Die sportliche Aufnahmeprüfung für den Streifendienst gilt als schwierige Aufgabe. Henrik Jacobs, Abendblatt-Reporter, hat den Selbstversuch gemacht und die fünf Disziplinen der Prüfung durchlaufen.

Alsterdorf. Als ich zwölf Jahre alt war, bin ich mal vor einem Polizisten davongelaufen. Mein damaliger Kumpel und ich hatten an einem Nachmittag aus Langeweile Beeren auf fahrende Autos geworfen. Ein Polizist bemerkte uns. Ich lief weg, der Polizist hinter mir her. Weit bin ich nicht gekommen. Der Polizist war schneller. Wenig später hatte er mich bereits zu meiner Mutter gebracht. An ihre Worte erinnere ich mich nicht mehr. An die Schnelligkeit des Beamten schon. Was ich damals noch nicht wusste: Polizisten müssen schnell sein. Zumindest am Anfang ihrer Karriere. Denn vor der Polizeischule steht der sportliche Aufnahmetest.

In jedem deutschen Bundesland ist er Teil der Aufnahmeprüfung. Doch wie sportlich muss ein Beamter wirklich sein? Wie schnell muss er sein? Wie stark? Und wie weit muss er springen können? 22 Jahre nach meinem ersten Kontakt mit einem Polizisten will ich es wissen und mache den Test an der Polizeischule Hamburg.

Sportlehrer Jörg Becker begrüßt mich in der Leichtathletikhalle Alsterdorf. Becker, 57 Jahre alt, blaues Poloshirt, blaue Trainingshose, betreut den Sporttest an der Polizeischule seit 20 Jahren. Rund 1500 Bewerber pro Jahr prüfen Becker und seine Kollegen auf ihre Sporttauglichkeit. Die Hälfte von ihnen scheitert an dem Test. An Disziplinen wie 4x10-Meter-Sprints, Hindernislauf, Klimmzüge, Standweitsprung und dem sogenannten Coopertest. Zusammen ein einstündiger Fünfkampf. Klingt sportlich. Ist es auch.

„Als Erstes solltest du dich gründlich aufwärmen“, sagt Becker. Seine Worte klingen wie eine Warnung. Ich gestehe ihm, dass ich mich auf den Test nicht vorbereitet habe. Meine letzte sportliche Aktivität war ein zehnminütiger Einsatz als Einwechselspieler bei einem Fußballspiel des SV Eidelstedt II in der Kreisliga 7. Im Mai. Es folgte eine Fußball-Weltmeisterschaft, die ich überwiegend auf dem Sofa verbracht habe. Daraufhin mustert mich Becker skeptisch. Er berichtet von einem Bewerber, der sich nach dem Test übergeben musste, berichtet von Tränen und Enttäuschung. Sieht so Motivation aus? Egal. Fünf Stationen. Für jede gibt es maximal neun Punkte. 20Punkte braucht man, um zu bestehen. Macht vier Punkte pro Station.

Station 1: Der Wendelauf

Jörg Becker baut im Abstand von zehn Metern zwei Kästen auf. Zwischen diesen muss man viermal hin- und hersprinten und die Kästen jeweils mit einer Hand berühren. Mindestlaufzeit für die Männer: 10,9 Sekunden (Frauen: 11,9). Für eine Strecke von 40 Metern. Weltrekordler Usain Bolt läuft in der selben Zeit mehr als 100 Meter. Das sollte also machbar sein. „Wichtig ist, dass man am Start explodiert“, gibt mir Becker mit auf den Weg. Klar, wenn ein Polizist einen Ladendieb jagen muss, sind die ersten Meter entscheidend. „Und loooos!“ Becker gibt das Startsignal. Ich sprinte, so gut es geht. Das Schwierigste sind die Vollbremsungen vor den Kästen. Die gehen auf die Knie. Ansonsten komme ich gut durch. 9,73 Sekunden. Macht sieben Punkte. Becker ist zufrieden. „Ganz beachtlich“, sagt er. Vor den gefürchteten Klimmzügen habe ich mir ein Polster angelegt. Zwischenstand: 7 Punkte.

2. Station: Klimmzüge

Als ich das letzte Mal an einer Klimmzugstange hing, war ich 18 und wollte meinen schmalen Oberkörper für mein erstes Jahr im Herrenfußball aufpumpen. Der Muskelzuwachs ließ aber zu wünschen übrig. Seitdem habe ich Kraftsport stets gemieden. Für die Aufnahme an der Hamburger Polizeischule verlangt Jörg Becker nun fünf Klimmzüge von mir. Hört sich machbar an, auch ohne Vorbereitung. „Entscheidend ist, voll durchzuhängen und sich mit der Nase über die Stange zu ziehen“, sagt Becker. Er ist ein sympathischer Mann, aber ein strenger Prüfer. Das wird mir wenig später klar. Die ersten drei Klimmzüge gehen gut, doch der vierte brennt bereits gehörig in meinen Bizeps. Dann kommt Nummer fünf. Mit meinen letzten Eiweißvorräten ziehe ich mich hoch, kann bereits über die Stange gucken, breche dann aber zusammen. Becker schmunzelt. „Sechs sind gut, fünf sind das Minimum, und vier sind einer zu wenig“, sagt er. Vier? In meinen Augen waren es fünf. Becker klärt auf. „Deine Nase war beim fünften nicht über der Stange“. Widerspruch zwecklos. Becker notiert drei Punkte, damit habe ich insgesamt 10.

