Hamburger Geheimnisse: Heute geht es um die Patriotische Gesellschaft, die 1765 gegründet wurde und ihrer Zeit immer schon voraus war

Altstadt. Aus der Ferne sieht das Haus aus wie eine Festung. Ein massiver Backsteinbau, düster, mit matt bemalten Fenstern, insgesamt wenig einladend. Dunkles Mittelalter, möchte man meinen. Dabei ist das Haus der Patriotischen Gesellschaft an der Trostbrücke noch gar nicht so alt: 1845 wurde es fertiggestellt. Und es birgt ein Geheimnis: Wenn man von der Börsenbrücke aus an der Fassade emporblickt, dann wird das Gebäude heller. Dort ist eine Balustrade mit kleinen, offenen Nischen gemauert. Dieser Teil scheint deutlich jünger zu sein. „Ist er aber nicht“, widerspricht Wibke Kähler-Siemssen, Geschäftsführerin der Patriotischen Gesellschaft. „Im Gegenteil: Man könnte eher sagen, dass dieser Teil viel älter ist als der Rest des Hauses.“

Um das zu verstehen, muss man die Entstehungsgeschichte kennen. „An dieser Stelle stand das mittelalterliche Hamburger Rathaus, das beim Großen Brand 1842 zerstört wurde“, sagt Wibke Kähler-Siemssen. Die Bürgerschaft entschloss sich zu einem mächtigen Neubau weiter nördlich an der Kleinen Alster. Das Grundstück, auf dem das alte Rathaus gestanden hatte, überließ die Stadt der Patriotischen Gesellschaft, die 1765 ganz im Sinne der Aufklärung und des Engagements für das Gemeinwohl gegründet worden war. Und weil Baustoffe rar waren – schließlich musste die halbe Stadt nach dem verheerenden Feuer neu gebaut werden – wurden alte Steine aus den Brandruinen wiederverwendet.

Lange Zeit wusste das niemand. „Es wurde entdeckt, als eine Sanierung notwendig wurde“, erläutert die Geschäftsführerin. Der obere Gebäudeteil war marode, Ziegel und Backsteine drohten herunterzufallen. Da ist es den Architekten aufgefallen, dass einige Steine ganz anders beschaffen sind als der Rest. Eine wissenschaftliche Untersuchung brachte dann Klarheit: Sie sind sehr viel älter und stammen wohl aus den Ruinen des mittelalterlichen Rathauses.

Dass diese Steine weit oben verbaut wurden, ist einfach zu erklären. „Kein Architekt würde altes Material dort verwenden, wo es jeder sofort sieht“, sagt Wibke Kähler-Siemssen. Und warum sieht der Gebäudeteil mit den alten Steinen viel neuer aus als der Rest? Die Antwort ist einfach: „Weil der Teil bei der Sanierung komplett neu verfugt wurde.“

Und so steckt ein kleiner Teil des Alten Rathauses aus dem 13. Jahrhundert in dem Neubau von 1845. Doch über dessen Gestaltung gab es schon vor Baubeginn reichlich Streit. Denn die besten Architekten der Stadt waren alle Mitglieder der Patriotischen Gesellschaft: Alexis de Chateauneuf (1799–1853), Carl Ludwig Wimmel (1786–1845), Franz Gustav Forsmann (1795–1878). Der Legende nach hat keiner dem anderen den Auftrag gegönnt, sodass der unbekanntere Thomas Bülau (1800–1861) zum Zuge kam. Als dessen Bau dann schließlich stand, ließ er kaum jemanden kalt. Rückwärtsgewandt, altmodisch, unzeitgemäß – so urteilten viele. Dass er mit Form und Bauweise Hamburger Traditionen aufnehme, lobten andere. Der Bau stand jedenfalls in krassem Gegensatz zu der Architektur, die in den Jahren nach dem Brand sonst in Hamburg entstand. Viele Bauten muten geradezu italienisch an, etwa die Alte Post mit ihrem eleganten Turm oder die weißen Alsterarkaden am Rathausmarkt. Der Architekt beider Gebäude: Alexis de Chateauneuf.

Noch heute wünscht sich manch ein Mitglied der Patriotischen Gesellschaft, Chateauneuf hätte damals den Zuschlag für den Bau bekommen und das Gebäude nach seinem Gusto gestalten können. Denn: „Das Haus wirkt leider nicht offen und einladend. Dabei ist es doch genau das, was wir sein wollen“, sagt Wibke Kähler-Siemssen.

„Patriotisch“ meinte damals den Dienst am Mitbürger und am Gemeinwesen

In der Tat: Das Haus und der Name Patriotische Gesellschaft sind zum Handicap geworden. Manche meinen gar, dass es sich um einen verkrusteten, rechtslastigen Verein handeln müsse. Doch 1765 hatte „patriotisch“ eine gänzlich andere Bedeutung als heute: Der Dienst am Mitbürger und am Gemeinwesen waren gemeint. Dass die Bücherhallen, die Museen für Kunst und Gewerbe und Hamburgische Geschichte sowie die Hochschule für Angewandte Wissenschaften auf Initiativen der Patriotischen Gesellschaft zurückgehen, weiß heute kaum jemand. Diese Liste ließe sich lange fortsetzen. Heute sind es beispielsweise Bildungsstipendien für ganze Familien oder Kulturprojekte, die gefördert werden.

Als das Haus eingeweiht wurde, das muss zu Ehren Bülaus gesagt werden, sah es allerdings anders aus als heute. Im Erdgeschoss gab es große Fensterfronten, das Gebäude war somit heller als heute. Damals waren Läden und Gastronomie untergebracht. Denn ohne kommerziellen Zweck hat man in der Kaufmannsstadt Hamburg noch nie gerne etwas gemacht. Genauso wenig wie unnütz Geld auszugeben. Zum Beispiel für neue Steine, wenn man noch alte hat.