Altona . Der Blick fast aller Menschen an diesem Ort kennt nur eine Richtung: Süden. Denn hier, am Altonaer Balkon, befindet sich Hamburgs wahrscheinlich beliebtester Ort, um „Schiffe zu gucken“. Nicht gerade ein Geheimtipp also. Doch es gibt durchaus etwas sehr Geheimnisvolles an diesem Fleckchen Erde. Um es zu entdecken, muss man seinen Blick nach Westen richten. Am Rande des Platzes geht ein Weg hinab, und nach einer Kurve taucht, geschützt von Gitterstäben, eine kleine Grotte auf. Nur ein paar Quadratmeter groß ist sie, ziemlich verwinkelt, und vor allem scheint sie überhaupt nicht hierher zu passen. Eine Höhle mit fremdartig strukturiertem Gestein direkt am Elbufer? In der Tat hat Menschenhand die Grotte geformt, nicht die Natur. „Das war einmal ein künstlicher Wasserfall“, sagt Brigitte Abramowski. „Und den hat man geschaffen, weil kein Wasser verschwendet werden sollte.“

Ein Wasserfall, um Wasser zu sparen – das klingt erst einmal absurd. „Das hat mit dem großen Stuhlmann-Brunnen zu tun“, sagt die Mitarbeiterin des Stadtteilarchivs Ottensen. Dieser opulente Brunnen zwischen Rathaus und Bahnhof wurde 1900 eingeweiht und machte wegen des enormen Wasserverbrauchs den Vätern der damals eigenständigen Stadt Altona Sorgen. Es gab nämlich keinen Wasserkreislauf, alles floss in die Kanalisation beziehungsweise die Elbe. Gleiches galt für zwei weitere Springbrunnen am Kaiserplatz.

Die sparsamen Altonaer ließen das Wasser also nur zu bestimmten Uhrzeiten fließen und dachten sich dann, dass man mit dem Abwasser doch noch mehr anfangen könnte. „Also wurden Leitungen zum Altonaer Balkon verlegt, um mit dem Wasserfall eine Touristenattraktion zu schaffen“, sagt Abramowski. Der Elbhang war schon seit dem 18. Jahrhundert ein beliebtes Ausflugsziel und zeitweise in ganz Europa berühmt, weil der Franzose Cesar de Rainville dort von 1798 an ein erstklassiges Restaurant betrieb. Heinrich Heine nannte den Ort „wunderlieblich“. Damals stand dort ein prächtiges Landhaus mit einem riesigen Park. Der versteckte Park an der Grotte lockte nach 1900 auch viele Liebespaare an. „Manche nannten ihn später Kürbispark“, sagt Abramowski, weil viele der geheimen Treffen dort zu Schwangerschaften führten.

Warum aber ist die Grotte heute abgesperrt? Das hat leider etwas mit Vertreibung zu tun. Denn der geschützte Platz war ein beliebter Unterschlupf für Obdachlose. Nun sitzt die Grotte hinter Gittern.