Im Verfahren gegen einen Bekannten wegen Unfallflucht sagte ein 29-Jähriger als Zeuge aus, dass es gar keinen Unfall gegeben habe. Auf dem Rückweg von einer Feier hatte der Fahrer ein parkendes Auto gerammt.

Neustadt. Von Nonchalance keine Spur. Nichts ist mehr übrig von der Unbekümmertheit, die den Mann vor einigen Monaten noch so lässig in einem Gerichtssaal agieren ließ, als er sich souverän fühlte und wohl unantastbar. Jetzt treibt ihn eine Nervosität um, eine Aufgeregtheit, die sich in fahrigen Gesten und einem nur schwer zu stoppenden Redefluss äußert. Von einer „Dummheit“ spricht er, davon, dass er sich selber „in die Pfanne gehauen“ habe, und von einer „Katastrophe“, die ihm drohe. „Ich hatte doch jetzt alles in meinem Leben geradegerückt“, sagt der 29-Jährige. „Und nun so etwas!“

„So etwas“ ist sein offenbar zu laxer Umgang mit der Wahrheit seinerzeit als Zeuge in einem Prozess, eine Wahrheit, die Daniel W. (Name geändert) jetzt eingeholt und in die unbequeme Rolle des Angeklagten katapultiert hat. Uneidliche Falschaussage lautet der Vorwurf gegen den hochgewachsenen Bartträger vor dem Amtsgericht. Doch so sehr er mit seinem Schicksal hadert – er hat es sich selber zuzuschreiben.

Denn eine ausführliche Belehrung, dass ein Zeuge vor Gericht die Wahrheit sagen muss und dass es schwer bestraft wird, wenn man sich an diese Verpflichtung nicht hält, ist in jedem Prozess Routine. Und auch Daniel W. hat seinerzeit diese Warnung zu hören bekommen. Trotzdem habe er im Januar vergangenen Jahres in einem Verfahren gegen einen Bekannten, dem unter anderem Unfallflucht vorgeworfen wurde, falsch ausgesagt, wirft die Staatsanwaltschaft dem 29-Jährigen vor. Er behauptete laut Anklage, dass er „hundertprozentig bestätigen“ könne, dass es überhaupt keine Kollision gegeben hat. „Er war sich bewusst, dass die Angaben gelogen waren“, heißt es in der Anklage.

Tatsächlich war der andere mit seinem Wagen auf einer belebten Straße in Eimsbüttel mit einem parkenden Wagen kollidiert und hatte sich anschließend davongemacht. „Entschuldigung. Als ich in dem Auto war, hat es keinen Unfall gegeben“, insistiert der Angeklagte jetzt. „Das kann ich immer noch vor Gott schwören.“ Er und der spätere Unfallverursacher seien seinerzeit auf einer gemeinsamen Feier gewesen, der andere habe ihn anschließend in dessen Wagen mitgenommen. „Einmal kam er von der Fahrbahn ab, da habe ich ihm noch ins Lenkrad gegriffen. Dann habe ich gesagt: Du bist doch total breit, dann bin ich ausgestiegen, weil mir das zu gefährlich war“, sagt Daniel W. Solange er im Auto gewesen sei, habe es jedenfalls keinen Unfall gegeben. Und genau so habe er es damals auch gemeint.

„Sie haben aber bei der Verhandlung einen anderen Eindruck erweckt“, wirft der Amtsrichter ein. „Sie haben sich als Alibizeugen zur Verfügung gestellt.“ Die Aussage werde als Ganzes bewertet. „Es war bestimmt nicht mein Plan, für den anderen zu lügen“, versichert der Angeklagte nun eifrig, um Schadensbegrenzung bemüht. „Ich kenne ihn nicht einmal richtig!“

Bei dem Schaden, den der andere an dem geparkten Auto verursacht habe, „war das wohl ein Riesen-Rums. Das muss man mitgekriegt haben, egal, wie betrunken man ist“, macht er jetzt eine verbale Kehrtwende. Seine Zufallsbekanntschaft habe seinerzeit nach seiner Aussage „nicht mal Danke gesagt“, beschwert sich der Angeklagte jetzt.

„Er sollte mir eigentlich heute in meinem Prozess helfen, aber er ist im Ausland und nicht erreichbar. Wenn der Typ in Deutschland wäre, würde ich ihn anzeigen und sagen: Was hast du mir angetan?“ Es sei für ihn „eine Katastrophe“, jammert der Angeklagte, zumal er noch wegen einer anderen Straftat unter Bewährung steht und gerade eben alle seine ausstehenden Schulden beglichen habe. „Ich war doch gerade sauber! Da habe ich mich wohl selber in die Pfanne gehauen.“

Doch damit ist er offenbar nicht der Einzige. Es gebe nicht selten Zeugen, die sagten einfach etwas daher, um einem Kumpel zu helfen, moniert der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Und über die Konsequenzen werde nicht wirklich nachgedacht. „Aber vor Gericht die Unwahrheit zu sagen, wird schwer bestraft.“ So erhält jetzt auch Lagerarbeiter Daniel W. vom Amtsrichter eine Strafe von 90 Tagessätzen zu 15 Euro, also insgesamt 1350 Euro, die er in Raten abstottern kann. „Sie haben wahrscheinlich aus Gefälligkeit versucht, einen Kumpel vor einer Verurteilung zu bewahren“, begründet der Richter sein Urteil. „Und Sie haben dabei gelogen.“ Zu allem Überfluss vergebens: Der Unfallfahrer ist damals trotzdem verurteilt worden – übrigens zu einer geringeren Geldstrafe als Daniel W. sie jetzt bekommen hat. Lügen zahlt sich eben nicht aus.

Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall