Die Initiative (N)Olympia lehnt die Spiele nicht grundsätzlich ab. Sie sieht aber ein großes Kostenrisiko für die Stadt und fürchtet steigende Mieten

Hamburg. Eigentlich ist es der Fußball, der Dirk Seifert auch heute noch interessiert. Beim ETSV Fortuna Glückstadt spielte er seit seinem sechsten Lebensjahr, hin und wieder sogar in der Verbandsliga Schleswig-Holstein. Da war er Linksaußen und, darauf legt er besonderen Wert, auch Libero. Irgendwann hat er aufgehört, „als die Wehwehchen schlimmer wurden, und ich nach Hamburg gezogen bin“. Eine Zeitlang habe er Spiele des FC St. Pauli besucht, „bis der Spaßfaktor auf der Tribüne das Elend des Spiels auf dem Rasen nicht mehr übertünchen konnte“.

Heute macht Seifert, 54, andere Schlagzeilen. Er engagiert sich gegen mögliche Olympische Sommerspiele in Hamburg. Ganz richtig ist das in dieser Absolutheit nicht, denn Seifert sagt: „Ich bin die Klammer bei (N)Olympia.“ Gegen Sport könnte ja niemand was haben, aber der Preis und die Bedingungen für eine solche Großveranstaltung müssten stimmen. Er gehöre zu denjenigen, die fragen: Gehen Olympische Spiele nachhaltig, klimaverträglich, verkehrstechnisch sinnvoll und sozial gerecht? Verschwindet der Stadtteil Moorburg, wenn die Hafenbetriebe vom Kleinen Grasbrook auf Ersatzflächen umgesiedelt werden müssen? Und vor allem: Ist Olympia zu bezahlen, wie und von wem, und wer profitiert von den Spielen? Seine Antwort: „Ich bin überzeugt davon, dass Hamburg keine Olympischen Spiele braucht, um sich zu entwickeln. Die Stadt ist dank ihres Hafens bereits weltbekannt.“

Der parteilose Politikwissenschaftler, Energieexperte und Blogger („umwelt FAIRaendern.de“) arbeitet im Bundestag für den Linken-Abgeordneten Hubertus Zdebel aus Münster. Wieso er sich mit der Olympiabewerbung Hamburgs befasst? „Mich hat es aus den Schuhen gehoben, als die Handelskammer vor gut einem Jahr begann, Olympia in Hamburg zu forcieren. Da war ich richtig baff“, erzählt Seifert. Gerade sechs Wochen sei es zu diesem Zeitpunkt her gewesen, dass die Münchner Winterspiele in ihrer Region von der Bevölkerung mit vier Volksentscheiden abgelehnt waren, dazu standen im Februar 2014 die skandalösen Spiele im russischen Sotschi an, für Seifert der Tiefpunkt des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). In seinem Blog spottete er damals: „Wenn schon, denn schon: Winterspiele für Hamburg!“

Ohnehin übt die Handelskammer Hamburg aus seiner Sicht „viel zu großen Einfluss“ aus. Schon deren Millionen Euro schwerer Einsatz gegen den Rückkauf der Energienetze hatte Seifert verärgert, und der damalige Erfolg im Volksentscheid ermuntert ihn jetzt aufs Neue, die Auseinandersetzung mit der mächtigen Wirtschaftsvertretung zu suchen. „Wenn man so will, empfinde ich das auch als sportliche Herausforderung.“ (N)Olympia, schränkt Seifert ein, sei ihn Hamburg noch keine Bewegung. Etwa 25 Leute hatten sich im August getroffen, Vertreter der Umweltverbänden, darunter der BUND, Aktivisten der Initiative „Recht auf Stadt“ und Parteienvertreter, um analog der 13 Fragen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) an die Bewerberstädte Berlin und Hamburg, ebenfalls 13 (kritische) Fragen zu formulieren, drei zum Problem IOC, zehn an Hamburg. Die Antworten seien „unbefriedigend, weil sehr allgemein“ ausgefallen.

Das Hauptproblem, sagt Seifert, sei momentan, dass eigentlich niemand wissen könne, wofür oder wogegen er ist, solange die Kosten der Spiele nicht berechnet sind. Dass der Senat dies erst nach einem eventuellen Zuschlag des DOSB machen wolle, vorher kein Geld dafür verschwenden möchte, halte er aber für sinnvoll.

