Demonstranten harren vor der HSH Nordbank aus – trotz Räumungsdrohung. Ökonom Straubhaar sieht für die Bewegung wenig Chancen.

Hamburg. Rund 20 Demonstranten harren auch am Dienstag bei strömenden Regen vor der HSH Nordbank in der Hamburger Innenstadt aus. Nach einer Räumungsaufforderung haben die kapitalismuskritischen Protestcamper ihr Zeltlager auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz aber teilweise abgebaut. Lediglich ein Iglu-Zelt stand am Dienstagmittag vor der Bank. An den Tagen zuvor seien es bis zu zehn Zelte gewesen, die ausschließlich der Übernachtung dienten und damit gegen Auflagen verstießen. Zehn Personen verbrachten die Nacht auf Dienstag in einem nicht windgeschützten Pavillonzelt. Zwei dieser Zelte hat das Fachamt Management des öffentlichen Raums des Bezirksamtes Hamburg-Mitte für die Demonstration genehmigt. Die Iglu-Zelte mussten weg. "Die Innenstadt ist kein Campingplatz", sagte Amtssprecher Lars Schmidt von Koss am Dienstag. "Das Bezirksamt und Herr Schreiber sympathisieren mit den Demonstranten, aber wir müssen alle gleich behandeln, sonst machen wir uns angreifbar". Reine Info-Zelte sind nach Angaben des Sprechers erlaubt. Übernachtungscamper müssen dagegen nach einer mindestens 24-stündigen Frist mit einer Entfernung ihres Zeltes rechnen.

Am Montag hatte Markus Schreiber, Leiter des Bezirksamts Mitte, bereits angekündigt, die Zelte räumen zu lassen. Eine Frist bis zum 10. November hat das Amt erteilt. Dann müssen die Protestcamper den Gerhart-Hauptmann-Platz verlassen. Am Dienstag um 17 Uhr findet im Bezirksamt ein Gespräch zwischen den Demonstranten und Schreiber statt. Zuvor hatten sich die Protestler in einem offenen Brief an den Bezirksamtschef gerichtet. "Wir lassen uns nicht vertreiben", sagt ein Teilnehmer des Camps. Bis zum 11. November wollen Demonstranten ausharren.

Großen Zuspruch erhalten die Protestler von den anliegenden Unternehmen und Institutionen. Mitarbeiter des Thalia-Theaters versorgen die Camper regelmäßig mit Kaffee, die HSH Nordbank stellt ihnen die Toilette zur Verfügung.

Für den Hamburger Wirtschaftsforscher Thomas Straubhaar ist die Anti-Banken-Bewegung in Deutschland allerdings auf Dauer chancenlos. "In Deutschland sprechen diese Demonstranten garantiert nicht für 99 Prozent der Bürger“, sagte der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts der "Neuen Osnabrücker Zeitung“ mit Blick auf den Protest-Slogan "Wir sind 99 Prozent“. Hier gebe es einen starken Sozialstaat, soziale Netzwerke, niedrige Arbeitslosenzahlen und eine geringe Inflationsrate.

"Eine Betroffenheit der Massen sehe ich nicht“, betonte Straubhaar. Deshalb sei "Occupy Wall Street“ in Deutschland kein Thema. In den USA erwarte er dagegen, dass diese Bewegung Einfluss auf die Präsidentschaftswahl 2012 nehmen könne. Weil in Amerika die Wirtschaft unverändert lahme und die Langzeit-Arbeitslosigkeit extrem hoch sei, werde sich die Protestbewegung für längere Zeit am Leben halten. "Dies auch, weil es damit ein Gegenstück zu der plumpen antistaatlichen Rhetorik der Tea Party gibt.“

"Haltet durch!" - Unterstützung für die Nordbank-Protestler

Drei große, mehr oder minder ehrwürdige Häuser stehen am Gerhart-Hauptmann-Platz, das Thalia- Theater, Karstadt und die HSH Nordbank. Jetzt sind viele kleine, mehr oder minder fußkalte Zelte hinzugekommen, und fast stündlich werden es mehr. Am Sonnabend war es erst eines, gestern Morgen schritten staunende HSH-Angestellte schon an acht Zelten vorbei zur Arbeit, bis zum Abend war es bereits ein gutes Dutzend.

Ein paar Dutzend Menschen campieren nun also hier, meist ist etwa die Hälfte vor Ort. Genaueres weiß keiner, die Zahl ändert sich dauernd, regelmäßig gesellen sich Neuankömmlinge hinzu, einen Sprecher oder gar Anführer gibt es selbstredend nicht.

Worum es geht, steht auf Pappschildern, die nach guter alter Demo-Art per Hand und Buntstift hergestellt sind. "Stoppt die Gier", steht darauf, oder auch "Geld regiert die Welt! Aber wer regiert das Geld?" Das Motto heißt "Occupy Hamburg", das gemeinsame Thema ist Kapitalismus im Großen und Kritik der Macht der Banken im Kleinen. Der Ort, vor den Pforten der bescheiden beleumundeten HSH Nordbank, ist natürlich symbolträchtig gewählt.

