Jetzt ist der Rubikon wirklich überschritten, diesmal aber von der anderen Seite. So wichtig und nötig die kritische Auseinandersetzung mit Christian Wulff in den vergangenen Wochen war, so kläglich drohen die Dimensionen zu werden, die sie jetzt erreicht. Es kann doch nicht sein, dass dem Bundespräsidenten vorgeworfen wird, sein Kind habe von einem Autohändler ein Bobby-Car geschenkt bekommen. Was ist die nächste Enthüllung? Das Toilettenpapier, das Wulff bei einer Veranstaltung von Wirtschaftsverbänden zwar benutzt, aber nicht vollständig abgerechnet hat? Die Flasche Wasser, die er, der bekanntermaßen keinen Alkohol trinkt, bei irgendeinem Neujahrsempfang zu sich genommen hat? Der Besuch eines Theaters, Fußballspiels, was auch immer? Überhaupt: Musste der Besuch der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Südafrika sein? Hätte Christian Wulff das nicht selbst bezahlen müssen? Oder hat er?

Vorwürfe auf diesem, nennen wir es einmal das Bobby-Car-Niveau, sind mindestens genauso würdelos, wie es der Umgang Wulffs mit der Klärung der Kreditaffäre war. Vor allem verwässern sie aber die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Fehlern des Bundespräsidenten und ziehen am Ende den gesamten Fall ins Lächerliche. Zumal ausgerechnet ein Bobby-Car sicher nicht dazu führen wird, dass Wulff sein Verhalten noch einmal überdenkt ...

In der Debatte um das Staatsoberhaupt sind wir an einem Punkt angekommen, an dem das eine oder andere Detail keine Rolle mehr spielt. Dass der Bundespräsident vor und in seiner Zeit im Schloss Bellevue schwerwiegende Fehler gemacht hat, steht fest, er hat sie schließlich selbst zugegeben. Diese Fehler hätten zu einem Rücktritt des Bundespräsidenten führen können, haben sie aber nicht. Das ist der aktuelle Stand, den man mögen kann oder nicht, den man aber erst einmal akzeptieren muss. Fakt ist: Durch die Annahme eines Plastikautos ist das Amt des Bundespräsidenten sicher nicht stärker beschädigt als durch die Kreditaffäre. Also erübrigt sich dazu jedes Wort.

Wie man überhaupt aufpassen muss, im Gefolge des aktuellen Falls die Bewertung von Einladungen und kleineren Geschenken für Politiker nicht auf ein Niveau zu heben, das deren Arbeit quasi unmöglich macht. Soll heißen: Wir können von Politikern nicht Volksnähe und Präsenz erwarten, wenn sie bei nahezu jedem Empfang Gefahr laufen, etwas "Verbotenes" zu tun. Es wäre zum Beispiel absurd, wenn sich Hamburgs Sportsenator Michael Neumann nicht einmal auf Einladung des Hamburger SV oder des FC St. Pauli ein Spiel in der Ersten oder Zweiten Fußball-Bundesliga ansehen darf, im Gegenteil: Er muss es sogar tun. Und selbstverständlich darf Bürgermeister Olaf Scholz ein Buch annehmen, das ihm nach dem Besuch eines Kulturbetriebs geschenkt wird - und gern auch eine Flasche Rotwein. Das gehört zu einem normalen Umgang, auch und gerade mit Volksvertretern, genau wie Einladungen zu Essen.

Wollte man all dies nach dem Bobby-Car-Prinzip unter Beobachtung stellen, würde man nur eins erreichen: dass sich Politiker in der Öffentlichkeit, in dem viel geforderten Kontakt mit dem Bürger, rar machen. Ganz zu schweigen davon, dass die Ab- beziehungsweise Verrechnung vieler Vorgänge, mit denen sich selbst einfache Abgeordnete täglich konfrontiert sehen, entweder unmöglich oder lächerlich ist. Oder beides.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Dies ist kein Plädoyer für mehr Nachlässigkeit bei der Beurteilung von Politikern, zumal nicht bei denen, die in Regierungs- oder anderer Verantwortung stehen.

Dies ist ein Plädoyer für vernünftige Maßstäbe und für eine Auseinandersetzung mit der Arbeit von Staatsdienern, die sich in erster Linie an Relevanz und Glaubwürdigkeit orientiert.