Bewohner in Wilhelmsburg suchen dringend nach Unterkünften. Diese Rechte haben Mieter bei einem unverschuldeten Wohnungsverlust.

Wilhelmsburg. So hatten sich die Bewohner des Mehrfamilienhauses in Wilhelmsburg den Start in das neue Jahr sicher nicht vorgestellt. Eine Silvesterrakete traf in der vierten Minute des neuen Jahres das Dachgeschoss in der Georg-Wilhelm-Straße und setzte dieses in Brand (das Abendblatt berichtete). Jetzt steht fest: Die Wohnungen sind durch die Löscharbeiten langfristig nicht mehr bewohnbar. Die 25 Mieter stehen im Wortsinne vor dem Nichts.

Einer dieser Bewohner, Tim Rudnick, arbeitete zu der Zeit auf einer Silvesterparty, als ihm sein Mitbewohner von dem Feuer erzählte. „Ich habe nicht begriffen, was das für mich bedeutet. Ich hatte einfach nur ein großes Fragezeichen vor meinen Augen“, sagt der 36-Jährige. Einige Mieter waren zur Zeit des Brandausbruchs jedoch auch im Haus. Natalija Mirkovic lag schon im Bett, als sie einen Anruf von einer Freundin erhielt. „Ich habe es im ersten Moment gar nicht ernst genommen, als sie sagte, ich soll das Haus verlassen, weil es brennt. Ich dachte, sie wollte mich nur nach unten bekommen, es war ja Silvester.“ Die Freundin feierte im Erdgeschoss im Café Milan, wo Passanten schreiend die Besucher auf den Brand aufmerksam gemacht hatten.

Alle Bewohner konnten sich rechtzeitig retten. Die Feuerwehr traf ein, löschte mit 66 Feuerwehrleuten den Brand und zog wieder ab. Die Polizei untersuchte das Gebäude und versiegelte die Eingänge. Die Mieter trafen sich zufällig alle nach und nach vor ihrem Haus. Ratlos, wie sie an ihre Sachen kommen sollten. Ratlos, wo sie übernachten sollten. Ratlos, wie es weitergehen sollte.

Jeder der Anwohner suchte sich seinen eigenen Weg durch den Tag nach der Katastrophe. Die beiden Mitbewohner von Rudnick schafften es am Nachmittag des 1. Januars mit Begleitung eines Feuerwehrmanns in die WG. Sie holten sich einige private Gegenstände und Fotos. Andere, wie eben Tim Rudnick, mussten noch arbeiten. Wieder andere zogen von einer Kneipe zur anderen. Fast alle Bewohner des Hauses fanden für die erste Nacht eine Unterkunft bei Freunden und Bekannten.

Unklarheit herrscht bei den Betroffenen jedoch darüber, welche rechtlichen Möglichkeiten und Pflichten sie nach dem Wohnungsverlust haben. Wenn ein Mietvertrag besteht, dann gilt dieser als Anspruch auf eine Wohnung. Das bedeutet, nach einem unverschuldeten Verlust der Wohnung, stehen dem Mieter zwei Optionen offen. „Zum einen haben Mieter das Recht auf eine angemessene Ersatzunterbringung vom Vermieter. Das kann zum Beispiel ein Hotel sein“, sagt Siegmund Chychla, stellvertretender Vorsitzender desMietervereins zu Hamburg: „Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass der Mieter die Miete um 100 Prozent mindert. Dann besteht aber kein Anspruch mehr auf eine Unterbringung durch den Vermieter.“ Auch das jeweilige Bezirksamt kann Betroffenen helfen. Die Fachstelle für Wohnungsnotfälle kümmert sich um eine Ersatzunterbringung, wenn Obdachlosigkeit droht. Für Möbel und sonstige persönliche Gegenstände in der Wohnung sind jedoch alleine die Mieter zuständig. Wenn keine Hausratsversicherung besteht, müssen die Sachen von den Mietern selbst ersetzt werden.

Auf Nachfrage des Abendblatts wollte sich der Hauseigentümer „Frank Sengpiel Automaten“ nicht zu möglichen Renovierungsarbeiten oder Unterstützung der Mieter äußern. Tim Rudnick bekam aber unkonventionell Hilfe angeboten. Er nutze das soziale Netzwerk Twitter und schrieb am zweiten Tag nach dem Brand: „Hat jemand einen Schlafsack zu verschenken? Nach Hausbrand alles futsch & Whg nicht mehr bewohnbar. Freies Zimmer wäre auch nicht schlecht.“ Der Tweet verbreitete sich in ganz Deutschland. Daraufhin bekam er von ihm unbekannten Personen einen Schlafsack geschenkt und Übernachtungsmöglichkeiten angeboten. Natalija Mirkovic und andere Bewohner kommen für die ersten Tage in Hotelzimmern unter, die ihnen das Bezirksamt Mitte unkonventionell stellte. Außerdem sollen Dringlichkeitsscheine ausgestellt werden, damit die Hausbewohner schnell in eine andere Wohnung umziehen können.