In der Ausbildung zum Therapeuten werden sie trotz Diploms schlechter bezahlt als Hilfskräfte. Gewerkschaft Ver.di fordert 3000 Euro im Monat.

Hamburg. Kleine Augenränder zeugen von kräftezehrender Arbeit. Das Pensum von Silvia Koch* hinterlässt Spuren. Woche für Woche absolviert sie zwei Nachtschichten, drei Tagesdienste und Seminare am Wochenende. 60 bis 70 Stunden sind keine Seltenheit. Und auch noch kein Grund zu klagen. Wäre da nicht die Sache mit dem Geld. Denn obwohl die Diplom-Psychologin eine Arbeitsleistung wie ein Manager erbringt, wird sie bezahlt wie eine Hilfskraft. Das heißt: noch sehr viel schlechter. Denn für drei Euro Stundenlohn arbeiten Hilfskräfte in Hamburg natürlich auch nicht.

Dabei wird Silvia Koch bald große gesellschaftliche Verantwortung tragen. Als Psychotherapeutin soll sie zu Volkskrankheiten aufgestiegene Leiden wie Depression oder Burn-out heilen.

Koch, die aus Loyalität ihrem Arbeitgeber gegenüber anonym bleiben möchte, gehört zu den etwa 300 bis 400 Hamburger Psychotherapeuten in der Ausbildung, die nun auf ihre missliche Situation aufmerksam machen. Allesamt sind sie hoch qualifizierte Akademiker, die nach ihrem Studium für einen Hungerlohn arbeiten. "Das kann nicht sein", sagt Koch. Schließlich habe sie bereits ein Psychologiestudium abgeschlossen. "Doch um als Therapeutin arbeiten zu können, ist eine dreijährige Weiterbildung Pflicht, in der ich mit finanziellen Einbußen zurechtkommen muss", sagt die 32-Jährige. Das heißt: eineinhalb Jahre Praktikum in einer der zehn Hamburger Ausbildungskliniken sowie eineinhalb Jahre vorbereitendes Wirken und Theorie an einem Ausbildungsinstitut, an das sie insgesamt etwa 15 000 Euro zahlen muss. Erst danach erhalte sie eine berufliche Genehmigung, die Approbation.

Sie habe sich bewusst für diesen steinigen Weg entschieden, berichtet Koch. Gesamtgesellschaftlich würden immer mehr Therapeuten gebraucht. "Nicht weil immer mehr Menschen psychisch erkranken, sondern weil sich mehr und mehr Menschen behandeln lassen", sagt sie. Als Diplom-Psychologin hätte sie ohne Weiteres in die Wirtschaft gehen können. Doch sie wollte Therapeutin werden, weshalb sie nun ihr Pflichtpraktikum im Universitätsklinikum Eppendorf absolviert. Dort therapiert sie schon jetzt Menschen mit Depressionen und Zwangsstörungen. Und trage bereits hohe Verantwortung.

Vom Status ist sie mit einem Assistenzarzt zu vergleichen, vom Einkommen allerdings mit einem Praktikanten. Würde sie nicht nebenberuflich Nachtschichten in einer Einrichtung für Betreutes Wohnen schieben, der Verdienst der Akademikerin läge bei 300 Euro Praktikumsvergütung. Umgerechnet drei Euro pro Stunde. Mit Nebenjob kommt sie immerhin auf 1300 Euro im Monat. Allein ihre Hamburger Wohnung kostet 550 Euro.

Im Gegensatz zur Facharztausbildung bei Ärzten müssen Psychologische Psychotherapeuten zur Erlangung der Approbation verpflichtend 600 Stunden Theorie und insgesamt einen Ausbildungsumfang von 4000 bis 4200 Stunden vorweisen. Erst danach erhalten sie die berufsrechtliche Genehmigung. Während Assistenzärzte nach Abschluss des Studiums ein volles Gehalt beziehen, werden Psychotherapeuten im Praktikum meist miserabel, manchmal überhaupt nicht bezahlt. Wegen des hohen Andrangs ist geringe Vergütung in Hamburg die Regel.

"Das Problem ist, dass die Ausbildungsvergütung von Psychotherapeuten im Praktikum gesetzlich nicht geregelt ist", sagt Robin Siegel, Sprecher im Bundesverband Psychologischer Psychotherapeuten. "Und Krankenhäuser als Profiteure dieser Regelung haben natürlich kein Interesse, etwas zu ändern." Die Psychotherapeuten seien günstige Arbeitskräfte. Doch Krankenhäuser sieht Siegel nicht in der Pflicht. Es sei die Politik.

"Doch im Gesundheitsministerium schmoren die Reformvorschläge des Deutschen Psychotherapeutentages weiter vor sich hin", kritisiert Claus Gieseke, Hamburger Landesvorsitzender des Verbandes Psychologischer Psychotherapeuten. Dabei gibt es ein vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten, das zu dem Schluss kommt, die Erlangung der Zusatzqualifikation bringe Psychotherapeuten in eine finanzielle Notlage.

Michael Stock, Ver.di-Gewerkschaftssekretär in Hamburg, sagt, dass die auszubildenden Psychotherapeuten bewusst beim Berufsbildungsgesetz ausgeklammert wurden. "Das Gesetz und vor allem die Vergütungsbestimmungen finden keine Anwendung bei den Psychologischen Psychotherapeuten", sagt er. Ver.di setze sich deshalb für einen Tarifabschluss ein. Es gehe um das normale Psychologengehalt von rund 3000 Euro brutto.

"Doch Tariffragen sind Machtfragen", sagt Stock. "Und unser Problem ist, dass wir keine Lobby haben", sagt Silvia Koch. In Hamburg gebe es maximal 400 Psychotherapeuten in der Ausbildung. Da sei der Druck zu klein. Die jüngste Demonstration unter der Losung "Psychotherapeuten in Ausbeutung" verhallte vor dem UKE fast ungehört. "Wir können eben kein Vorfeld auf dem Flughafen sperren", sagt Stock.

"Fakt ist, dass sich etwas ändern muss. Es kann nicht sein, dass wir in der Ausbildung Verantwortung wie fertige Therapeuten tragen", sagt Silvia Koch, "aber unsere Arbeit nicht ebenso wertgeschätzt wird." Das, so die angehende Therapeutin, sollte es in einer Gesellschaft, die Wert auf psychische Gesundheit legt, nicht geben.

*Name geändert