Heute wird der Opfer der rechten Gewalt gedacht. Die Zivilgesellschaft, auch in Hamburg, kann dem Staat beistehen

Sie kommen heute auf Einladung des Bundespräsidenten, der Kanzlerin sowie der Präsidenten von Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht in das Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt, um der Opfer der rechtsterroristischen Mordserie zu gedenken: Die Spitze des Staates bekundet mit Religionsgemeinschaften, Verbänden und Initiativen Trauer und Scham. Ein wichtiges, freilich spätes Signal. Schon nehmen viele das Geschehene nur noch unter "ferner liefen" wahr; über Euro-Krise, Griechenlands Misere und den künftigen Bundespräsidenten wird mehr geredet.

Sicherlich, staatliche Institutionen und Parlamente haben in den drei Monaten seit Aufdeckung der Morde einiges geleistet. Über 5000 mögliche Beweismittel wurden gesammelt, allein das Bundeskriminalamt setzt 400 Beamte auf die Aufklärung an; es gibt ein Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, eine Datei rechtsradikaler Straftaten, zwei Untersuchungsausschüsse (beim Bundestag und im Thüringer Landtag) und eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Der Bundesinnenminister und die Familienministerin stellen ein "Informations- und Kompetenz-Zentrum" in Aussicht. Wahrlich, genug Gremien. Aber eine schlüssige Erklärung, wie eine von rassistischem Hass getriebene Gruppe - fast gemütlich-verspielt als "Zwickauer Trio" bezeichnet - jahrelang mordend durchs Land ziehen konnte, steht aus. Und die Debatte um die Neuauflage eines NPD-Verbotsantrages dümpelt vor sich hin.

Klar, das Engagement von Bürgern gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz stößt an Grenzen, wo die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen politisch motivierte Kapitalverbrechen versagen. Es geht aber auch um Vorsorge, um das Ausräumen von Vorurteilen, das Werben um Respekt für Menschen anderer Kulturen. Das werden Staat und Sicherheitsapparate allein nicht schaffen. Es erfordert den Einsatz der Zivilgesellschaft. Und um den ist es, finde ich, gar nicht so schlecht bestellt.

Leider sind viele gute Projekte kaum bekannt. Kürzlich schrieb das Bündnis für Demokratie und Toleranz, das wir 2000 in der Bundesregierung als Anlaufstelle und zentralen Impulsgeber gegründet haben, seinen Wettbewerb "Aktiv für Demokratie und Toleranz" aus. Es meldeten sich 412 Gruppen und Vereine! Beispiele aus Norddeutschland: Mit Containern ist in Mecklenburg-Vorpommern ein Verein "Gewaltfrei on tour"; in Ratzeburg konfrontiert das Projekt "Miteinander leben" Jugendliche mit der jüngsten deutschen Geschichte sowie den Spätfolgen des rechtsextrem motivierten Brandanschlags von Mölln im Besonderen; aus Hamburg werden zwei Vereine ausgezeichnet, die sich um Asylbewerber kümmern und Vormundschaften für unbegleitete Flüchtlingskinder vermitteln. Das alles ist kein permanenter "Aufstand der Anständigen", aber unspektakuläre, wirkungsvolle Arbeit.

Diese Bürger zeigen den "Anstand der Aufmerksamen", und der tritt deutlicher zutage als ehedem. Initiativen gegen Ausländerfeindlichkeit führen Namen wie "Bunt statt Braun" quasi als Markenzeichen; den Aufmärschen von Neonazis setzen sie nicht einfach "Gegen-Demos", sondern "Meilen der Demokratie" entgegen. Die Hamburger Gruppe "Laut gegen Nazis" hat mit Unterstützung vieler Prominenter und von Sponsoren ein ausgefeiltes Programm für die "Internationale Woche gegen Rassismus" aufgestellt. Beispielhaft ist auch, wie die Dresdener zum Gedenken an die Bombardierung der Stadt ein kluges Gegenprogramm zum Marsch der Rechtsextremisten gestalteten.

Solche Gruppen können mit Ideen und Aktionen andere anstecken. Besonders, wenn sie nicht nur ad hoc, sondern kontinuierlich arbeiten. Dafür brauchen sie Anerkennung, Vertrauen und längerfristig abgesicherte finanzielle Hilfen, ob nun privat oder staatlich. Mit einer Förderung auf zwei oder drei Jahre ist es nicht getan. Und dass das Bundesfamilienministerium Betreiber von Projekten, die auf Zuschüsse hoffen, erst mal nach ihrer Verfassungstreue fragt - die sogenannte "Extremismusklausel"-, ist in ihrer pauschalen Form Motivationshindernis und Misstrauensbekundung zugleich. So würgt man ziviles Engagement ab. Die Klausel gehört abgeschafft. Und zwar schnell.