Flüchtlingsunterkünfte sind ein heikles Thema. Das es auch anders geht, zeigt das Engagement der Anwohner in Groß Borstel. Seit Jahren sind in verschiedenen Einrichtungen Flüchtlinge untergebracht.

Groß Borstel. Ein nasskalter Herbsttag, das fahle Licht vor der Wohnunterkunft für Flüchtlinge und Wohnungslose an der Borsteler Chaussee verschluckt alle Farben. Sobald man aber die Tür öffnet, fallen dem Besucher die bunten Blumen an den Wänden ins Auge und der Tausendfüßler, der sich an der Treppe die Wand entlangschlängelt. Hier hat offensichtlich jemand der Tristesse etwas entgegengesetzt.

Ingrid Steinborn, 62, und Verena Ziegler, 66, sind die beiden ehrenamtlichen Helferinnen, die sich in der öffentlichen Unterkunft in Groß Borstel engagieren – sie leiten die Kreativgruppe für die Kinder. Die beiden Frauen stehen stellvertretend für viele Ehrenamtliche – im Stadtteil, aber auch in ganz Hamburg. In Groß Borstel mit knapp 8000 Einwohnern sind seit etlichen Jahren viele Flüchtlinge untergebracht. In den vergangenen Wochen hat es vielfach Proteste gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte gegeben, auch die Klagen gegen die geplante Unterkunft an der Sophienterrasse in Harvestehude hat für Aufsehen gesorgt.

„Niemand käme in Groß Borstel auf die Idee, zu klagen“, sagt Ingrid Steinborn. Neben den 94 Plätzen an der Borsteler Chaussee gibt es noch die Erstaufnahmeeinrichtung an der Sportallee mit 412 Plätzen, eine Wohnunterkunft mit 260 Plätzen, das Jakob-Junker-Haus, ein Heim der Heilsarmee für wohnungslose Männer mit 76 Plätzen, sowie eine Einrichtung für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge mit 19 Plätzen und die Borsteler Tafel.

Die Kreativgruppe von Ingrid Steinborn und Verena Ziegler ist gerade dabei, den Flur im ersten Obergeschoss der Unterkunft zu verschönern. Die beiden Frauen sind jeden Mittwoch ein paar Stunden hier, um mit den Kindern zu malen. „Wir haben das Gefühl, dass wir den Kindern etwas geben können“, sagt Verena Ziegler, die bis zu ihrer Pensionierung als Kulturmanagerin gearbeitet hat. Jochebed, sieben, Ruth, neun, und Rejoice, vier, kommen regelmäßig in die Gruppe. Die drei Schwestern leben mit ihrer Mutter, einer Ghanaerin, und sechs weiteren Geschwistern seit 2013 in dem Haus. Die Mädchen sind alle in Amsterdam geboren und mit Niederländisch aufgewachsen – so viel haben Ingrid Steinborn und Verena Ziegler herausbekommen. Die Frauen urteilen nicht, sie haben einfach die Notwendigkeit gesehen, zu helfen. „Ich wollte etwas Sinnvolles machen“, sagt Ingrid Steinborn, die seit elf Jahren in Groß Borstel lebt.

So können Sie helfen

Ganz handfest ist auch die Arbeit der Borsteler Tafel im Jakob-Junker-Haus. Seit April 2013 können sich Bedürftige einmal pro Woche mit Lebensmitteln eindecken. 160 Kunden stehen inzwischen auf der Liste. Jede Woche kommen 80 bis 100 Menschen aus den umliegenden Stadtteilen, von denen einige bis zu sieben Familienmitglieder versorgen müssen. Armut und Not sind auch in Alsterdorf, Lokstedt, Niendorf, Winterhude, Eppendorf und Groß Borstel zu Hause. Oftmals nicht auf den ersten Blick sichtbar, gibt es auch in diesen Stadtteilen Arbeitslosengeld- und Grundsicherungsempfänger sowie Rentner mit geringen Bezügen. Sie zahlen einen symbolischen Euro. Wer sechs Wochen lang nicht da war, wird aus der Liste der Empfänger gestrichen. Sonst würde das Angebot der Tafel inzwischen nicht mehr reichen. Seit immer mehr Flüchtlinge nach Hamburg kommen, sei auch ihr Anteil an den Lebensmittelempfängern gestiegen, sagt Luise Schröder, Leiterin des Jakob-Junker-Hauses. „Es sind viele Kinder dabei.“