„Daher befinden wir uns in einem komischen Zwischenstadium, in dem sich nur die Befürworter formieren. Die einschlägigen Initiativen, die sich mit Stadtentwicklung befassen, warten derzeit ab, glauben bislang nicht, dass Hamburg als olympische Bewerberstadt tatsächlich benannt wird. Jenseits der Handelskammer und Fachorganisationen befasst sich kaum jemand mit Thema. Selbst in den Sportverbänden diskutieren meistens nur die Vorstände über Olympia.“ Das werde sich erst ändern, würde sich der DOSB für Hamburg aussprechen und danach das Referendum über die Kandidatur anstünde.

Dem Senat wirft Seifert vor, dass die von der Bürgerschaft im vergangenen Mai geforderte Machbarkeitsstudie zu Olympia bis heute nicht vorliegt. Das schaffe kein Vertrauen. Die Stadtregierung habe sich einseitig für Olympia positioniert, „das widerspricht dem Ansinnen des Bürgerschaftsbeschlusses, der für eine offene Debatte in allen Stadtteilen plädierte, für ein ehrliches Pro und Kontra“.

Olympische Spiele seien ein hohes Risiko für die Stadt, sagt Seifert. Unter großem Zeitdruck würden der Politik Entscheidungen abverlangt, die das Zusammenleben in Hamburg auf Dauer erschweren, soziale Konflikte verschärfen könnten. „Olympia kann zum Brandbeschleuniger werden. Alle Seiten müssen deshalb bereit sein, alles offen auf den Tisch zu legen und zu diskutieren.“ Der Senat müsse dafür endlich eine offene Plattform schaffen und ernsthafte Pro- und Kontra-Diskussionen möglich machen.

Im Referendum will Seifert auch über ein Ausstiegsszenario abstimmen

Seiferts größte Sorgen: Mit Olympia kommen große, mächtige Investoren in die Stadt. Dadurch erhöhe sich der Druck auf begehrte citynahe Flächen, überall würden dann Mieten explodieren, die schon heute in einigen Bezirken kaum bezahlbar sind. „Hamburg muss aufpassen, dass es nicht sein kreatives Potenzial verliert. Der Erhalt der Subkultur ist viel entscheidender für die Entwicklung und Lebensqualität unserer Stadt, als es Olympia sein könnte. Um innovative Unternehmen in die Stadt zu holen, brauchen wir die Spiele nicht.“ Hamburg habe auch kein Tourismusproblem. Die Bewohner der innerstädtischen Stadtteile seien mit Besuchern und Events „bereits jetzt über die Maßen belastet. Genug ist genug!“

Dennoch gibt es für Seifert Brücken, über die er für Olympia gehen würde: Wenn der Senat einen gesetzlichen Milieuschutz verabschiedet, gewisse städtische Räume für unverkäuflich definiert, Mieten deckelt und soziale Messlatten anlegt. „Dann könnten wir auf den Senat möglicherweise zugehen.“ Das aktuelle Hamburger Olympiakonzept sei „sicher kein Gigantismus“, sagt Seifert. Aber der Teufel stecke im Detail. „Für die Umlagerung und Neuansiedlung der Hafenbetriebe wird von Summen von bis zu sieben Milliarden Euro geredet, die das kosten könnte. Das geht natürlich gar nicht.“ Interessant sei da, dass US-Kandidat Boston seinen Bürgern verspricht, für Olympia keine Steuergelder zu verwenden.

Für das bei Zuschlag im Herbst geplante Referendum empfiehlt Seifert einen differenzierten Abstimmungstext, – kein bloßes „Ja“ oder „Nein“ –, „in dem genau drin steht, wann Hamburg die Reißleine in den Verhandlungen mit dem IOC ziehen muss“. Denkbar wäre für ihn etwa eine Formulierung, mit der das Budget klar gedeckelt werde: „Falls die Kosten dann aus dem Ruder laufen, muss die Stadt ihre Bewerbung zurückziehen.“

Dem IOC traut Seifert trotz der im Dezember in Monte Carlo beschlossenen Reformen weiter nicht über den Weg. „Einige Dinge weisen in die richtige Richtung. Aber das IOC hatte auch keine Wahl, wenn es Olympia nicht nur in Diktaturen abhalten will. Meine Skepsis ist: Wirklich nachhaltige Veränderungen werden erstritten, nicht mit stalinistischen Mehrheiten durchgestimmt.“ Das IOC hatte alle 40 Reformvorschläge einstimmig beschlossen. Seifert fürchtet, dass das IOC trotz gegenteiliger Beteuerungen auch künftig Einfluss auf die Konzepte der Ausrichter nimmt. Die europäischen Bewerber müssten das Konkurrenzsystem des IOC durchbrechen, gemeinsam einen Anforderungskatalog für Olympia aufsetzen, an den sich alle Städte der EU zu halten haben. „Damit wäre gesichert, dass für das IOC nicht soziale und ökologische Standards geopfert werden.“