Den 19 Bewohnern des Wilfried-Borck-Hauses stehen nur 152 Quadratmeter Garten zu

Alsterdorf. Auf dem Gelände der Evangelischen Stiftung Alsterdorf ziehen diese Woche 19 Behinderte von ihrem gewohnten Umfeld in einen Neubau. Eltern und Betreuer befürchten, dass ihre Schützlinge dadurch in ihrer Freiheit beschränkt werden. Bislang konnten sie sich relativ eigenständig bewegen. Künftig stehen ihnen dafür Außenflächen von insgesamt 222 Quadratmeter zur Verfügung. Die eigentliche Gartenanlage ist nur 152 Quadratmeter groß, die restliche Fläche verteilt sich auf zwei Terrassen und elf Balkone. Verlassen können sie die umzäunten Anlagen nur in Begleitung.

Bis jetzt wohnten die Behinderten im Wilfried-Borck-Haus. Es ist das letzte Relikt aus den Zeiten der ehemaligen Alsterdorfer Anstalten, in denen Behinderte geschlossen untergebracht wurden. Inzwischen heißt das Motto Inklusion. Das zeigt sich auf dem gesamten Gelände: Am Alsterdorfer Markt ist es völlig normal, dass Menschen mit und ohne Handicap aufeinandertreffen. Auch gewohnt wird inklusiv: Im neuen Quartier „Alsterdorfer Gärten“ hat die Stiftung 132 Wohnungen geschaffen, von denen etwa die Hälfte für Nichtbehinderte ist. Weil auch auf dem Grundstück des Wilfried-Brock-Hauses Wohnhäuser entstehen sollen, wurden die meisten der 110 ehemaligen Bewohner bereits umquartiert.

Unter denen, die in diesen Tagen umziehen, sind Volkan und Adrian. Ihr Leben, wie sie es kennen, wird sich dann verändern. Die jungen Männer, beide Anfang 30, sind bisher den ganzen Tag im Wilfried-Borck-Haus, im dazugehörenden Garten und auf dem Vorplatz unterwegs gewesen; Volkan im Rollstuhl, Adrian zu Fuß. Während Adrian gerne mit dem Fahrstuhl rauf und runter fährt, schaut Volkan gerne den U-Bahnen zu. Sie rauschen hinter dem Zaun entlang, der das Stiftungsgelände im Osten begrenzt. Er nimmt auch gerne mit Passanten Kontakt auf. Mit einem charmanten Lächeln blickt er dann aus dunklen Augen zu ihnen empor, streckt ihnen unbeholfen die verkrüppelte Hand hin, und freut sich breit lachend, wenn sie ergriffen wird.

Trotz Unterbringungsbeschlusses muss maximaler Freiraum gewährt werden

Mustafa E. schiebt seinen Sohn zu dem Neubau, in dem Volkan künftig leben wird. „Wie soll Volkan hier glücklich werden?“, fragt er besorgt und deutet auf den dreistöckigen Kasten. Zwei Etagen sind für die Behinderten vorgesehen. Nachdem sich die Betreuer gegen Pläne gewehrt hatten, die Bewohner in Einzelapartments unterzubringen (das Abendblatt berichtete), soll es nun zwei Wohngruppen geben. „Immerhin ein Kompromiss“, sagt Mustafa E.. Doch sein Sohn werde sich eingesperrt fühlen. „Volkan geht nur zum Schlafen in sein Zimmer“, sagt er. Wichtiger wären für ihn größere Aufenthaltsräume und mehr Platz draußen.

Volkan, Adrian und acht seiner Mitbewohner haben einen Unterbringungsbeschluss. „Dennoch muss man ihnen maximalen Bewegungsraum gewähren“, sagt Lothar Selke, der mehrere Bewohner des Wilfried-Borck-Hauses anwaltlich vertritt. So hatte er bereits für sie erstritten, dass sie sich bislang vor dem Wilfried-Borck-Haus aufhalten konnten – beaufsichtigt von einem Mitarbeiter des sogenannten Orientierungsservices (Selke nennt ihn Pförtner). Als das von 21 auf 20 Uhr beschränkt werden sollte, konnte er sich ebenfalls erfolgreich dagegen wehren.

Der ehemalige Richter berät auch Renate S., Adrians Mutter. „In letzter Zeit ist Adrian sehr nervös“, klagt sie. Mit dem Auszug der meisten Bewohner aus dem Wilfried-Borck-Haus habe sich dort das Personal geändert; wichtige Bezugspersonen seien nicht mehr da. Man muss Adrian aber kennen, um richtig mit ihm umzugehen. Fällt er hin, darf ihm nur eine einzige Person aufhelfen, sonst wird er aggressiv. Um das zu kompensieren, braucht er Bewegungsfreiraum. „Ich fürchte, dass der ihm jetzt genommen wird“, sagt Renate S..

Die Stiftung Alsterdorf wiegelt ab. „Unsere Klienten erhalten sichere und geprüfte Möglichkeiten, um sich freier zu bewegen“, sagt Sprecherin Sweelin Heuss. Ein Mitarbeiter werde sie künftig in den gesicherten Außenbereich führen, wo sie sich unbegleitet aufhalten könnten, oder in eine angrenzende autofreie Zone, wo es viele Bewegungs- und Entdeckungsmöglichkeiten gebe. „Das ist eine deutliche Verbesserung“, so Heuss. Lothar Selke und die Eltern befürchten allerdings, dass es dafür nicht genügend Personal geben wird.