Hamburgs Wahrzeichen ist ein Ort des Gebets und kein Raum für ein Wirtschaftsforum, dessen Teilnehmer 1600 Euro Eintritt zahlen

Zum dritten Mal laden die Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" für den 2. Dezember mit großem Aufwand zu ihrem "Deutschen Wirtschaftsforum" mit Spitzenvertretern von Wirtschaft und Politik ein.

Wer Josef Ackermann, Philipp Rösler, Roland Koch oder René Obermann und andere Polit- und Wirtschaftsgrößen aus der Nähe sehen will, kann für 1600 Euro teilnehmen.

Das liegt im Trend aller Leitmedien, sich als Wirtschaftsunternehmen im Wettbewerb zu profilieren und sich passende Nachrichten selbst zu produzieren, aber den Veranstaltungsort halte ich für einen Skandal: Das Wirtschaftsforum tagt in der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis.

Der Hamburger Michel ist aber keine entwidmete Kulturkirche wie die Konzertkirche Neubrandenburg.

Der Hamburger Michel ist ein Ort des Gottesdienstes und eine Zuflucht für Seelen in Bedrängnis. Der Michel verfügt als "bebeteter, befeierter Raum über unglaubliche Kraft", wie Hauptpastor Röder am 7. September 2011 im Hamburger Abendblatt zutreffend ausführte.

Genau diese "Heiligkeit" des geschützten transzendentalen Raums einer aktiven Kultstätte hat die "Zeit" mit Unterstützung der Stadt, der HSH Nordbank und anderer Banken und Unternehmen als "coole location" gekauft, und die Deutsche Bahn spendiert die Erste-Klasse-Tickets.

Wo um tote Polizisten, um Gräfin Dönhoff und Loki Schmidt getrauert worden ist, wird jetzt nicht über Gott, sondern über Geld gesprochen. "Für Geld verkaufen wir unsere Seele" titelte die "Zeit" am 25. August kritisch und beteiligt sich konsequent selbst an dieser Entgrenzung wirtschaftlicher Tätigkeit.

An der Huldigung des Kommerzes und der schleichenden Zerstörung letzter Besinnungsräume wirken alle Referenten und Gäste mit.

Ob aus kühler Berechnung oder aus Gedankenlosigkeit: Die Erosion gesellschaftlicher Werte geschieht in kleinen Schritten und nicht von selbst. Das kann auch Agnostikern und Atheisten nicht gleichgültig sein, denn dieser Prozess hat Konsequenzen. Für die werbliche Nutzung der Alster oder die Umwandlung von Naturschutzgebieten zu Erlebnisparks müsste man zum Beispiel viel geringere Hemmungen überwinden.

Viele Ökonomen "kennen den Preis von allem und den Wert von nichts". Sie kennen kein Maß und beschädigen mit der Kommerzialisierung geweihter Räume unsere ethischen Grundlagen. Die Folgen tauchen in keiner Bilanz auf, aber die Gesellschaft verliert ihre Wurzeln.

Papst Benedikt XVI. hat bei seinem Deutschlandbesuch in Freiburg unter Berufung auf das Johannesevangelium (Joh. 17, 16) auf die Gefahren einer Angleichung der Kirche an die Maßstäbe der Welt verwiesen und eine Entweltlichung der Kirche angemahnt (FAZ, 26. September 2011). Bankenkongresse im Petersdom sind also nicht zu erwarten - ebenso wenig wie in Synagogen und Moscheen.

Sicher braucht die Nordelbische Kirche Geld und vielleicht ist der Besuch der Mächtigen schmeichelhaft. Dafür sollte sie aber nicht ihre Seele verkaufen und den Versuchungen einer geballten Macht von Kommerz, Politik und Medien erliegen.

"Mein Haus ist ein Bethaus", heißt es beim Evangelisten Lukas über die Vertreibung der Händler aus dem Tempel in Jerusalem (19, 46), und "machet nicht meines Vaters Haus zu einem Kaufhaus", schreibt Johannes (2, 15).

Das ist 2000 Jahre her.

Die Empörung über das Sakrileg der Mächtigen bleibt aktuell, und der Michel gehört nicht nur der Kirche.