Michel Friedman, 54, streitbarer Publizist, TV-Moderator bei N 24

Hamburger Abendblatt:

1. Stößt Bundesbankvorstandsmitglied Thilo Sarrazin mit kalkulierten Übertreibungen nur eine berechtigte Diskussion über Integration und Bildung an oder ist er ein Hassprediger?

Michel Friedman:

Eine Diskussion über Integration, Bildung und das Miteinanderleben von Kulturen und Religionen ist unerlässlich. Es geht aber um das "Wie". Sarrazins Zustandsbeschreibung ist nicht das Problem, wohl aber seine Analysen und Begründungen. Die sind fern von Gut und Böse und zeigen eine Geisteshaltung, die Menschen ablehnt und nicht bejaht und vor allen Dingen ihre Entwicklungshoffnungen zerstört.

2. In Umfragen bekommt Sarrazin große Sympathie. Beherrscht der Stammtisch das Denken?

Die Tatsache, dass populistische Sprüche ankommen, beweist nicht, dass diese stimmen. Oberflächlich betrachtet sind die Thesen mit Sicherheit mehrheitsfähig. Geht man allerdings in die Tiefe und analysiert seine Begründungen, muss man zutiefst erschrecken.

3. Laut Sarrazin teilen alle Juden ein bestimmtes Gen. Ihre Frau, die TV-Moderatorin Bärbel Schäfer, ist zum Judentum konvertiert. Hat sie jetzt auch so ein Gen?

Da müssen Sie Herrn Sarrazin fragen. Aber mal im Ernst: Was meint er eigentlich, wenn er sagt, es gäbe ein für die Identität der Juden wichtiges Gen? Welche besonderen Eigenschaften im Guten oder Schlechten sollen Juden haben, die andere nicht haben? Diese rhetorische Frage zeigt die Absurdität und Gefährlichkeit seiner These. Wer versucht, gesellschaftspolitische Probleme und individuelle Eigenschaften, die es unstreitig gibt, zu verallgemeinern und biologisch oder genmedizinisch zu begründen, begibt sich in eine gefährliche Sackgasse und überschreitet eine Grenze, was nicht hinnehmbar ist.

4. Darf die private, öffentlich geäußerte Meinung eines Bundesbankvorstands so weit gehen?

Das Private und Öffentliche ist bei dieser Radikalität nicht mehr zu trennen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bundesbank, die in supranationalen Institutionen integriert ist, wie der Weltbank und dem IWF, auf Dauer ertragen kann, dass ein Mann in ihrem Vorstand sitzt, der ausländer- und religionsfeindliche Ressentiments biologisch begründet. Wäre ich der türkische Notenbankpräsident, würde ich dem deutschen Kollegen Weber ironisch raten, jeden Kontakt mit uns Türken abzubrechen, bis wir im sarrazinschen Sinne so klug sind wie die Deutschen. Die Deutsche Bundesbank macht sich angreifbar, solange Sarrazin in ihrer Mitte ist.

5. Sehen Sie als Anwalt eine Chance, Sarrazin wegen volksverhetzender Gedanken zu belangen?

Anzeigen sind bereits erstattet, Gerichte werden sich damit auseinandersetzen. Unabhängig davon sind arbeitsrechtliche Konsequenzen denkbar, bis zur Abberufung. Die notwendige Diskussion über Integration sowie die Ernsthaftigkeit seines Buches hat er durch biogenetische Argumente vergiftet. Schade um die vertane Chance!