Wohnen ist in Hamburg schon wieder kostspieliger geworden. Die Zahl der Neubauten hat nicht Schritt gehalten mit der Bevölkerungsentwicklung.

Hamburg. Als Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD) am Mittwoch den neuen Mietenspiegel präsentierte, bemühte sie sich um ein differenziertes Bild: Nicht überall in Hamburg seien die Preise so gestiegen wie im städtischen Durchschnitt. Der Aufschrei war dennoch groß: 5,8 Prozent Anstieg - das bleibt hängen. Demonstrationen gegen den "Mietwahnsinn" folgten. Wohnungsnot sei ausgebrochen, sagen die einen. Die anderen bestehen auf dem Begriff Wohnungsmangel. Denjenigen, die in Hamburg eine Wohnung suchen, ist diese Diskussion herzlich egal, geht sie doch an ihrer Lebenswirklichkeit vorbei - die langen Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen sprechen eine deutliche Sprache: Mit dem Hamburger Wohnungsmarkt ist etwas nicht in Ordnung.

Doch was hat zu der Situation geführt? Ein Blick auf die Statistik zeigt zunächst: In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Wohnungen in Hamburg um 3,6 Prozentpunkte auf jetzt etwa 889 940 erhöht, die Zahl der Haushalte ist aber um ganze 7,6 Prozentpunkte gewachsen.

+++Neue Wohnungen: Bauprojekte mit mehr als 50 Einheiten+++

Der Neubau hat - vor allem während der Dekade der CDU-geführten Senate - mit dem Bevölkerungswachstum schlicht nicht mitgehalten. Hier muss dringend nachgeholt werden: Bis 2027, so sagen die Experten, wird die Hamburger Bevölkerung nochmals um 75 000 Bewohner anwachsen. Schon jetzt liegt nach einer Studie des Immobiliendienstleisters Jones Lang LaSalle die Leerstandsquote mit 1,4 Prozent auf einem "historisch niedrigen Wert" in Hamburg. Mit anderen Worten: Nahezu jede Wohnung, die auf den Markt kommt, ist wenig später schon vermietet. Auf Nachfrage konnten weder die städtische Saga, größter Wohnungsvermieter in Hamburg, noch der Grundeigentümerverband eine Wohnung nennen, die lange Zeit unvermietet ist.

Gleichwohl verteilt sich der derzeit oft kritisierte Wohnungsmangel vor allem auf beliebte Innenstadtquartiere. Drei gesellschaftliche Entwicklungen hätten neben den demografischen dazu geführt, sagt Bernd Leutner, Geschäftsführer des Immobilien-Forschungsinstituts Forschung & Beratung. Zurzeit, so sagt er, erlebe Hamburg in vielen Quartieren vor allem eine "zurückgestaute Nachfrage". Die Menschen würden einfach dringend nach größeren Wohnungen suchen, etwa weil sie eine Familie gegründet haben. Hinzu käme, dass heute junge Mütter viel mehr als vor einigen Jahrzehnten noch weiter im Beruf stünden. Job, Kita, Versorgseinrichtungen müssten dann - wie in der Innenstadt - möglichst nahe beieinanderliegen.

Zum Dritten resultiere die besonders starke Nachfrage in den Innenstadtquartieren daraus, dass Stadtteile heute mehr als früher wie eine Marke betrachtet würden. Leutner: "Man wohnt auf St. Pauli oder in der Schanze, weil es in ist" - Wohnorte wie Rothenburgsort oder Hamm mit ihren 50er/60er-Bauten hätten keine so großen Mietpreissteigerungen wie Eimsbüttel oder Altona.

Genau an dieser Stelle setzt Lutz Basse, Vorstand der Saga/GWG an. "Wir müssen dringend weitere Stadtteile in die qualifizierte Aufwertung bringen", sagt Basse. In Bereichen wie Hamm, Horn, Dulsberg, Wilhelmsburg, Veddel oder Rothenburgsort gebe es noch preiswerte Wohnungsbestände, die "auch noch über Jahre verfügbar" seien. "In diesen Gegenden müssen wir das Angebot verbreitern, den öffentlichen Nahverkehr stärken, die Infrastruktur entwickeln, damit die Menschen gerne auch dort hinziehen", sagte Basse. Dadurch werde an den "extrem gefragten Standorten ein bisschen der Druck rausgenommen".

In einem ist er sich mit dem Immobilienexperten Leutner einig: Es müssen in großem Umfang neue Wohnungen gebaut werden, um eine Entspannung auf dem Markt und damit eine Senkung des Preisniveaus zu erreichen. "Man muss oben Wohnungen reinstecken, das Neubau-Segment stärken - dann werden auch preiswerte Wohnungen frei", so Leutner.

