Wenn das Sparprogramm kippt und die Finanzhilfe ausbleibt, kann Athen die Renten und Beamtengehälter bald nicht mehr auszahlen

Nachdem alle Bemühungen, auf der Grundlage der griechischen Parlamentswahlen eine Regierung zu bilden, gescheitert sind, soll nun am 17. Juni ein neues Parlament gewählt werden. Dabei hat nach letzten Umfragen die linksradikale Syriza-Partei große Chancen, stärkste Partei und dominierende politische Kraft zu werden. Der Chef dieser Partei, Alexis Tsipras, lehnt das vereinbarte strikte Sparprogramm strikt ab, will aber in der Euro-Zone bleiben und die zugesagten Kredite aus dem Rettungsschirm und vom Internationalen Währungsfonds (IWF) annehmen.

Dieses auf den ersten Blick unsinnig erscheinende Wunschdenken ist nicht ohne Raffinesse. Griechenland kann nicht gegen seinen Willen aus der Euro-Zone entfernt werden, erhält aber bei Ablehnung des Sparprogramms keine Kredite mehr aus dem Rettungsschirm. Welche Trümpfe beabsichtigt Tsipras dagegen auszuspielen?

Er will in diesem Fall sämtliche Tilgungen und Zinsen für die griechischen Kredite einstellen, also die von den Euro-Ländern und dem IWF gewährten Kredite nicht zurückzahlen. Er ist fest überzeugt, dass diese Konfrontation Europa mehr schadet als Griechenland und betreibt ein Pokerspiel, das nach der Wahl bitterer Ernst werden könnte.

Um zu überprüfen, wer dabei die besseren Karten hat, muss man die Kosten dieser Politik und weitere Nachteile für die Euro-Zone wie für Griechenland abschätzen. Geht man davon aus, dass Griechenland überhaupt keinen Kredit zurückzahlt, dann sind die 53 Milliarden Euro des ersten griechischen Hilfsprogramms und die bereits geflossenen 104 Milliarden Euro aus dem zweiten Programm des europäischen Rettungsschirms EFSF verloren.

Doch das ist nicht alles. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nach meinen Schätzungen mindestens für 40 Milliarden Euro griechische Staatsanleihen im Depot, die abgeschrieben werden müssten. Hinzu kommen im Rahmen des automatisierten Zahlungsverkehrs im Euro-System (Target 2) Forderungen der EZB an die griechische Notenbank von 104 Milliarden Euro (Stand März 2012), die nicht mehr beglichen würden.

Die von mir geschätzten Gesamtkosten belaufen sich für die Euro-Zone auf rund 300 Milliarden Euro, von denen Deutschland nach den Statuten 27 Prozent, etwa 80 Milliarden Euro übernehmen müsste. Das ist zwar unangenehm und erschwert die Haushaltskonsolidierung, ist aber für Europa und Deutschland zu verkraften, da nicht alle Kosten sofort, sondern über Jahre verteilt anfallen. Zum Vergleich sei angeführt, dass die konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen Deutschlands in den nächsten fünf Jahren etwa 30 Milliarden Euro betragen werden.

Ein weiterer Nachteil einer konfliktbeladenen Trennung von Griechenland ist für die Euro-Zone der sogenannte Dominoeffekt, die Besorgnis, dass weitere labile Euro-Länder wie Portugal, Irland oder sogar Spanien die Euro-Zone verlassen, was das Ende des Euro bedeuten würde. Ich halte diese Gefahr aus zwei Gründen für nicht mehr so groß wie vor zwei Jahren. Erstens sehen die Kapitalmärkte inzwischen den Austritt Griechenlands nicht mehr als das Ende des Euro an. Zweitens haben die oben genannten Länder inzwischen erhebliche Spar- und Reformbemühungen umgesetzt, sodass ihre ökonomischen und Verwaltungsstrukturen wesentlich effizienter als die griechischen sind.

Zur zusätzlichen Absicherung Spaniens und der anderen Länder sollten sich die Politiker auf der Grundlage des strengen Fiskalpaktes nun endlich für Euro-Bonds entscheiden, also gemeinsame Euro-Anleihen für die Länder ausgeben, die diesen Pakt ratifiziert haben. Dann kann kein einzelnes Land mehr aus der Euro-Zone "rausgeschossen" werden.

Europa kann also das Pokerspiel von Alexis Tsipras getrost mitspielen, denn die Kosten Griechenlands bei dieser Konfrontation würden eine existenzbedrohende Höhe erreichen. Blieben die Kredite des Rettungsschirms aus, könnten Beamtengehälter und Renten ab Juli nicht mehr gezahlt werden. Bürger und Firmen würden dann ihre Euro-Konten bei den griechischen Banken leer räumen, die ohne Hilfe der EZB sofort zusammenbrächen. Das Land würde im Chaos versinken.

Wir können nur hoffen, dass die griechischen Wähler die radikale Syriza-Partei von der Macht fernhalten. Wenn nicht, ist das traurig, aber der Euro überlebt auch ohne Griechenland.