Präses Melsheimer vermisst Koordination der Baustellen in Hamburg. Dennoch viel Lob für den Senat. Präses fordert, Deutschland müsse sich global stärker engagieren. Warnung vor „Kaltem Krieg“.

Altstadt. Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer hat in seiner Jahresabschlussrede deutliche Kritik an der Verkehrs- und Wissenschaftspolitik des SPD-geführten Senats geübt. Insgesamt bekam die Rathaus-Regierung, vor allem aber Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), allerdings gute bis sehr gute Noten für die zu Ende gehende Legislaturperiode. „Der Bürgermeister hat, wie ich meine, sein Versprechen gehalten, uns ordentlich zu regieren. Dafür sage ich danke“, sagte Melsheimer bei der traditionellen Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg am Silvestertag im Börsensaal der Handelskammer.

Melsheimer setzte sich in der Verkehrspolitik vor allem mit den Straßenumbaumaßnahmen in der Folge des Busbeschleunigungsprogramms kritisch auseinander, ohne diesen Begriff zu verwenden. Den Rückbau von Busbuchten und die Schaffung „völlig unnötiger Verkehrsinseln“ in der Langen Reihe (St. Georg) nannte der Handelskammer-Präses „ein Stück aus Schilda und zudem angesichts langer Sperrungen rücksichtslos gegenüber den Geschäftsinhabern“. Melsheimer wurde deutlich: „Diese Maßnahme gehört gestoppt und grundsätzlich überdacht.“

Melsheimer kritisiert den Umbau der Papenhuder Straße

Ähnliches gelte für die Papenhuder Straße (Uhlenhorst), wo 40 Parkplätze wegfallen sollen, damit die Busse schneller und in kürzeren Abständen fahren können. Der Präses hielt seinem Amtsvorgänger, dem jetzigen Verkehrssenator Frank Horch (parteilos) vor, „ein Ausbremsen übereifriger Verkehrsplaner wäre nicht verkehrt gewesen“. Melsheimer lobte Horch allerdings für den Abbau des Sanierungsstaus bei den Straßen, wenngleich dies zu zahlreichen Baustellen geführt hätte, die den Hamburgern viel zugemutet hätten. „So viel Mut ist selten in der Politik“, sagte Melsheimer und fügte unter dem Lachen vieler Zuhörer hinzu: „Nur bei der Koordination der Baustellen hätten wir uns ein ähnlich zupackendes Verhalten gewünscht.“

In der Wissenschaftspolitik forderte Melsheimer eine Änderung des Bewusstseins. Der Hafen werde für Hamburg zentrale Bedeutung behalten. Es sei aber an der Zeit, ein „zweites Eisen ins Feuer“ zu legen, um den Wohlstand auf Dauer nicht zu gefährden. „Dieses zweite Eisen ist Hamburg als Standort für wissenschaftliche Exzellenz und Hochtechnologie“, so der Präses. Dies werde in vielen Papieren zwar immer wieder gefordert, aber „wir müssen vom Reden und Rufen endlich zu einem noch entschlosseneren Tun gelangen“.

Es gebe erste Schritte wie den Beitritt zur Fraunhofer-Gesellschaft. „Doch große Würfe erfordern mehr. Hier müssen richtig Prioritäten verschoben und Geld in die Hand genommen werden“, sagte der Präses. „Hierzu können Sie, Herr Bürgermeister, der Sie ja vielleicht Ihr eigener Nachfolger sind, eine ganze Menge beitragen.“

Ausdrückliches Lob erntete der Senat für seine Finanz- und Wohnungsbaupolitik sowie den Ausbau der Windenergiebranche seit dem Regierungswechsel 2011. Erneut beschwor Melsheimer die Chancen einer erfolgreichen Olympia-Bewerbung Hamburgs für 2024 oder 2028 und bedankte sich bei Scholz und Innensenator Michael Neumann (SPD) für deren Engagement.

Melsheimer forderte angesichts der Hängepartie bei der gerichtlichen Entscheidung zur Elbvertiefung eine umfassende Reform des Umwelt- und Planungsrechts. Parlamente, nicht Gerichte, müssten die letzte Entscheidung über Großprojekte haben. Allerdings sollten Umweltverbände frühzeitig in die Planungen eingebunden werden. „Die abermalige zeitliche Verzögerung dieses für die Metropolregion mit Abstand wichtigsten Infrastrukturprojekts wirft international Zweifel an der Verlässlichkeit derartiger Planungen in Deutschland auf“, mahnte Melsheimer. Einen Teil der Verantwortung für die Verzögerung einer Entscheidung sieht der Präses in den EU-Bestimmungen: „Dass dieses Verfahren auch durch eine offensichtlich nicht justiziable Richtlinie verzögert wird, ist skandalös.“

Einen weiteren Ausbau der direkten Demokratie zulasten von Bürgerschaft und Bezirksversammlungen lehnte der Kammer-Präses ab. Im Gegenteil: Melsheimer kündigte ein Positionspapier der Kammer an, das eine Stärkung der repräsentativen Demokratie zum Ziel hat. Unter anderem werde es darum gehen, die Fragestellungen bei Volksentscheiden zu präzisieren, die finanziellen Auswirkungen mit zur Abstimmung zu stellen und eventuell die erforderlichen Zustimmungsquoren zu erhöhen. Dass der Verein „Mehr Demokratie“ jetzt vorschlage, Hamburg in 23 Einzelkommunen aufzulösen, sei „so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir brauchen“.

Deutschland soll sich global stärker engagieren

Im internationalen Teil seiner Rede warnte Melsheimer vor der „Gefahr eines neuen Kalten Krieges“. Die Sanktionen gegen Russland als Folge des Ukraine-Konflikts hätten sich, wie erwartet, als zweischneidig erwiesen und zu direkten Beeinträchtigungen der Hamburger Wirtschaft geführt. Es gelte, auch die russische Sicht der Dinge zu berücksichtigen. „Es gibt keine Alternative zu einer politischen Lösung und einem raschen Ausweg aus der Sackgasse der Wirtschaftssanktionen.“

Deutschland müsse sich als viertgrößte Volkswirtschaft insgesamt stärker global engagieren. „Es ist an der Zeit, dass wir mehr Verantwortung in der Welt übernehmen“, sagte Melsheimer. Er ermahnte die Große Koalition, die Vorreiterrolle in der Europäischen Union nicht aufzugeben: „Deutschland darf es sich nicht leisten, wirtschaftspolitisch auf der Stelle zu treten oder sich gar im Strom zurücktreiben zu lassen.“ Die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns oder die Mütterrente hätten falsche Signale gesetzt.

Rund 2200 Kaufleute und Vertreter von Politik, Kirchen, Behörden und Gewerkschaften kamen zur Versammlung des Ehrbaren Kaufmanns. Traditionell sind neben dem Bürgermeister auch fast alle Senatoren anwesend.