Die Ökonomen Henning Vöpel und Jörn Quitzau halten die Sommerspiele für das strategisch beste Investment der Stadt

Hamburg. Über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen großer Sportveranstaltungen streiten Ökonomen schon lange nicht mehr. Fußball-Weltmeisterschaften und Olympische Spiele hinterlassen im Bruttoinlandsprodukt (BIP) großer Volkswirtschaften nur marginale Spuren, sie können keine Probleme lösen. Darüber herrscht inzwischen Einigkeit. Der Effekt der Fußball-WM 2006 zum Beispiel war aus volkswirtschaftlicher Sicht vernachlässigbar. Auf regionaler und lokaler Ebene wiederum, für einzelne Unternehmen und Branchen können sich weltweit beachtete Ereignisse dagegen kurz-, mittel- und langfristig höchst positiv auswirken, „wenn die richtigen Anschlusskonzepte gefunden werden“. Zu diesem Ergebnis kommen die renommierten Volkswirte Jörn Quitzau und Henning Vöpel in einer aktuellen Kurzstudie der Privatbank Berenberg und des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI).

Olympische Sommerspiele 2024 oder 2028 würden sich für die Metropolregion Hamburg lohnen, davon sind Berenberg-Volkswirt Quitzau und HWWI-Direktor Vöpel überzeugt: „Für Hamburg gäbe es wahrscheinlich kein besseres Investment in die Zukunft. Wir sehen in der Stadt momentan kein anderes gesellschaftliches Feld, auf dem dieses Geld volkswirtschaftlich effektiver in die Entwicklung Hamburgs eingesetzt werden kann.“

Voraussetzung für den späteren Erfolg sei allerdings, dass man mit dem Tag des Zuschlags durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) zu planen beginne, was nach dem Erlöschen des olympischen Feuers sieben Jahre später zu tun sei. „Politik, Unternehmen, Gewerkschaften, Universitäten, Sportvereine, alle Bürgerorganisationen müssen sich in dieser Zeit darauf vorbereiten, um die vorhandenen Vorlagen, die Olympische Spiele bieten, anschließend umsetzen zu können.“

Entscheidend sei es, Olympia nicht als singuläres Ereignis, sondern als Bestandteil einer Entwicklung von Stadt zu betrachten. Hamburg wolle eine für Fachkräfte und Investoren attraktive Metropole werden. Die eigentliche Arbeit, Nutzen zu generieren, beginne erst nach den Spielen. Olympische Spiele haben immer gekostet, sagt Vöpel. „Die Gewinnerstädte haben sich von den Verliererstädten dadurch unterschieden, dass sie die Spiele für die Entwicklung in der Zeit danach genutzt haben.“ Das lasse sich an Barcelona gut beobachten. Hamburg könne auf seiner international ausgerichteten Wirtschaft aufbauen. Jede Interessengruppe sei aufgerufen, nach den Spielen diese Chance zu nutzen. Das könne Politik allein nicht durchsetzen.

Nur mit einem klaren stadtentwicklungspolitischen Konzept sowie bürgerschaftlichem und privatwirtschaftlichem Engagement gelinge es, die weltweite Aufmerksamkeit, die Olympia für die jeweilige Region erzeugt, „in Kontakte, Netzwerke, Image, Attraktivität und Wohlstand zu transformieren und Talente aller Art und neue Unternehmen in die Stadt zu holen“. Hamburg könne dabei weit mehr gewinnen als Konkurrent Berlin, weil Berlin als Hauptstadt bereits global bekannt ist und die beschriebenen Effekte dort weitgehend aufgebraucht sind oder bereits genutzt werden.

Hamburg aber habe im Bereich Bekanntheit einiges aufzuholen, was die Chancen, von Olympia wesentlich zu profitieren, stark erhöhe. Die Spiele stellten eine Chance dar, sich zu einer „Smart City“ mit digitaler Vernetzung von Bildung, Gesundheit und Mobilität zu entwickeln. Viele vergleichbare Städte aus der zweiten Reihe („Second Cities“) müssten sich in den kommenden zehn, 15 Jahren modernisieren. Mit Olympia könnte alles schneller und wirtschaftlich solider gelingen. Die Paralympics, die zunehmend an Bedeutung gewinnen, passten ohnehin in eine künftig barrierefreie Stadt wie Hamburg und den Norden als Zentrum der Medizintechnik-Industrie.