3. Station: Standweitsprung

Nach den Klimmzügen folgt die nächste Disziplin, an der einige Bewerber ausscheiden. Zwei Meter weit muss ein Mann ab 30 aus dem Stand springen. Jüngere Männer sogar 2,25 Meter. Bei den Frauen sind es 1,45 bzw. 1,70 Meter. Ich frage mich zunächst, warum ein Polizist aus dem Stand springen muss? Für einen Grabensprung nimmt man Anlauf. Auch für einen Sprung über die Mauer, wenn mal ein Verbrecher flüchtet. Wie auch immer. Ich bin froh, dass ich über 30 bin. Denn trotz meiner Vergangenheit als Dreikämpfer in der Kinderleichtathletik lande ich bei allen drei Versuchen direkt auf der Zweimetermarke. 2,01 Meter misst Becker bei meinem weitesten Versuch. Es reicht gerade für die Mindestpunktzahl 4. Ein gutes Pferd springt eben nur so weit, wie es muss. „Du liegst voll im Soll“, sagt Becker. Noch zwei Disziplinen. Inzwischen habe ich 14 Punkte.

4. Station: Kasten-Bumerang-Test

Unter diesem Namen konnte ich mir zunächst nichts vorstellen. Glücklicherweise hat die Polizeischule auf ihrer Internetseite ein Video des Sporttests veröffentlicht. Zu sehen ist ein junger sportlicher Mann, der eine Art Hindernislauf absolviert. Konkret geht es darum, über drei Kastenteile zu springen, selbige zu durchkriechen und in der Mitte jeweils ein Hütchen in einer 90-Grad-Rechtskurve zu umlaufen. Das Ganze nach einer Vorwärtsrolle am Start. Orientierung, Gleichgewicht und Gewandtheit sind gefragt. So wie bei einem Polizisten, der Jason Bourne oder Tom Cruise in Mission Impossible einfangen muss. Zumindest im Ansatz. Der Mann im Video durchläuft den Parcours derart elegant, dass die Vorlage eher abschreckend wirkt. Und in der Tat laufe ich gleich beim ersten Versuch in die falsche Richtung. Becker drückt ein Auge zu. Ich bekomme einen zweiten Versuch. Diesmal läuft es besser. Ich stoße mir beim Durchqueren der Kastenteile zwar mehrfach die Knie, mit 17,20 Sekunden bleibe ich im Ziel aber mehr als zwei Sekunden unter der Mindestzeit von 19,20 Sekunden (bis 29 Jahre: 17,39 Sek). Jörg Becker schreibt mir sieben Punkte gut. Damit liege ich vor der letzten Station bereits einen Punkt über der Mindestzahl. Bestanden ist die Prüfung aber noch nicht. Auch wenn meine 21 Punkte formal reichen.

5. Station: Coopertest

Nun zählt nur noch eins: durchhalten. Ich habe bereits genug Punkte, aber wenn man eine Disziplin gar nicht schafft, ist man auch raus. Ausdauer und Willenskraft sollen nun geprüft werden. So eine Verbrecherjagd kann eben auch mal länger dauern. Nun soll der Coopertest testen. Viele Schüler kennen ihn aus dem Sportunterricht. Zwölf Minuten laufen, und zwar möglichst weit. 2300 Meter müssen es bei Männern ab 30 sein. 2500 Meter bei den jüngeren. Das Problem: Der Sauerstoffanteil in der Leichtathletikhalle ist gering. Und mein Start viel zu schnell. Becker ermahnt mich mehrfach. „Bleib ruhig. Nicht zu schnell.“ Aber eine Blöße wie bei den Klimmzügen will ich mir nicht geben. Die Runden werden immer länger, mein Herz pumpt. Dann endlich die Erlösung. Becker pfeift ab. 2725 Meter. Noch mal sieben Punkte. Ich sacke zu Boden. Geschafft.

„Herzlichen Glückwunsch“, sagt Jörg Becker, nachdem ich wieder bei Sinnen bin. „Du hast die Prüfung geschafft. Du kannst bei der Polizei anfangen.“ Ich lehne den Jobwechsel zwar ab. Gut zu wissen ist es aber trotzdem, dass ich einem Beeren werfenden Zwölfjährigen auch mit 32 noch einholen würde.