19-Jähriger soll mit Komplizen eine 74 Jahre alte Frau bei Überfall an der Alsterkrugchaussee getötet haben. Polizei hätte das Verbrechen fast übersehen

Neustadt. Sandor N. erhielt wenige Tage vor dem Verbrechen einen Anruf. Der Mann am anderen Ende der Leitung – sein Bekannter Vladimir A., genannt Rada – sprach von „Arbeit“, die in Hamburg auf sie warte. Gemeinsam reisten die beiden Männer Anfang Dezember 2013 mit dem Zug aus Nordrhein-Westfalen in die Hansestadt, wo sie für zwei Tage in der Wohnung eines Komplizen abstiegen. Am 8. Dezember machten sie sich dann „an die Arbeit“.

Eine zynischere Bezeichnung für die unfassbar grausame Tat der drei jungen Männer ist kaum vorstellbar. Reisende Tätergruppen werden zwar in erster Linie mit Wohnungseinbrüchen in Verbindung gebracht. Doch in diesem Fall kamen die Täter, um eine 74 Jahre alte gehbehinderte Frau auszurauben. Sie misshandelten die Rentnerin so brutal, dass ihr Augapfel zerstört wurde. Sie knebelten und fesselten die alte Dame – und ließen sie hilflos in ihrer Wohnung an der Alsterkrugchaussee zurück. Dort erstickte sie qualvoll.

Unmittelbar nach dem Verbrechen setzten sich Vladimir A. und Spasoje K. vermutlich ins Ausland ab. Sie werden „gesondert verfolgt“. Ihrem Komplizen Sandor N. kam die Polizei jedoch auf die Schliche. In einer Asylbewerberunterkunft in Kleve (bei Düsseldorf) wurde der 19 Jahre alte, gebürtige Serbe festgenommen. Seit Mittwoch muss er sich vor dem Hamburger Landgericht wegen Raubes mit Todesfolge verantworten. Wird er als Heranwachsender verurteilt, was maßgeblich von der Expertise der Jugendgerichtshilfe abhängt, drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.

„Ich hätte nicht gedacht, dass der alten Dame etwas zustößt“, sagt der junge Mann im blauen Anzug, die Brille über die Stirn gezogen. Der Angeklagte gibt den Überfall zwar zu, schildert die Tat aber wie jemand, der das Geschehen aus weiter Ferne beobachtet hat.

Die beiden anderen seien es gewesen, die hätten den Plan ausgeheckt. Sich selbst beschreibt er als Mitläufer, der zu Dingen gedrängt wurde, die er gar nicht habe tun wollen. Als er von Vladimir A. angeheuert wurde, sei er noch von einem Einbruch „oder so was“ ausgegangen, sagt Sandor N. Im Übrigen habe er seinen Bekannten begleitet, weil der sich eine Zugfahrt nach Hamburg allein nicht zugetraut habe. Im Gegenzug seien ihm 150 Euro „Arbeitslohn“ in Aussicht gestellt worden. Bis zuletzt habe er aber nicht gewusst, auf was er sich da eingelassen habe. Er habe nur einmal gehört, wie Rada mit dem dritten Täter, Spasoje K., über einen Überfall auf eine alte Dame gesprochen habe. Diese Frau, berichtete Spasoje K., kenne er, sie sitze auf einem Haufen Bargeld. Geld, das ihre Enkel bei Wohnungseinbrüchen gestohlen hätten und das sie nun für sie verwahre. Laut Anklage handelte es sich um 9000 Euro „Beerdigungsgeld“, auf das es die Täter abgesehen hatten.

Am Mittag des 8. Dezember fuhren sie zu der Wohnung an der Alsterkrugchaussee. Sie streiften sich Handschuhe über und verschafften sich mit einem Trick Zutritt zur Wohnung der 74-Jährigen im ersten Stockwerk. Sie hätten „Tabletten für Oma“, doch in der weißen Tüte befanden sich keine Medikamente, sondern Bonbons, die Sandor N. zuvor gekauft hatte. Die Rentnerin ließ die jungen Männer ein, bewirtete sie mit Saft. Nach fünf Minuten sei Rada aber plötzlich aufgesprungen und habe der Frau ins Gesicht geschlagen, sagt Sandor N. Was dann passierte, hat die Staatsanwaltschaft ermittelt – Sandor N. will nichts davon gesehen und gehört haben. Weder wie seine Komplizen auf die Frau einprügelten und ihren Kopf so hart gegen einen scharfkantigen Gegenstand stießen, dass der Schlag ihren Augapfel zertrümmerte, noch wie sie die Rentnerin an einen Stuhl fesselten und mit einem Schal knebelten. Während die beiden anderen die alte Dame im Wohnzimmer malträtierten, habe er das Schlafzimmer nach Beute durchsuchen müssen. „Sie hatten mich deshalb ins Schlafzimmer hineingestoßen“, sagt er. Die Täter flüchteten dann mit einer jämmerlichen Beute: einem Ring und einem Ohrring. Als sie die Wohnung verließen, habe die Frau noch gelebt, sagt Sandor N. „Sie bewegte sich, mir wurde gesagt, dass sie später gerettet werden würde.“ Tatsächlich erstickte Danica S. kurz darauf. Er sei mit seinen Bekannten gleich nach der Tat zum Hamburger Hauptbahnhof gefahren und „mit dem ersten Zug abgehauen“, sagt der Angeklagte.

Drei Tage später entdeckten Streifenpolizisten die Leiche. Kurios: Die Beamten fanden zunächst keine Spuren äußerer Gewalt und gingen deshalb nicht von einem Verbrechen aus. Das Landeskriminalamt ordnete dann trotzdem eine Obduktion in der Rechtsmedizin an, und erst da wurde im Hals der Toten der Knebel gefunden.

Polizeiintern entfachte die Panne eine Debatte über die Abschaffung der Abteilung Todesermittlung im LKA, deren Spezialisten bis dahin für die erste Beurteilung solcher Todesfälle zuständig waren. Im Alsterdorfer Fall konnten Spuren zwar nicht umgehend gesichert werden. Doch Sandor N. hatte sein Notizbuch am Tatort verloren. So kam ihm die Polizei auf die Spur. Die Aussage von Sandor N. steckt voller Ungereimtheiten. „Warum ziehen Sie Handschuhe an, um Spuren zu verdecken, zeigen dem Opfer dann aber ihre Gesichter?“, fragt der Vorsitzende Richter Georg Halbach. Zumal einer der Täter Danica S. gekannt habe. „War es nicht von Anfang an geplant, die Frau zu töten, weil man damit rechnen musste, dass sie nach der Tat den Täter sofort identifiziert?“ Eine Antwort weiß Sandor N. nicht. Und druckst herum, als ihn der Richter fragt, warum er keine Hilfe gerufen habe. Er habe darüber nachgedacht, sich aber dagegen entschieden, „sonst hätten mich die anderen auch geschlagen“.