomkraft im Kriegsfall deutlich. Vielleicht verbessern sich die Optionen für die Atomenergie ja, wenn Herr Söder endlich einen Standort für das Endlager in Bayern zusichert. Aktuell hat ja auch schon die FDP die wirtschaftlichen Fakten anerkannt und sich mit Mehrheit gegen die Atomkraftnutzung entschieden.

Dieter Fries

Schlachtfeld Vergangenheit

27./28. April: „Umbenennung der Sedanstraße abgelehnt. Bezirksversammlung Eimsbüttel stimmt mehrheitlich gegen Antrag. Die einen sind erleichtert, die anderen fassungslos“

Der Streit über die Umbenennung der Sedanstraße zeigt nicht so sehr, wie sich unser Geschichtsbild gewandelt hat, sondern vielmehr die Veränderung unseres Geschichtsverständnisses. Die historische Vergangenheit, ohnehin an Kriegen und Katastrophen nicht arm, ist nun selbst ein Schlachtfeld geworden. Auf diesem stehen sich Gutes und Böses gegenüber. Die Aufarbeitung der Geschichte ist gerade in Deutschland wichtig. Insofern wird dieser Streit vielleicht Früchte tragen, die von einer Umbenennung der Straße ganz unabhängig sind. Wir sollten unsere Erkenntnisse für die Zukunft nutzen, ohne die Geschichte von dem reinigen zu wollen, was wir heute womöglich missbilligen. Etwas verkürzt: ohne die Schlacht von Sedan kein Kaiserreich, ohne das Kaiserreich keine Bundesrepublik! Ob wir es gut finden oder nicht, Sedan ist Teil unserer Geschichte. Die heutige deutsch-französische Freundschaft tangiert es nicht und mindert es nicht. In Frankreich jedenfalls denkt sicherlich niemand darüber nach, die Avenue d’Iéna umzubenennen.

Dr. Carlos O. Boerner

Reederei im Zwielicht

Ob es sinnvoll ist, unliebsame Geschichte durch die Umbenennung von Straßen zu tilgen, daran bestehen nicht erst seit der Debatte um die Sedanstraße erhebliche Zweifel. Besser, und einer Förderung von Geschichtsbewusstseins entsprechender, wäre es, sich im öffentlichen Raum mit der Entstehung und den Hintergründen von Straßennamen auseinanderzusetzen, um sie zeitgeschichtlich einzuordnen. Im Fall des Slomanstiegs würde man dann erkennen, dass der Enkel des Firmengründers der Reederei Sloman dafür geehrt werden sollte, dass er 1878 auf der Veddel 200 Einfamilienhäuser für Werft- und Hafenarbeiter bauen ließ, die erst 1920 für eine dichtere Bebauung durch die Stadt abgerissen wurden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Schwierigkeiten, die die Firma Otto Wulff bei dem Versuch, Firmenwohnungen in Hamburg zu schaffen, gerade erlebt, ist das ein wieder aktueller und guter Grund für die Namensgebung. Auch der für die Umbenennung genannte Fall des sogenannten Totenschiffes MS „Leibnitz“ trägt nicht. Ausschlaggebend für das Unglück war ein Ausbruch der Cholera, verursacht, aber nicht vor Auslaufen bemerkt, durch Auswanderer aus Mecklenburg. Im Fall des Slomanstiegs werden 157 Jahre zurückliegende Vorgänge mit heutigen Maßstäben gemessen, und nebenher wird ein nach wie vor bedeutendes Hamburger Schifffahrtsunternehmen mit vielen Verdiensten um unsere Stadt ins Zwielicht gesetzt. Besser wäre es, sich im Geschichtsunterricht der Schule auf der Veddel mit der Geschichte der Auswanderungen aus Europa und aus Norddeutschland nach Amerika zu beschäftigen, auch mit ihren dunklen Seiten aus der Zeit heraus zu verstehen und dabei kritisch einzuordnen.

Thomas Rehder