Bis zum letzten olympischen Wettbewerb fallen erfahrungsgemäß 90 Prozent der Kosten an, aber nur zehn Prozent des Nutzens. Erst am Tag nach der Schlussfeier fängt sich Olympia allmählich an zu rechnen, wenn dafür die Voraussetzungen geschaffen wurden. „Städte wie Montréal (1976), Atlanta (1996) oder Athen (2004), für die Olympische Spiele am Ende zum Desaster wurde, haben den Fehler begangen, dass ihre Konzepte mit den Spielen endeten und sie hilflos vor einem Berg von Ausgaben saßen. München (1972) und Barcelona (1992) und mit Abstrichen Sydney (2000) haben gezeigt, wie Olympia die Entwicklung einer Stadt befeuern kann.“

Kosten und Nutzen möglicher Sommerspiele in Hamburg weit im Voraus zu berechnen, sei schwierig und höchst spekulativ, auch seien Auswirkungen wie gewachsener Stolz auf die Stadt, eine verbesserte Stimmung und eine stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl, weiche Standortfaktoren also, kaum seriös zu kalkulieren. Auch die Stadt hält sich mit konkreten Zahlen bislang zurück. Schätzungen gehen derzeit davon aus, dass Olympia 2024 rund sechs Milliarden Euro kosten würden, wovon Hamburg vermutlich bis zu zwei Milliarden zu tragen hätte, den Rest würden Bund und IOC beisteuern.

„Wenn ich zwei Milliarden ausgebe und dafür einen Gegenwert von sechs Milliarden erhalte, habe ich als Stadt ein grandioses Geschäft gemacht“, sagen Quitzau und Vöpel. Zudem stelle sich das Problem, welche Kosten man Olympia anlaste. Gehört zum Beispiel der Bau der Hafenquerspange dazu, die Instandsetzung von Brücken, Schienen und Straßen oder die Verlängerung der U-Bahn-Linie 4 von der HafenCity nach Harburg? Das seien alles Investitionen, die ohnehin irgendwann getätigt würden, Olympia beschleunige bloß die Umsetzung dieser Projekte.

„Entscheidend bleibt die Qualität des Konzepts“, sagen die beiden Autoren der Studie. Hamburg berücksichtige bei seinen Plänen die Kritik und Erfahrungen anderer Städte, schwöre jeder Form von Gigantismus ab und sehe Olympia nur als Zwischenschritt für seine weitere Entwicklung. Zudem sei ein Großteil der Verkehrs- und Sportinfrastruktur vorhanden. Dies sei stets ein Problem der Schwellenländer gewesen, die diese Infrastruktur für viele Milliarden erst schaffen mussten.

Hamburg sei eine wohlhabende Region. Quitzau: „Hier ist fast alles da, um Olympia zu machen.“ Die einzigen Großinvestitionen seien das Olympiastadion, die Olympiahalle und das Schwimmstadion auf dem Kleinen Grasbrook. Für alle drei Bauten gebe es bereits plausible Konzepte der Nachnutzung. „Vieles spricht dafür, dass es in Hamburg keine großen Fehlinvestitionen geben werde“, sagen Quitzau und Vöpel. Hamburg berücksichtige ökologische und soziale Aspekte. Der Kleine Grasbrook solle nach den Spielen ein gemischter Stadtteil werden, eine elitäre Nutzung sei also nicht vorgesehen.

Grundsätzlich lasse sich heute nicht genau sagen, was am Ende herauskomme. Da brauche es ein gewisses Vertrauen, dass das Konzept wie geplant umgesetzt werde und später auch alles funktioniere. Das Misstrauen gegenüber Großprojekten sei in Deutschland derzeit groß. Quitzau: „Vertrauen kann man aber nicht erzwingen, das muss man sich erarbeiten.“ Wer Olympia nach Hamburg holen will, muss „informieren, informieren. Und Transparenz herstellen. Alle Zahlen müssen veröffentlicht werden.“ Nur mit dieser Offenheit habe Hamburg in der Bevölkerung eine Chance, sich die Zustimmung in einem Referendum zu holen.

Transparenz werde auch für das IOC zur entscheidenden Frage. Die vielen Herren und wenigen Damen der Ringe seien aufgerufen, „die Ausrichtung von Olympischen Spielen in Demokratien wieder handhabbar zu machen“, sagt Vöpel. „Das hat viel mit Vertrauen, Partizipation und eben Transparenz zu tun.“ Hamburgs Bewerbung sei hilfreich für den von Präsident Thomas Bach angestoßenen Reformprozess. Wenn das IOC wirklich keine überdimensionierten Spiele mehr wolle, wären sie an Elbe und Alster möglich. „Hamburg muss sich nicht anbiedern, sondern klare Kante zeigen“, sagt Quitzau. Das Konzept der Hansestadt sei eine große Chance für die Reformer im IOC, Olympia wieder pluralistischen Gesellschaften zu vermitteln. Am Ende könnte es sogar zwei Olympiasieger geben: Hamburg und das IOC.

Ökonomen würden das eine Win-win-Situation nennen.