In Berlin setzt sich die Erfolgsserie fort. Um den Kanzler zu stellen, braucht es mehr

Das Erwartbare kann bemerkenswerter sein als das Spektakuläre. Das gilt gerade für Wahlen. Als spektakulär darf der Einzug der Piratenpartei in das erste deutsche Landesparlament gelten. Der Sieg der SPD bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus indes wird niemanden überrascht haben. Eine Mehrheit hat Klaus Wowereit auch deshalb gewählt, weil sie ihm abgenommen hat, was auf seinen Plakaten stand: dass er Berlin versteht. Und doch ist der Erfolg bemerkenswert, weil er ein Wahljahr beschließt, das mit dem Machtwechsel in Hamburg begann - und für die SPD zu einem Superwahljahr wurde. Ein Sieg von Renate Künast, der im Frühjahr noch erwartet worden war, hätte 2011 zum Jahr der Grünen gemacht. So ist es das Jahr der SPD.

Nach den sieben Landtagswahlen zwischen Februar und September sind die Sozialdemokraten an zwei Regierungen mehr beteiligt. Den Regierungschef stellen sie nun in sieben Bundesländern. Im Norden legten sie besonders zu. In Hamburg errang die SPD mit Olaf Scholz die absolute Mehrheit. In Bremen holte sie mehr als 38, in Mecklenburg-Vorpommern mehr als 35 Prozent. Und auf Bundesebene sehen Umfragen die Sozialdemokraten zwei Jahre nach dem Absturz bei der Bundestagswahl wieder bei 30 Prozent.

Daraus speist sich das Selbstbewusstsein, mit dem die Parteiführung mitten in der europäischen Schuldenkrise Neuwahlen verlangt. Schwerer zu ergründen ist allerdings, wie die SPD regieren würde, käme sie auch im Bund an die Macht. Es zeigen sich Widersprüche.

Die Sozialdemokraten werden nach Lage der Dinge keinen ihrer Wahlsieger gegen Angela Merkel aufbieten - auch nicht Wowereit, der auf ein paar Prozentpunkte mehr gehofft haben dürfte. Die Kanzlerkandidatur läuft auf einen Vertreter der Troika aus Parteichef Gabriel, Fraktionschef Steinmeier und dem früheren Finanzminister Steinbrück zu, die Erfahrung mit Krisen im Weltmaßstab, aber keine Wahlerfolge vorweisen können. Je schlechter es um den Euro steht, desto größer werden Steinbrücks Chancen. Steinbrücks Person ist unvereinbar mit dem Bestreben im Willy-Brandt-Haus, die notwendige Reformpolitik von Schröder und Steinmeier weiter zu verwässern. Das Steuerkonzept, das auf dem nächsten Bundesparteitag beschlossen werden soll, ist zu einem reinen Steuererhöhungskonzept geworden. Wenn der linke Parteiflügel die Inhalte prägt und der rechte den Kandidaten stellt, sind Konflikte programmiert.

Woran liegt es im Kern, dass 2011 zu einem bemerkenswerten Wahljahr für die SPD geworden ist? Auf europäischer Ebene jedenfalls ist in der Schuldenkrise keine Re-Sozialdemokratisierung zu erkennen. Die Machtwechsel in Dänemark und Norwegen ergeben noch keinen Trend. Und dass die deutschen Sozialdemokraten überzeugende Ideen zur Euro-Rettung hätten, lässt sich auch nicht ernsthaft behaupten.

Die Ergebnisse von Landtagswahlen gehen wesentlich auf regionale Besonderheiten zurück. Doch sie sind immer auch ein Urteil über die Bundespolitik. Der SPD ist es bisher gelungen, ihren Wiederaufbau mit Geschlossenheit zu betreiben. Damit wirkt sie - auch mit Gabriel an der Spitze - seriöser als die notorisch zerstrittene schwarz-gelbe Koalition. Frank Henkel hat in Berlin für die CDU einen Achtungserfolg erzielt, weil er verlässlicher wirkt als manches Mitglied der Regierung Merkel/Rösler. Die FDP, die keinen Gegenentwurf zum Bund fand, ist weiter im freien Fall. Ihr verzweifelter Versuch, sich mit Anti-Euro-Populismus zu retten, blieb ohne Erfolg.

Die Stärke der SPD ist zu einem erheblichen Teil die Schwäche der anderen. Die Sozialdemokraten können sich nicht darauf verlassen, dass es so bleibt.