Geistliche gesteht im Umgang mit den Missbrauchsfällen Fehler der Kirche ein. Sie selber ist sich keiner Schuld bewusst.

Hamburg. Bischöfin Maria Jepsen stellt eine finanzielle Entschädigung von Opfern sexuellen Missbrauchs durch Geistliche in Aussicht. Damit reagiert sie auf Fehler der Nordelbischen Kirche in der Aufarbeitung des Themas. So sei es völlig rätselhaft, warum es keine Einträge in der Personalakte des unter Missbrauchsverdacht stehenden Pastors Dieter K. aus Ahrensburg gebe. Sie selber ist sich keiner Schuld bewusst.

Hamburger Abendblatt:

Hätten Sie sich vorstellen können, dass in der Nordelbischen Kirche ein Missbrauchsfall von solchem Ausmaß vorkommt und über Jahre vertuscht wird?

Bischöfin Maria Jepsen:

Nein, das habe ich mir nicht vorstellen können und auch nicht in diesem Ausmaß. Deswegen bin ich auch so sehr erschüttert über die E-Mails aus Ahrensburg, in denen stand, dass jeder es wusste. Ich habe auch die Pastoren gefragt: Ihr hättet doch was hören müssen. Nein, sagen sie. Aber es geht nicht in meinen Kopf, dass kein Mensch in Ahrensburg den Mut hatte, mir dazu einen Brief zu schreiben oder den Pastor anzuzeigen.

Es entsteht der Eindruck, dass der Missbrauch vertuscht werden sollte. Welche Fehler wurden gemacht? Und was ist Ihr Anteil daran?

Die Fehler sind von jenen gemacht worden, die von dem Missbrauch wussten.

Eine Schlüsselfigur ist die damalige Stormarner Pröpstin Heide Emse. Wann hat sie Sie über den Missbrauch informiert?

Ich kann mich nicht erinnern. Sie selbst sagt, dass sie mir im Sommer 1999 in der Pause eines Konvents berichtete, dass Pastor Dieter K. ein außereheliches Verhältnis mit einer Frau gehabt habe, das inzwischen beendet sei. Er solle versetzt werden.

Sprach Pröpstin Emse nur von dieser Frau? Es ging aber damals laut Opferaussage auch um den Missbrauch an jungen Männern.

Davon weiß ich nur aus der aktuellen Presse. Frau Emse hat mir jetzt auch noch mal bestätigt, dass sie mir gegenüber nicht von "Missbrauch" gesprochen hat.

Zu dem Zeitpunkt, als Pastor K. das Verhältnis begann, war die Frau gerade 16 Jahre alt. War Ihnen das bekannt?

Nein. Das wäre ja eine Beziehung mit einer Abhängigen gewesen.

Da wären bei mir die Alarmglocken losgegangen. Auch im Ahrensburger Kirchenvorstand war 1999 nur bekannt, dass er ein Verhältnis mit einer erwachsenen Frau gehabt haben soll.

Wie war der weitere Verlauf 1999?

Laut der Versetzungsurkunde, die damals in der Kanzlei einging, sollte K. nach Neumünster versetzt werden. Danach soll mich in Lübeck eine Frau angesprochen haben. Daran habe ich kaum eine Erinnerung. Aber eine Protokollnotiz lässt vermuten, dass sie etwas gesagt hat wie: "Die Geschichte mit den Frauen und Pastor K. ist noch nicht vorbei." Daraufhin habe ich bei Beamten des Personaldezernats nachgefragt, ob Pastor K. intime Verhältnisse mit jungen Frauen hatte. Das wurde verneint.

Gibt es Einträge über die Gründe der Versetzung in K.s Personalakte?

Nein. Ich habe dafür keine Erklärung.

Machen Sie sich Vorwürfe, dass Sie nicht weitergeforscht haben?

Der Vorwurf des Missbrauchs stand nicht im Raum. Wenn der damals zuständige Bischof, der Pastor K. auch kannte, und das Personaldezernat mir sagen, da ist nichts bekannt, habe ich keinen Grund, dem zu misstrauen.

Sehen Sie das heute auch noch so?

Heute frage ich mich, wieso es über den ganzen Vorgang keine schriftlichen Unterlagen gibt. Das ist mir ein Rätsel.

Hat Frau Emse fahrlässig gehandelt?

Das kann und will ich nicht beurteilen. Grundsätzlich gilt: Jeder, der von Missbrauch Kenntnis hat, muss das nach meinem Empfinden anzeigen.

Welche Konsequenzen wird es für Täter und Mitwisser geben?

Das Höchste ist das Kirchengerichtsverfahren, das gegen K. und einen weiteren Pastoren aus Ahrensburg läuft. Wenn herauskommt, dass andere etwas nicht gesagt haben, müssen wir auch da Konsequenzen ziehen.

Ist seelsorgerische Schweigepflicht wichtiger als weltliche Strafverfolgung?

Ja. Das ist ein hohes Gut. Aber von Pastoren erwarte ich, dass sie in kritischen Situationen die Opfer um die Entbindung von der Schweigepflicht bitten.

Was bietet die Kirche den Opfern an? Gibt es eine finanzielle Entschädigung?

Ich werde mit den Opfervertretern weitere Gespräche führen. Und ich kann mir vorstellen, Therapien oder andere Hilfestellungen zu bezahlen, wenngleich das auf EKD-Ebene abgestimmt werden muss. Das sind zwar nur symbolische Hilfen, aber es kann nicht sein, dass wir nichts machen.

Sollten die Verjährungsfristen verändert werden?

Ja, so etwas kann nicht verjähren. Und ich werde mich für eine Verlängerung der Fristen einsetzen. Viele Opfer können erst nach langen Jahren darüber sprechen. Und auch die Täter haben offenbar gar kein Unrechtsempfinden. Sanktionierung ist wichtig.

Haben Sie als Bischöfin nicht auch eine moralische und politische Verantwortung, der Sie sich stellen müssen?

Bei dem Vorgang haben wir ganz klare Zuständigkeiten, ich kann mich als Bischöfin nicht in den Fall einmischen. Aber natürlich muss ich unser Handeln nach außen erklären.

Wie wäre es mit einer Entschuldigung?

Ich habe schon mehrfach gesagt: Ich bedauere es außerordentlich. Aber pauschale Entschuldung reicht nicht. Ich kann nur weiterhin um Entschuldigung bitten, dass in meiner Institution Fehler gemacht wurden. Aber die Schuld der Täter kann ich nicht auf mich nehmen.

Sind Sie hilflos in dieser Situation?

Ja, ich bin hilflos. Aber ich lüge nicht und ich kneife nicht und ich halte auch durch. Und ich will unbedingt, dass diese Fälle aufgeklärt werden.

Es gibt den Vorwurf der Vertuschung. Frau Jepsen, lastet das auch auf Ihnen persönlich?

Ja, da ist Traurigkeit und Schmerz, Unverständnis und Wut bei mir. Und zudem habe ich den Eindruck, dass die behauptete Vertuschung viel schlimmer bewertet wird als die Tat.

Manchmal komme ich mir wie eine Kriminelle vor, obwohl ich in diesem Punkt ein reines Gewissen habe.