Zivilcourage ist gefragt: Hamburger Senat und die Bürgerschaft rufen auf, dem geplantem Neonazi-Aufmarsch am 2. Juni entgegenzutreten.

Hamburg. Hamburg ist rot, gelb und blau. Hamburg ist weiß, schwarz und rosa. Aber Hamburg ist nicht braun. Deshalb sind alle Bürger nicht nur eingeladen, sondern aufgefordert, am 2. Juni ab 11 Uhr auf dem Rathausmarkt eindeutig Farbe gegen Neonazis zu bekennen. Denn an diesem Tag planen Neonazis den bundesweit größten rechtsextremistischen Aufmarsch des Jahres in Hamburg. Unter dem Motto "Hamburg bekennt Farbe - für Demokratie, Toleranz und Vielfalt" haben Senat und Bürgerschaft eine Gegenaktion initiiert.

Mittlerweile haben sich viele Parteien, Vereine, Verbände, Religionsgemeinschaften, Kammern, Gewerkschaften und Organisationen angeschlossen. Die Idee: Ein buntes - und in diesem Fall darf die Floskel dann doch mal gebraucht werden - Programm für die ganze Familie soll verhindern, dass sich die braune Ideologie in der Stadt und in den Köpfen breitmacht. Außerdem sollen die Rechtsextremisten sehen: Wir sind gegen eure Meinung! "Wenn die Feinde von Demokratie und Menschlichkeit durch Hamburg ziehen, dann ist es unsere Pflicht, präsent zu sein und ihnen zu zeigen: Wir sind hier! Dies ist unsere Stadt - so vielfältig und gerade deshalb so lebens- und liebenswert", sagt Carola Veit (SPD), die Bürgerschaftspräsidentin.

+++ Mälzer, Lotto, Rabe und Co. gemeinsam gegen Rechts +++

Auch Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) baut auf die Zivilcourage der Hamburger: "Wir werden in einem gemeinsamen Bündnis den Extremisten entgegentreten." Und CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich sagt: "Hamburg ist tolerant und vielfältig, aber Rechts- und Linksextremismus passen nicht zu unserer Stadt. Deshalb machen wir am 2. Juni mit."

Es ist ein Bündnis, bei dem die Adresse in Wilhelmsburg oder Blankenese, das mickrige BAföG oder das üppige Managergehalt keine Rolle spielen, ebenso, zu welchem Gott man betet, und all die anderen Dinge, welche die Menschen unterscheiden. Da ist zum Beispiel Luise Günther. Die 24-Jährige studiert an der Universität Hamburg Germanistik und Sozialwissenschaft auf Lehramt und ist Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA). Gleich als die Aktion gegen rechts bekannt wurde, hat sich der AStA angeschlossen. Die Studenten haben von den Initiatoren bereitgestellte Plakate auf dem Campus aufgehängt, zusätzlich selbst gedruckte Flyer in den Mensen verteilt, und sie planen noch einige Großtransparente zum Thema.

"Natürlich gehen wir davon aus, dass alle Studierenden selbst verstehen, dass es wichtig ist, sich an dem Bündnis zu beteiligen", sagt Günther. "Aber es ist uns wichtig, dort bewusst als eine Gruppe von Studierenden und nicht nur als Privatpersonen zu erscheinen." Die Werbung auf dem Campus fungiere in erster Linie als Erinnerung, dann erst als Überzeugungsversuch für die Sache. "Rassismus ist - in der Gesellschaft und im Privatleben - oft noch ein Tabuthema", sagt Günther. "Rassismus ist nicht nur eine Sache von Rechtsradikalen, sondern etwas, das sich bereits in die Mitte der Gesellschaft eingeschlichen hat." Günther glaubt, dass jeder mal rassistisch handelt - oft unbewusst. Da reiche es etwa schon, eine südländisch anmutende Frau als Erstes zu fragen: Und wo kommst du her? "Kleinigkeiten, die nicht immer gleich verteufelt werden müssen, aber es muss darüber nachgedacht werden, um das nächste Mal anders zu handeln."

Luise Günther ist in prominenter Gesellschaft, denn auch Stars wie Panikrocker Udo Lindenberg und Rapper Smudo unterstützen "Hamburg bekennt Farbe!". "Wenn die Demokratie bedroht wird, muss man sich klar dagegenstellen", sagt Smudo, 44. "Und das fängt schon im ganz Kleinen an." Mit einer populistischen Parole am Stammtisch, missgünstigen Blicken wegen Kopftüchern und dem Aussortieren von Bewerbungen mit einem arabischen Namen. "Man muss immer aufmerksam sein und in solchen Situationen Paroli bieten." Smudo hat sich schon an verschiedenen Protestaktionen gegen Neonazis beteiligt. Oft taucht bei Interviews dann eine Frage auf: Welches Erlebnis hat dein Engagement ausgelöst? "Dann muss ich immer sagen, dass ich gar keine richtige Geschichte dazu habe." Es müsse nicht erst einem selbst, Freunden, Bekannten oder völlig Fremden etwas passieren, damit man sich engagiere. "Es ist mir als demokratisch denkender Mensch viel mehr ein selbstverständliches Bedürfnis, mich gegen jede Form von Extremismus zu stellen", sagt Smudo. Das Mitglied der Fantastischen Vier nutzt dabei bewusst seine Bekanntheit. "Natürlich ist das hilfreich, dabei möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, dass sie mitmachen. Aber es muss glaubhaft sein."

So ist auch das Engagement von Pastor Thomas Jeutner aus Sasel. Lange spricht er über das Thema ruhig und wortgewandt, aber irgendwann gehen dann doch die Emotionen mit ihm durch. "Die Vorstellung, dass die hier durch die Straßen flanieren, ist schrecklich für mich", sagt der 51 Jahre alte Vater von vier Kindern. Er hat die Idee "Hamburg bekennt Farbe" und eine Stellungnahme der Kirchensynode dazu per Newsletter in seine Gemeinde getragen. "Die Kirche muss in diesem Fall als Absender erscheinen", sagt Jeutner. "Ganz nach dem Bibelspruch: ,Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind', ist es sogar unser christlicher Auftrag."

Gerade als Saseler Pastor liegt Jeutner das Thema besonders am Herzen. In dem Quartier gab es zu Zeiten der Naziherrschaft ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme. "Also auch hier bei uns direkt im Stadtteil gab es instrumentalisierte Nazigewalt." In Sasel waren jüdische Frauen inhaftiert. Eine der Überlebenden, heute 87 Jahre alt, besucht oft die Gemeinde und spricht über ihre Erfahrungen. Auch viele Angehörigen derer, die im Lager umgekommen sind, sind gekommen. Außerdem hat die Gemeinde Stolpersteine für eine aus dem Viertel deportierte Familie legen lassen. "Die Schicksale gehen mir immer wieder tief unter die Haut", sagt Jeutner. "Diese Begegnungen lassen mich immer wieder darüber den Kopf schütteln, dass es heute junge Leute gibt, die diese Ideologien immer wieder heranziehen."