Eine feste Gruppe von etwa 30 Ehrenamtlichen organisiert die Tafel. Ursula Nölke war früher selbstständige Kosmetikerin, sie kennt viele Menschen im Stadtteil. „Ich war anfangs erschrocken, wie viele ich hier gesehen habe,“, sagt die 72-Jährige, „die kommen mit ihrer Rente nicht aus.“ Nölke hat sechs Kinder und sechs Enkelkinder. „Aber die Familie nimmt das so selbstverständlich, dass man da ist“, sagt sie. Die Arbeit bei der Tafel tue ihr gut. „Ich lebe in relativem Wohlstand. Wenn man die Bedürfnisse, auch die sozialen Bedürfnisse hier sieht, erdet einen das. Man geht zufrieden nach Hause.“ Gegen die Unterbringung von Flüchtlingen zu klagen, erscheint ihr undenkbar. Möglicherweise gebe es geeignetere Plätze als die Sophienterrasse, findet sie, „aber die Anwohner dort haben nur Angst um ihre Pfründe, und dafür habe ich kein Verständnis.“

Auch Christa Hinrichsen, Mutter von zwei erwachsenen Kindern und zweifache Großmutter, engagiert sich bei der Tafel. Die 72-Jährige kann sich gut in die Lage von Bedürftigen hineinversetzen. Sie selbst war 13, als ihre Familie aus Magdeburg in den Westen floh. „Wir lebten zu viert auf zehn Quadratmetern. Das prägt.“

Luise Schröder vom Jakob-Junker-Haus hält große Stücke auf die Hilfsbereitschaft und die Toleranz in Groß Borstel. Von ihren 76 Bewohnern seien 60 bis 70 auffällig, sagt sie lächelnd. „Optisch und auch in ihrem Verhalten. Sie verlangen der Bevölkerung das eine oder andere ab. In der Regel sind sie harmlos und suchen nur den Kontakt. Wir werden seit 38Jahren im Stadtteil gut akzeptiert.“

Ärger mit der Nachbarschaft

Gute Erfahrungen hat auch Kay Guivarra gemacht. Das Gebäude der Kinder- und Jugendbetreuung Groß Borstel, in der unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht sind, ist schon wegen seiner Architektur nicht zu übersehen. Guivarra ist der Leiter der Einrichtung und Leiter der Jugendhilfe Nord im Landesbetrieb Erziehung und Beratung. Der Stadtteil habe die geplante Einrichtung von Anfang an wohlwollend aufgenommen. Mit der Nachbarschaft gebe es aber häufiger Ärger, gibt Guivarra offen zu. „Jede Beschwerde aus der Nachbarschaft wird angenommen. Dann gibt es Einzelgespräche mit den Jugendlichen und Ermahnungen. Mehr als pädagogisch einzuwirken, können wir zunächst nicht machen“, sagt Guivarra.

Zu den bürgernahen Beamten und der Jugendbeauftragten der Polizei habe man einen sehr engen Kontakt. „Die Jugendlichen müssen lernen, dass es Gesetze gibt, an die sie sich halten müssen.“ In der Einrichtung, die Kindern von sechs bis 18 Jahren offensteht, sind neun Jugendliche in einem ambulant betreuten Teil in Einzelzimmern untergebracht. Im Nachbargebäude leben fünf Jugendliche, der älteste davon 16 Jahre alt, in einer Wohngruppe mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Alle Bewohner seien in Schulen angemeldet, „nicht alle gehen aber regelmäßig dorthin“. Er und seine Kollegen kämen mit Problemlagen in Kontakt, die massiv seien, sagt Guivarra und fügt hinzu: „Wir brauchen mehr Leute, die mit diesen schwierigen Jugendlichen umgehen können.“

Ingrid Ruopp kommt auch mit vielen Problemen in Berührung, die nicht ihre eigenen sind, dabei könnte sich die pensionierte Sekretärin einen ruhigen Lebensabend machen. Stattdessen hat die 69-Jährige, die 30 Jahre als Sekretärin an der Universität gearbeitet hat, in der Erstaufnahme an der Sportallee mehrere Gruppen ins Leben gerufen, um den Flüchtlingen bei ihrem Weg in deren neues Leben in Deutschland zu helfen. Berührungsängste mit Ausländern habe sie schon früher nie gehabt, sagt sie. Jetzt erteilt sie Deutschunterricht und leitet eine Nähgruppe. „Die Menschen sind sehr dankbar. Für zwei Stunden können sie ihr Schicksal vergessen“, sagt Ruopp. Und fügt hinzu: „Mir geht es gut, ich habe ja alles.“