Tatsächlich zeigt sich ein solcher Effekt derzeit auf dem Büromarkt, der große Leerstände in Hamburg zu verzeichnen hat. Selbst in besten Lagen am Elbufer werben seit Monaten riesige Plakate von Maklern um Firmen, Neubauten wie einer der beiden Columbia-Tower in Altona stehen fast komplett leer. Folge: Mietpreise sinken, in Spitzenlagen der HafenCity fielen die Preise bereits von 26 auf 23 Euro pro Quadratmeter. Die Politik in Hamburg hat diesen Effekt des Mehrangebots erkannt. Erklärtes Ziel von Olaf Scholz und seinem SPD-Senat: 6000 neue Wohnungen pro Jahr.

Ein Wahlversprechen, an dem sich nach vier Jahren auch der Erfolg der Landesregierung wird messen lassen. Durch Vereinbarungen mit den Bezirken und ein Abkommen mit der Wohnungswirtschaft will die zuständige Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau alle Hemmnisse für den Wohnungsbau aus dem Weg räumen. Eines aber kann sie damit nicht beseitigen - Bürgerproteste. Und genau die könnten zu einem echten Problem werden.

Erst am Freitag wurde bekannt, dass der Bebauungsplan 73 in Langenhorn per Bürgerentscheid gekippt worden ist. Dieser sollte die Rechtsgrundlage dafür schaffen, dass die in Teilen stark sanierungsbedürftige Wulffsche Siedlung in Langenhorn im Lauf der nächsten 20 Jahre schrittweise abgerissen und neu aufgebaut werden könnte.

Dabei wäre auch neuer Wohnraum geschaffen worden. Die Mieter der Wohnungen waren für die Sanierung. Einige Anwohner benachbarter Reihenhäuser waren dagegen und starteten die Bürgerinitiative - und stoppten damit letztlich Sanierung und Wohnungsbau. Damit das nicht zum Regelfall wird, will und muss der Senat neue Wege in der Planung gehen. "Man muss Bürger sehr früh beteiligen, um Vertrauen zu schaffen, und Konflikte ansprechen, nicht verschweigen", fordert auch der Beteiligungs-Spezialist, Politik-Professor Wolfgang Gessenharter. (Lesen Sie am Montag ein Interview mit ihm im Abendblatt.)

Zwar sind die meisten Hamburger grundsätzlich für mehr Wohnungsbau. Soll aber in ihrem direkten Umfeld Wohnraum entstehen, ist es vorbei mit der Zustimmung. Eine Tatsache, die Senatorin Blankau nach eigenen Aussagen immer wieder verwundert. "Wir kommen in eine Situation, in der Menschen auch darüber debattieren müssen, ob man möglicherweise auch für sich selbst Nachteile in Kauf nehmen muss, wenn Wohnraum geschaffen wird. Das kann man aber nur im Dialog machen", so Blankau. Grundsätzlich setzt ihre Behörde auf eine stärkere und frühere Einbindung der Bürger in Planungsprozesse. "Wir müssen rechtzeitig mit den betroffenen Bürgern reden und auch ernsthaft versuchen, die Interessen der Bürger so weit wie möglich mitzunehmen." Als positives Beispiel nennt sie die Planungen zur neuen Mitte Altona. Blankau setzt auf Dialog und nicht auf Konfrontation. "Ich halte es für falsch, von vornherein die Keule rauszuholen", sagt sie. Die "Keule" ist in diesem Fall die Evokation, das heißt, der Senat zieht eine Entscheidung über ein Bauprojekt an sich und setzt damit Bürgerbegehren außer Kraft.

Der neue Weg des Senats: "In Streitfällen ist erst mal der Bezirk dran, eine Lösung zu suchen. Im zweiten Schritt kann der Wohnungsbaukoordinator eingeschaltet werden, um zu vermitteln. Erst im dritten Verfahrensschritt geht ein solcher Streit vor die Senatskommission, die dann auch entscheiden kann. In diesen Fällen ist der Bürgermeister immer beteiligt", erklärt Blankau. Damit will sie die Evokation auf ein Minimum reduzieren. Als letzte Möglichkeit bleibt sie aber immer noch bestehen.

Langfristig müsse der Bürger in Kauf nehmen, dass Individualinteressen im Verhältnis zum Gemeinwohl nachrangig sind, sagt die Stadtentwicklungssenatorin. "Wir leben in einer Gesellschaft mit ganz vielen Menschen zusammen und müssen einen Weg finden, gemeinsam diese Gesellschaft zu gestalten."