Sascha, 33, gehört zu der Handvoll Leute, die nach der Demonstration am Sonnabend den Plan fassten, weiter zu protestieren. Flugs organisierten sie ein Zelt, Freunde und Bekannte brachten Proviant. So ging's los, seitdem sind sie Tag und Nacht hier, trotz empfindlich kalter Temperaturen. Im sonstigen Leben arbeitet Sascha als Kellner, jetzt hat er Wichtigeres zu tun, er sieht sich als Teil einer internationalen Bürgerschar. Am Wochenende waren es weltweit jedenfalls schon mal ziemlich viele. Die New Yorker machten mit "Occupy Wall Street" den Anfang, in Lissabon und Rom etwa gingen bis zu 300 000 Menschen gegen Macht und Spekulationsgeschäfte der Banken auf die Straße.

Die Campierer vom Gerhart-Hauptmann-Platz wollen mindestens so lange wie die Geistesgeschwister in New York weitermachen. Die meisten Passanten begrüßen die Aktion. "Gut, dass den Bankern endlich mal einer auf die Füße tritt, die sind ja völlig übergeschnappt", sagt eine elegant gekleidete ältere Dame mit Boutique-Tüten in der Hand. Gegen Mittag trifft eine Pizzaladung ein, der anonyme Absender lässt mitteilen: "Kann leider nicht kommen. Haltet durch! Guten Appetit!" Ein älterer Mann fährt mit seinem Smart vor, lädt mehrere Sixpacks mit Wasserflaschen ab, grüßt freundlich und verschwindet wieder. Mitarbeiter des Thalia-Theaters kommen immer wieder, um die Protest-Teilnehmer mit Brötchen und Kaffee zu versorgen.

+++ Großspende und Schwimmbrillen für Occupy Wall Street +++

Am Nachmittag kippt dann die Stimmung kurz, als die Nachricht eintrifft, dass Markus Schreiber, Leiter des Bezirksamts Mitte, die Zeltenden nicht weiter dulden wolle. Zunächst hatte es geheißen, die am Montagmorgen angemeldete Protestaktion werde von der Polizei toleriert und von den Behörden wohl durchgewinkt. Nun teilt ein Mitarbeiter des Ordnungsdienstes telefonisch mit, der Tatbestand "ungenehmigte Sondernutzung des öffentlichen Raums" liege vor - die Infozelte würden akzeptiert, nicht jedoch die Igluzelte zum Übernachten. Bei Missachtung drohen Bußgelder. Die Reaktion der Campierer ließ nicht lange auf sich warten: "Wir bleiben." Zur Not werde man außerhalb der Zelte schlafen - denn das sei erlaubt.

Schreiber hat allerdings bereits angekündigt, dass er die Zelte räumen lassen will, falls die Demonstranten dies nicht freiwillig tun. "Es ist seit alters her nicht üblich, auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz zu campen", sagte der Sozialdemokrat dem Abendblatt. "Bei aller Sympathie für das Ziel, die Macht der Banken einzudämmen, finde ich das Campen nicht richtig." Von fast allen Rathausfraktionen erhalten die Protestler grundsätzlich Unterstützung.

"Wir können froh sein, dass die Bevölkerung die Regierungen der Welt unterstützt, zu einer neuen Weltmarktordnung zu kommen", sagte CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich. Bei allen Protestformen müssten allerdings Recht und Gesetz eingehalten werden. "Ich habe großes Verständnis, wenn sich Bürger gegen die Auswüchse der Finanzkrise und die teilweise festzustellende Zockermentalität zur Wehr setzen", sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Letzteres sei auch bei der HSH Nordbank zu beobachten gewesen. "Hamburg ist deswegen keine Insel der Glückseligen, sondern auch Schauplatz der Krise."

GAL-Fraktionschef Jens Kerstan sagte: "Kreative Formen des Protestes wie ein Zeltcamp vor einer Bank können helfen, den Handlungsdruck zur Regulierung der Finanzmärkte zu verstärken." Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn nahm Bezirksamtsleiter Schreiber ins Visier: "Herr Schreiber sollte sich ein Beispiel an Finanzminister Wolfgang Schäuble nehmen, der gesagt hat, dass er die weltweiten Proteste sehr ernst nimmt. Verbote sind ein völlig falscher Weg. Schreiber wäre gut beraten, den Protest nicht abzuwürgen."

Nur FDP-Fraktionschefin Katja Suding hielt Distanz. "Mir ist nicht genau klar, gegen wen und gegen was sich die Proteste ganz konkret richten", sagte Suding. Die Zersplitterung der Bankenaufsicht unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung sei definitiv ein Schritt in die falsche Richtung gewesen. "Risiko und Haftung müssen zusammenbleiben", so die FDP-Politikerin.