Gerhard von Harscher baute Nähmaschinen, war später Vertreter für Porzellan und Feuerlöscher. Jetzt lebt der Hamburger für die Musik.

Meckelfeld. Die Hoffnung stirbt nie. 93 Jahre hat Gerhard von Harscher gekämpft. Um sein Auskommen, um Frauen, um die Musik, um das Publikum. Manchmal nimmt seine Hoffnung eine kurze Auszeit. Aber sie kommt wieder. Er kann sich darauf verlassen.

Erst mit 80 Jahren machte von Harscher seine Passion zum Beruf und wurde Kaffeehaus-Pianist. Er spielte im Alstertal-Einkaufszentrum, im Mövenpick-Restaurant im Hanse-Viertel,im Café Seeterrassen in Planten un Blomen, in Altenheimen. Jetzt, mit 93 Jahren, hat er die Nationalhymnen für sich entdeckt. Er schreibt sie neu.

Für Altona, für Europa und für die Schweiz hat er Hymnen geschrieben, als Wettbewerbsbeiträge eingeschickt oder einfach vorgeschlagen. In Altona ist er ausgeschieden, für Europa ist er im Rennen, für die Schweiz hofft er noch ein bisschen. Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlaments, hat ihm 2013 persönlich gedankt für das unverlangt eingesendete Manuskript.

Jetzt wurde er gebeten, seinen EU-Hymnen-Text zu übersetzen und an die Vertreter der Mitgliedsstaaten zu schicken. Von Harscher hofft auf den Durchbruch.

Aber Europas Mühlen mahlen auch ihm zu langsam. Eigentlich hätte man seine Hymne längst annehmen können, findet er. Sie würde Beethovens „Ode an die Freude“ ersetzen, die ohne den Text von Friedrich Schiller als Europahymne fungiert, aber laut von Harscher „gar keine Hymne ist“. Denn eine Hymne sei „ein erhabenes Loblied. Zum Loben braucht man aber einen Text.“ Schillers Worte preisen nur die Freude, nicht die Europäische Union. Sie seien deshalb ungeeignet. Einfach nur einen neuen Text auf Beethovens Musik zu schreiben, das war von Harscher aber zu wenig. „Ich finde lieber selbst eine Melodie“, sagt er.

Im nicht ganz ernst gemeinten Sängerwettstreit von Altona hat von Harscher immer noch Probleme damit einzusehen, dass er – nach negativem Jury-Entscheid durfte er immerhin außer Konkurrenz seine Hymne auf der Altonale 2014 präsentieren – trotzdem nicht gewonnen hat. „Ich habe doch so viel Beifall bekommen“, sagt er.

In der Schweiz, die eine neue Nationalhymne sucht, war er zu spät, sagt die Jury. Von Harscher will es nicht glauben. „Ich hab’ doch schon 2012 meinen Beitrag eingeschickt!“ Er zeigt das Antwortschreiben des Behördenvertreters Andrea Ruckstuhl vom 7.August 2012. „Gerne laden wir Sie jetzt schon dazu ein, sich am Wettbewerb zu beteiligen“, steht da. Ruckstuhl schreibt nicht, dass er den Beitrag zu den Akten nimmt und sich bei von Harscher erst meldet, wenn die Ausschreibung erfolgt sein wird.

Anfang Juli 2014 schickt von Harscher hastig Nachbesserungen, um den Wettbewerbsbedingungen zu entsprechen. Nur zwei statt drei Strophen. Einsendeschluss aber war schon der 30. Juni. „Ich habe das erst ganz spät und per Zufall im Internet gesehen“, sagt von Harscher. Bestürzung, Trauer und ein Schuss Empörung klingen mit, wenn er spricht. „Die Menschen müssen meine Hymne doch hören!“

Die Jury überzeugte das nicht. Die Luzerner Rechtsanwaltspraxis Kaufmann, Ruedi Rechtsanwälte AG sagte von Harscher jetzt ab. Für einen Tag nahm die Hoffnung bei von Harscher eine Auszeit. Jetzt lebt sie wieder. „Ich habe Herrn Ruckstuhl geschrieben!“, sagt er Richtung Schweiz.

An der Hamburger Musikhochschule hat von Harscher 1946 Komposition bei Professor Frank Wohlfahrt studiert. „Mit Stipendium“, sagt er und lächelt. „Die Musik liegt mir im Blut, da kann man nicht anders.“ Er musste aber anders.

Seine Operette, seine „Romanze für Klavier und Orchester in vier Sätzen“, sein Märchenballett „Ingelchen“ wurden nie aufgeführt. Orchestermusiker oder Konzertpianist konnte er nicht werden. Sein Klavierspiel, sagt er, sei nicht gut genug dafür gewesen. Er brauchte einen Brotberuf und wurde Feinmechaniker. „Aber ich habe die Arbeit gern getan“, sagt er. Er baute Nähmaschinen.

Trotzdem reichte es nicht für eine gute Rente. Er jobbte. Er wurde Vertreter für Porzellanteller, dann für Feuerlöscher. Er versuchte sich als „Aufseher für Prospektverteiler“, wie er es sagt. Er bestückte Werbekästen mit selbst getexteten Firmenchroniken. Zuletzt bot er Heizungs- und Solaranlagen an der Haustür an. „Es hat aber keiner gekauft“, sagt er, überlegt und korrigiert sich: „Doch, Elfi hat eine Solaranlage genommen.“

Frauen haben ihm oft geholfen im Leben. Vier Ehen hat er hinter sich gebracht. Jetzt liebt ihn Helga Rosenau, 76, die ihn vor fünf Jahren als Klavierlehrer kennenlernte. Sie regelt das Finanzielle, umsorgt ihn und versucht, ihm Auftritte zu verschaffen. Dann ist sie seine Managerin.

Eine seiner vier Ehefrauen hat ihm allerdings kein Glück gebracht. Für ein Konzert mit ihr und ihren italienischen Musikern mietete von Harscher frohgemut die Musikhalle, verzichtete mangels Masse auf Werbung und – konzertierte vor leeren Rängen. Den Reinfall erklärt er mit der Miene des erfahrenen Konzertmanagers: „Im Fernsehen gab es einen Durbridge-Krimi am gleichen Abend. ‚Der Halstuchmörder‘, ein Straßenfeger. Das hatten wir nicht bedacht.“ Die Schulden drücken ihn heute noch. „Sie wurden immer mehr.“

Helga Rosenau riet ihm im letzten Jahr zur Privatinsolvenz und nahm ihn in ihr Haus auf. „Er ist praktisch jeden Tag hier“, sagt sie. Von Harscher lächelt, genießt und schweigt. „Eigentlich würden wir gern heiraten“, sagt sie in die Pause hinein. „Er hat mir schon vor fünf Jahren gesagt, dass er mich will.“

Die Altona- und die Europahymne von Harscher sind bei YouTube zu hören unter http://www.youtube.com/watch?v=I5cPuf8A74k und http://www.youtube.com/watch?v=agSTTBUKMEE