Elf Olympische Sommerspiele von München 1972 bis London 2012 zeigen, was man falsch machen kann – und wann ein Nutzen für die Stadt entsteht

Hamburg. Manchmal liegt das Gute so nahe. Und hätte es nicht das schreckliche Attentat eines palästinensischen Terrorkommandos auf das Quartier des israelischen Teams mit 17 Toten gegeben, Münchens Sommerspiele von 1972 könnten ein Vorbild sein für Hamburg. Gerade einmal zwei Milliarden Mark, etwa eine Milliarde Euro, machen sie aus heutiger Sicht zu Schnäppchen-Spielen, eingeschlossen ist eine enorm verbesserte Verkehrsinfrastruktur mit neuen S- und U-Bahn-Linien und einer Entlastung des innerstädtischen Verkehrs.

Die Finanzierung über Münzen, Olympia-Lotterie, Glücksspirale und Sonderbriefmarken fand breite internationale Nachahmung, für Deutschland ist sie nicht wiederholbar. Der Steuerzahler musste damals lediglich für ein Drittel der Gesamtkosten aufkommen. Der Bund übernahm davon die Hälfte, den Rest teilten sich das Land Bayern und die Stadt München als der große Gewinner. Nennenswerte Sponsorengelder gab es noch nicht, das Geschäft mit den Fernsehrechten (siehe Infokasten unten) befand sich noch in den Kinderschuhen.

Zum Mittelpunkt wurde der Olympiapark mit der Zeltdach-Schöpfung des Olympiastadions, das dem Architekten Günther Behnisch Weltruhm einbrachte. Und auch zu einem Weltrekord olympischer Nachhaltigkeit führte: Das auf drei Quadratkilometern entwickelte Ensemble aus Architektur und Landschaft wurde bis heute 190 Millionen Mal besucht, 11.500 Veranstaltungen fanden statt. Ein visuelles Erscheinungsbild, geschaffen von dem Grafiker Otl Aicher, setzte olympische Maßstäbe genauso wie ein kulturelles Beiprogramm. Zudem machte München zu einer frühen Realität, was der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach in seiner Agenda 2020 als jüngste Reform anpreist: Die Regionalisierung der Spiele als Entlastung der Stadt. Gesegelt wurde vor Kiel, Kanuslalom fand in Augsburg statt und Vorrundenspiele im Fußball und Handball in sieben Städten zwischen Passau und Ulm.

Alles wäre gut gewesen, wenn das schreckliche Attentat nicht die Spiele geschändet hätte. Und das auch durch die Unterschätzung der Bedrohungslage. Die junge westdeutsche Republik wollte ihr friedliches Gesicht zeigen, dokumentiert dadurch, dass sie 4000 Sicherheitskräfte in Trainingsanzügen auftreten ließ. Zurück blieben Spiele, deren Glanz an ihrem Ende verdunkelte. Übrig blieb die bittere Erkenntnis, dass fortan die Sicherheit die größte Herausforderung für Olympische Spiele sein würde.

Vier Jahre später endeten Montreals Spiele in einem Finanzdebakel, vergleichbar nur mit den Olympischen Spielen 2004 in Athen. Aus dem Slogan der Bewerbung „bescheiden, billig, selbst finanziert“ wurde ein Milliardengrab. Allein der „Parc Olympique“ mit dem aufwendigen Olympiastadion verschlang 1,4 Milliarden Dollar (1,7 Milliarden Euro), ein umfassendes Verkehrsprojekt mit geplanten 7,4 Milliarden Dollar (6,2 Milliarden Mark) musste gestoppt werden. Streiks verzögerten die Bauvorhaben so sehr, dass das IOC mit dem Entzug der Spiele drohte und sich München als Ersatz anbot. Das Olympiastadion blieb zu den Spielen unvollendet.

Das olympische Erbe hatte für Montreal katastrophale Auswirkungen: Das Wirtschaftswachstum ging zurück, die Stadt verlor dramatisch an Einwohnern. Da die kanadische Regierung von Anfang an eine Kostenbeteiligung verweigert hatte, dauerte es 30 Jahre, bis Montreal seine Olympiaschulden über Steuererhöhungen abgestottert hatte.

Auch bei den Spielen in Athen sah sich das IOC genötigt, der Stadt mit der Drohung einer Verlegung Beine zu machen. Streiks hatten für eine enorme Verzögerung gesorgt. Die Rückkehr Olympias 108 Jahre nach den Gründerspielen 1896 wurde zu einer einzigen Überforderung für die kleine Volkswirtschaft Griechenlands mit seinen rund elf Millionen Einwohnern. Aus geplanten Kosten von 1,25 Milliarden Euro für die Sportstätten wurden sieben Milliarden. Mit dem Aufwand für die Infrastruktur summierten sich die Gesamtkosten auf fast 20 Milliarden Euro. Sie waren der Ausgangspunkt für die gegenwärtige Schulden- und Wirtschaftskrise des Landes. Ruinengleiche Wettkampfstätten wirken als olympische Mahnmale fehlender Nachhaltigkeit – und als Paradebeispiel für eine verfehlte Vergabepolitik des IOC.

