Ja, die USA sind unser Partner. Aber der Spionagefall zeigt: Wir müssen ein Signal setzen

Aus geologischen Gründen driften Amerika und Europa pro Jahr rund zweieinhalb Zentimeter auseinander. Die politische Kontinentaldrift verläuft zurzeit erheblich schneller. Die Hälfte der Bundesbürger spricht sich in Umfragen inzwischen ganz offen für eine stärkere Loslösung von den USA aus. Das Wort „Äquidistanz“ hat Konjunktur; damit ist gemeint, dass Deutschland politisch eine gleiche Nähe zu Russland wie zu den USA einnehmen sollte. Gemessen an den Verhältnissen vor 1990, also vor Mauerfall und Wiedervereinigung, ist dies eine dramatische Veränderung mit unabsehbaren Konsequenzen.

Nach dem völkerrechtlich illegalen Irak-Krieg der Bush-Regierung, den Folterskandalen von Abu Ghraib und Guantánamo haben die NSA-Spionageaffäre und jüngst die Anwerbung eines BND-Mitarbeiters durch die CIA das Ansehen Amerikas auf einen historischen Tiefpunkt sinken lassen.

Die Onlineausgaben großer amerikanischer Medien wie „New York Times“, CNN oder ABC News hatten am Dienstag jedoch auf den vorderen Rängen keine Zeile dazu. Das liegt daran, dass die USA unser Gemurre nicht recht ernst nehmen. Der traditionell aufgeblähte Patriotismus in den USA sorgt zudem für eine selektive Wahrnehmung: Dient etwas amerikanischen Interessen, so ist es nicht zu tadeln, auch wenn es moralisch verwerflich sein mag. Es gilt in Washington als selbstverständlich, dass man einen ökonomisch und politisch bedeutenden Staat wie Deutschland – der im Übrigen auch ein wirtschaftlicher Rivale ist – bis ins Detail ausspionieren muss. Während sich die Deutschen noch an romantische Vorstellungen von Freundschaft klammern, die es so nie gegeben hat, handeln die Amerikaner gletscherkalt nach ihrer Interessenlage. Es war bezeichnenderweise zuletzt John Kornblum, der beinharte frühere US-Botschafter in Berlin, der den unter anderem Charles de Gaulle zugeschriebenen Satz zitierte: Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.

Es gilt zu bedenken, dass sich die USA in einer psychologisch schwierigen Lage befinden. 1992 noch proklamierte der US-Politologe Francis Fukuyama in einem Buch „Das Ende der Geschichte“, weil es zum – amerikanisch geführten – demokratischen Westen keine Alternative mehr gebe. Die USA waren zur Hypermacht geworden. Seitdem hat die Welt den rasanten Aufstieg der Diktatur China und die Wiederauferstehung Russlands als antiwestliche Großmacht erlebt. Und die Finanz- und Wirtschaftskrise in den USA hat zum ersten Mal den fast genetisch angelegten Optimismus von Abermillionen Amerikanern zutiefst erschüttert. Das Land kämpft um die Erhaltung des „amerikanischen Traums“ und um das Kernelement seines Selbstverständnisses: Den Glauben an die Einzigartigkeit dieser Nation – den Exzeptionalismus. Das Credo nicht nur konservativer Amerikaner ist, dass es der ganzen Welt dient, wenn Amerika sie dominiert. Es war daher geradezu rührend von der deutschen Politik, ein „No-spy-Abkommen“ zu fordern.

Und was bedeutet dies für Deutschland? Jedenfalls nicht, auf das törichte Gerede von der Äquidistanz hereinzufallen. Die USA mögen kein idealer Freund sein, der bestmögliche Partner sind sie noch immer. Russland mit seinem repressiven Regime, das Menschenrechte mit Füßen tritt, kann keine Alternative zur pluralistischen Demokratie USA sein. Deutschland muss ganz einfach erwachsen werden, eine pragmatische Partnerschaft ohne Zuckerguss zu den USA entwickeln und ebenfalls eigene Interessen verfolgen. Da nun klar ist, dass die USA nicht bereit sind, Rücksicht auf das Verhältnis zu Deutschland zu nehmen, könnte man durchaus überlegen, ein klares Signal zu setzen, indem man dem NSA-Enthüller Snowden, der ganz erhebliche Verdienste um unser Land erworben hat, Asyl gewährt.