Hamburg (dpa/lno). Angesichts knapper Unterkünfte für Migranten bereitet Hamburg Notpläne vor. Ein altes Gesetz soll nach dem Willen des Senats den Zugriff auf leer stehende Immobilien ermöglichen.

Der rot-grüne Hamburger Senat will mit der Reaktivierung einer alten Gesetzesregelung die Möglichkeit schaffen, leer stehende und ungenutzte Immobilien auch zwangsweise zur Unterbringung von Flüchtlingen nutzen zu können. Ein entsprechender Gesetzentwurf, der erneut eine vorübergehende und befristete Sicherstellung solcher Immobilien gegen Entschädigung vorsieht, soll in die Bürgerschaft eingebracht werden, wie der Senat am Dienstag im Anschluss an seine Sitzung mitteilte.

Die Regelung im Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung war 2015 auf dem Hoch der Flüchtlingskrise geschaffen worden und 2017 ausgelaufen. Sie soll den Angaben zufolge nun zunächst bis März 2026 befristet werden.

„Damals wie heute soll die rechtliche Handlungsfähigkeit der verantwortlichen Behörden gesichert werden, um den staatlichen Schutzauftrag gewährleisten zu können und Obdachlosigkeit für schutzsuchende Menschen in jedem Fall zu verhindern, wenn die Platzkapazitäten nicht mehr schnell genug ausgeweitet oder wegfallende Plätze nicht rechtzeitig ersetzt werden können“, teilte die Innenbehörde mit.

Angesichts ausgeschöpfter Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen hatte die Sozialbehörde am Montag bereits die Bezirke auf Notmaßnahmen vorbereitet - unter anderem auf die Unterbringung von Geflüchteten in Zelten in öffentlichen Parks und auf Festplätzen.

Die Opposition kritisierte die Pläne am Dienstag scharf. CDU-Fraktionschef Dennis Thering sprach von einer Bankrotterklärung des rot-grünen Senats. Die Linksfraktion warf der Sozialbehörde vor, mit „derart alarmistischen Aussagen“ Geflüchtete zu Sündenböcken für eine Situation zu machen, für die sie nichts könnten. Bei der AfD war vom „Gipfel des Asylversagens“ die Rede.

Zur Vermeidung von Obdachlosigkeit müsse jede in Betracht kommende Fläche und Immobilie genutzt werden, hatte Sozialstaatsrätin Petra Lotzkat in ihrem Schreiben an die Vorsitzenden der Bezirksversammlungen betont. Auch könne bei der Erweiterung bestehender und der Akquise neuer Standorte „auf die bereits bestehende Belastung von Stadtteilen aktuell weitestgehend keine Rücksicht genommen werden“.

Bereits vor sechs Monaten hätten drei SPD-Senatoren Alarm geschlagen, dass die Stadt mit der Flüchtlingskrise überfordert sei, sagte Thering. „Passiert ist seitdem zu wenig.“ Mittlerweile sei die Situation so prekär, dass wieder auf Hamburger Parks und Festplätze zurückgegriffen werden müsse. „Turnhallen werden dann sicherlich bald noch folgen.“

Die Linken warnten hingegen davor, auf dem Rücken geflüchteter Menschen Politik zu machen. „Es ist verstörend, dass der Senat jetzt so tut, als wäre die Naherholung in unseren Parks in ernsthafter Gefahr“, sagte die fluchtpolitische Sprecherin Carola Ensslen. Die Senatspläne, auf ungenutzte Immobilien zuzugreifen, begrüßte sie hingegen als alte Forderung ihrer Partei. „Es gibt zu viele brachliegende Gewerbeflächen in Hamburg, die müssen jetzt einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden.

Knapp zehn Jahre nach der Flüchtlingskrise stehe „Rot-Grün“ erneut „da wie der Ochs vorm Berg“, sagte AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann. „Es ist der Gipfel des seit 2015 andauernden Asylversagens.“ Er forderte erneut „eine 180-Grad-Wende in der Asyl- und Migrationspolitik“.

Auch Thering nannte es katastrophal, dass Bund und Länder noch immer keine wirksamen Maßnahmen ergriffen hätten, um den Flüchtlingszustrom nach Deutschland und Hamburg deutlich zu begrenzen. „Die Akzeptanz in der Bevölkerung wird spürbar weiter sinken und die Integration wird so immer weiter erschwert“, warnte er.

Aktuell sind laut Sozialbehörde knapp 48.000 Menschen in Hamburg in öffentlichen Unterkünften untergebracht, was einer Auslastung der Einrichtungen von 98 Prozent entspreche. Bis Mitte April fallen den Angaben zufolge 870 Plätze weg - unter anderem wegen auslaufender Mietverträge. „Insgesamt stehen aktuell keine ausreichenden Plätze für diese und weitere bevorstehende Schließungen in diesem Jahr im Gesamtsystem zur Verfügung und es besteht akut der Bedarf zur Schaffung bzw. Inanspruchnahme weiterer Notfallkapazitäten, um drohende Obdachlosigkeit zu verhindern“, heißt es in dem Schreiben Lotzkats an die Bezirke.