Die Boykottspiele in Moskau 1980 und Los Angeles 1984, als erst die meisten westlichen Länder wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan und dann der kommunistische Block als Revanche fernblieben, wirkten überhaupt nicht beispielhaft. Moskau feierte die Rumpfspiele mit Pomp als Triumph des Kommunismus. Los Angeles setzte dagegen ein kapitalistisches Modell. Es organisierte die Spiele, gegen den anfänglichen Widerstand des IOC, ohne jeden Staats-Dollar als privat organisierte Spiele, sammelte das Geld von 62 Sponsoren ein und erzielte dabei einen bisher einmalig hohen Überschuss von 230 Millionen Dollar. Zu den Kompromissen, die das IOC in schwierigsten politischen Zeiten dem einzigen Bewerber Los Angeles einräumen musste, zählte die Zulassung von drei olympischen Dörfern auf dem Campus dreier Universitäten mit deren Studentenunterkünften.

Ein Vermächtnis blieb ebenso wenig übrig wie bei den nächsten Spielen in den USA 1996 in Atlanta. Dort war der berührendste Moment die Entzündung des olympischen Feuers durch den großen, schon von schwerer Krankheit gezeichneten Muhammad Ali. Im merkantilen Gewusel der „Coca-Cola-Spiele“ ließ eine nachlässige Sicherheit ein Bombenattentat im Olympiapark zu, das zwei Tote und 111 Verletzte forderte. Als das 85.000 Zuschauer fassende, neu erbaute Olympiastadion zu einem Baseball-Stadion halbiert wurde und von nun an nur noch „Turner Field“ hieß, waren die letzten olympischen Überreste in Atlanta getilgt.

Das IOC ließ sich das Entgegenkommen gegenüber dem US-Fernsehen, die Eröffnungsshow um einen Tag vorzuverlegen, mit 70 Millionen Extra-Dollar abkaufen. Seitdem dauern Olympische Spiele 17 Tage und damit einen Tag länger.

Die Spiele 1988 in Seoul, nur 58 Kilometer entfernt von der Todesgrenze zu dem verfeindeten koreanischen Bruderstaat im Norden und auch unter dem Schutz von Einheiten der US-Armee veranstaltet, bildeten gar eine Zäsur im olympischen Geschäftsgebaren. Erstmals wirkte die vom spanischen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch geschaffene neue Finanzordnung: Alle Einnahmen aus dem Geschäft mit dem Fernsehen und den bis zu zwölf internationalen Top-Sponsoren gingen fortan an die Herren der Ringe und werden nach einem System innerhalb der sogenannten olympischen Familie aufgeteilt. Der Olympiastadt bleiben neben den Eintrittskarten-Einkünften die nationalen Sponsoreneinnahmen und dazu eine Rücküberweisung des IOC.

Für die Spiele 2016 in Rio de Janeiro werden sie auf 1,5 Milliarden Dollar (derzeit 1,32 Milliarden Euro) gestiegen sein, für 2024 darf der Ausrichter mit rund zwei Milliarden Dollar (1,76 Milliarden Euro) rechnen. Was Seoul 1988 auch besonders machte: Es waren nach zwei Boykottspielen die Vereinigungsspiele von Ost und West. Und dann wurde auch noch ein traditionelles Friedenssymbol zu Grabe getragen. Weil bei der Eröffnung aufsteigende Tauben sich mit dem olympischen Feuer ein falsches Ziel ausgesucht hatten, gilt von da an ein Taubenverbot.

Jenseits der Monumentalspiele in Peking 2008 in einem totalitären, menschen-unfreundlichen Umfeld bleiben als hervorragende, fruchtbare Beispiele die Spiele in Barcelona 1992, Sydney 2000 und London 2012. Die katalanische Kapitale, erstmals auch Ausrichter der Paralympics, hat sich durch Olympia neu erfunden, die gesamten Investitionen haben sich amortisiert.

„Die Stadt steht mit dem Rücken zum Meer“, hieß es lästerlich in Spanien. Durch die Spiele hat Barcelona das Mittelmeer zurückgewonnen und darüber hinaus seine gesamte Verkehrsinfrastruktur enorm verbessert. Das Strandgebiet war durch Schienenstränge abgegrenzt und durch marode Industrieanlagen besetzt. Gewandelt wurde es in einen „Parc del Mar“ mit Segelhafen zum Erholen und mit dem dort angesiedelten Olympischen Dorf als hervorragendes nacholympisches Wohnen. Dass die Deutschen in der Mittelmeermetropole ihre olympische Wiedervereinigung feierten, war ein besonders emotionaler nationaler Effekt.

Sydney und London entwickelten auf industriell verseuchtem Brachland ihre Olympiazentren. Unter Nutzung und Rückbau der Sportanlagen erwuchsen neue, grüne Stadtteile. Im Westen von Sydney hat sich das Olympiagelände auf der Homebush Bay inzwischen auf eine Parkanlage über 430 Hektar geweitet, auch Unternehmen siedelten sich an, es entstanden 13.000 Arbeitsplätze. Durch die Trennung der durch Olympia bedingten Kosten in Höhe von bis zu drei Milliarden Euro vom Aufwand für Stadtentwicklung begreift ein großer Teil der Bevölkerung in Barcelona, Sydney und London die Spiele längst als einen preiswerten Zugewinn und ein zu bewahrendes Vermächtnis. Kein weißer Elefant weit und breit, dazu der Nachhall eines großen Festes, das von riesiger Begeisterung getragen war – das könnten Hamburgs Beispiele und auch Vorbilder sein.