Der streng geschützte Vogel ist zurück. In Schnelsen will eine Bürgerinitiative deshalb die Bebauung verhindern. Behörde kündigt Überprüfung in nächster Brutsaison an.

Schnelsen. Erst war da nur ein schnarrendes Rufen in der Dunkelheit, dann ein konkreter Verdacht, am Ende lieferten einige Fotos sowie ein Video die Gewissheit. Das Grauen aller Bauplaner ist zurück in Hamburg: Die streng geschützte Wiesenralle, besser bekannt als Wachtelkönig, könnte erneut ein Bauprojekt in der Stadt gefährden. Am Schnelsener Flagentwiet, auf einer Fläche, die kaum größer als ein Fußballfeld ist, steht sein Vorkommen womöglich einem geplanten Gewerbegebiet im Weg. Einer Bürgerinitiative gelang es, den scheuen Vogel zweifelsfrei zu identifizieren. Die Anwohner fordern nun, den europäischen Artenschutz bei einer möglichen Bebauung zu berücksichtigen. Am 14. November endet das Gebotsverfahren für das umstrittene Grundstück.

Es wäre nicht das erste Mal, dass der auf der Roten Liste stehende Crex crex die Pläne für ein Bauprojekt durchkreuzt. Der scheue Wachtelkönig, wegen seines markanten Rufens auch Wiesenknarrer genannt, genießt seit 1992 den besonderen Schutz der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie. Seine raren Lebensräume in West-, Nordwest- und Mitteleuropa dürfen weder beschädigt noch zerstört werden. Im Süden Hamburgs mussten seinetwegen bereits die Trasse der Autobahn26 angepasst und in Neugraben-Fischbek drei Meter breite Gräben nahe einem Wohngebiet gezogen werden, um die Brut der Tiere nicht zu gefährden – etwa durch Katzen.

Die Schnelsener Bürgerinitiative hofft nun, mit der Sichtung des Vogels Ähnliches zu erreichen. Seit Jahren kämpfen die Anwohner gegen die Bebauung des 13.500 Quadratmeter großen Grundstücks zwischen AKN-Bahnlinie und Holsteiner Chaussee. Ein Gutachten aus dem Jahr 2007 belege die Existenz geschützter Fledermausarten, vier Greifvogelarten und einer Reihe von Insekten. Nun komme der Wachtelkönig hinzu. Peter Marahrens, Sprecher der Initiative: „Die Feuchtwiese, auf der der Vogel lebt, stellt für uns ein Biotop dar, das es zu erhalten lohnt.“ Auch Monika Bock, Leiterin der AG Naturschutz beim Nabu Hamburg, vertritt diese Meinung. „Für den Wachtelkönig herrscht Tötungsverbot“, sagt sie. Sein Vorkommen in Schnelsen könne sie bestätigen. „Hier muss deshalb genau geprüft werden, ob der Vogel nicht zum Brüten wiederkommt.“

Der Eingabenausschuss der Bürgerschaft sah das jedoch anders. Ein Ersuchen der Bürgerinitiative, die Planungen für das Gewerbegebiet zu überdenken, wurde abgelehnt. Begründung: Die Sichtung konnte von den zuständigen behördlichen Dienststellen nicht nachgewiesen werden, die Grundlagen für ein Ende des Gebotsverfahrens für den Verkauf des Grundstücks seien somit nicht erfüllt.

Auf Anfrage des Hamburger Abendblatts bestätigt nun aber die Umweltbehörde: Video und Fotos der Anwohner seien authentisch und als Beweis zulässig. Allerdings handele es sich bei dem Tier um einen „Einzelkämpfer“ ohne nachgewiesenes Bruthabitat. Das hätten Mitarbeiter bei Kontrollgängen ermittelt. Sprecher Volker Dumann: „Bauvorhaben dürften durch ihn kaum gestört oder verhindert werden.“ Denn erst wenn gebrütet werde, greife das Artenschutzrecht in Bezug auf Bautätigkeit. Die Behörde werde das Areal deshalb im kommenden Jahr erneut prüfen, die Brutsaison dauert von April bis August, bevor das Tier im Süden überwintert. 2014 sei überdies ein gutes Jahr für den Wachtelkönig gewesen. Die staatliche Vogelschutzwarte habe etwa 50 Wachtelkönige im Brutgeschäft in Hamburg gezählt. Überwiegend in den ausgewiesenen Naturschutzgebieten.

„Wenn die Stadt nun hier in Schnelsen baut, bricht sie EU-Recht“, sagt dagegen Anwohner Peter Marahrens. Er spricht einerseits von Tricks der Stadtplanung, wenn nur die Brut berücksichtigt werde, andererseits von einer kleinen Sensation, dass der Vogel, nur unwesentlich größer als eine Wachtel, in Hamburg überhaupt fotografiert werden konnte. Denn für gewöhnlich werden die Tiere wegen ihrer zurückgezogenen Lebensweise auch von Ornithologen nur als „Rufer“ wahrgenommen und gezählt.

Umso bemerkenswerter, wenn nicht einmalig, seien nun die Aufnahmen, die ein benachbarter Tierfotograf im Juni vom Wachtelkönig machen konnte. Die Brachfläche am Flagentwiet zähle damit zu den wenigen Rückzugsorten dieser Tierart. Aus Sicht der Stadt wiederum besteht ein nachvollziehbares Interesse, mit der Bebauung der Fläche einen Lückenschluss zum existierenden Gewerbegebiet auf der anderen Straßenseite zu erreichen.

Erst jüngst – nachdem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) den Bau von 100.000 neuen Wohnungen angekündigt hatte – warnte der BUND vor einer zunehmenden Bauwut zulasten von Lebensräumen. Laut Nabu betrugen die Grünflächenverluste in den Jahren 2011 bis 2013 etwa 172 Hektar. Zeitgleich seien bei 70 Bebauungsplänen 1700 Bäume verloren gegangen.