Hamburg plant Abriss des Bezirksamts Nord und von Teilen der Nikolai-Schule, um 280 Wohnungen zu bauen. Das Gebäudeensemble steht unter Denkmalschutz

Eppendorf. Im Innenhof toben die Kinder. Ihre Eltern stehen in kleinen Grüppchen zusammen. Das Sommerwetter meint es gut mit dem Kennenlerntag an der Grundschule St. Nikolai. Anke Strade, ihre Tochter besucht die Schule, arbeitet im Vorstand des Elternrats. Sie zeigt einem Jungen den kleinen Schulgarten. In bunten und mit Erde gefüllten Plastikkisten, jeweils zwei für eine Klasse, wachsen kleine zarte Pflanzen. „Viele der Pflanzen haben die Eltern beigesteuert.“

Die Grundschule St. Nikolai liegt im Zentrum von Eppendorf. In Sichtweite ragt das Bezirksamt in die Höhe. Von der nahen, viel befahrenen Lenhartzstraße ist der Autoverkehr allerdings kaum zu hören. Die Schule ist so gebaut, dass der abgeschottete Innenhof wie das Zentrum wirkt. Überdachte Gänge ermöglichen einen fließenden Übergang von drinnen nach draußen und lassen südeuropäisches Flair erahnen. In den Sommermonaten bilden die hochgewachsenen Bäume ein grünes Dach.

Diese Idylle ist in diesen Tagen heftig umstritten. Weil Bezirksamt und Schule in die Jahre gekommen sind, der SPD-Senat zudem versprochen hat, jedes Jahr 6000 Wohnungen zu bauen, soll in der Neuen Mitte Eppendorf kein Stein auf dem anderen bleiben. Auf der fast vier Fußballfelder großen Fläche soll ein neues, zwölfgeschossiges Bezirksamt entstehen, dazu eine neue Schule und 300, zum größten Teil hochpreisige Wohnungen.

Für einen Immobilienentwickler ist das Geschäft eine sichere Sache. Eppendorf gilt als eines der Quartiere, die viel nachgefragt werden. Wer durch die Robert-Koch-Straße – sie begrenzt das Grundstück östlich – schlendert, kann die neu gebauten Gebäude nicht übersehen. Ausladende Balkone und Tiefgaragen signalisieren: Hier lebt es sich gut und vor allem teuer.

Je konkreter die Pläne der Stadt, Bezirksamt und Schule abzureißen, werden, desto mehr wächst der Widerstand. So lehnt der Elternrat Abriss und Neubau der Grundschule St. Nikolai ab. Die unlängst vorgestellten städtebauliche Pläne entsprächen „nicht den Erfordernissen der Schule“, heißt es in einer jetzt veröffentlichten Erklärung.

Die Eltern stören sich vor allem daran, dass die künftige Schule an der vierspurigen Lenhartzstraße errichtet werden soll, die einer Studie zufolge „die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung überschritten“ hat. „Aus unserer Sicht kann eine Ganztagsschule erstens nicht als Lärmschutzwand für die dahinterliegende Bebauung missbraucht werden und sollte zweitens als Grundschule nicht an einer der befahrendsten Einfallstraßen – täglich circa 60.000 Fahrzeuge – liegen“, heißt es in der Erklärung des Elternrats.

Sorge bereitet Eltern auch, dass der Schulhof wegen des Wohnungsbaus massiv beschnitten werden soll. Für die 460 Grund- und Vorschüler stünden künftig lediglich 1800 Quadratmeter zur Verfügung. In Ganztagsschulen seien aber Frei- und Bewegungsflächen besonders wichtig. „Anstatt differenzierte Pausen- und Freiflächen zu bieten, stellt der Entwurf jedem Kind mit insgesamt etwa vier Quadratmetern gerade so viel Platz zur Verfügung wie einem Huhn in Freilandhaltung.“

Unterstützung bekommen die Eltern jetzt vom Planungsbeirat, dem Vertreter unterschiedlicher gesellschaftlicher Organisationen angehören. Das Schulgebäude und die angrenzende Bebauung würden einen Lärmtrichter bilden, der sowohl den Unterricht als auch die Nutzung der Wohnungen stark beeinträchtigen werde, heißt es in einem Beschluss. Zudem wird bemängelt, dass die besonderen Anforderungen, die an eine Inklusionsschule gestellt würden, bei den Neubauplänen zu wenig beachtet worden seien. Demnach sei ein Schulgebäude mit mehr als zwei Geschossen für einen „inklusiven Schulbetrieb“ nicht geeignet. Die bisherige Schule hat lediglich zwei Geschosse. Vor allem sorgen die Anwohner wie Eltern sich um den alten Baumbestand. Die Erfahrung lehre, dass viele Bäume derart umfangreiche Bauarbeiten nicht überleben würden.

Nicht zuletzt wächst der Widerstand dagegen, denkmalgeschützte Gebäude abzureißen. Sowohl das Bezirksamt Nord als auch die Schule galten bei ihrem Bau in den 50er-Jahren als vorbildlich. Mit dem Amt sei „ein anschauliches und qualitätsvolles Beispiel eines Verwaltungsbaus der Nachkriegszeit mit wegweisender Bedeutung für die nachfolgende Architektur“ geschaffen worden, heißt es in einer Broschüre des Stadtteilarchivs Eppendorf. Das Verwaltungsgebäude sei „wichtiger baulicher Vertreter der Nachkriegsmoderne in Hamburg“.

Als ähnlich vorbildlich – im Sinne der Inklusion – gilt die vom renommierten Architekten Gerhart Laage entwickelte Schule, die der erste Neubau einer „Hilfsschule“ in der Hansestadt nach dem Krieg war. Zu den Erfordernissen einer Sonderschule „gehörte es insbesondere, Räume für kleine Klassengemeinschaften zu schaffen und daneben die Werkstatträume und die Lehrküche besonders sorgfältig einzurichten“, heißt es in der Broschüre des Stadtteilarchivs. Das klingt, als wäre es heute geschrieben worden.

Besondere Bedeutung komme den Außenflächen zu. „Durch mehrere voneinander getrennte Grünflächen entspricht die Schule der Forderung von zusätzlichen ‚grünen Klassenzimmern‘“. In den Garten wurden besondere Unterrichtsplätze integriert und „durch Umpflanzungen gegen Sicht und Wind geschützt“. Schon bald nach ihrer Eröffnung wurde der Schulbau St. Nikolai von Experten gewürdigt. „Dieser Schulbau ist nicht nur ein Gehäuse für die erzieherische Arbeit, sondern er hat selbst eine erzieherische, eine befreiende und klärende Funktion“, heißt es bei Wend Fischer, Architektur, Deutsche Hausbücherei der Kunst unserer Zeit (1957).

Widerstand gegen einen Abriss der denkmalgeschützten Gebäude gibt es offenbar auch in der Kulturbehörde. Intern heißt es, dass man eine Aufhebung des Denkmalschutzes nicht befürworten werde. Aus der Schulbehörde heißt es knapp: „Klar ist: Die Schulbehörde wird sorgfältig die Interessen der Schule wahren!“ Ob die Einwände der Kritiker beim Bezirk und bei der Stadt Gehör finden, wird sich schon bald zeigen. Noch vor den Sommerferien soll die zuständige Senatskommission über die Aufhebung des Denkmalschutzes für das Bezirksamt und die Grundschule St. Nikolai beraten.