Neues Programm soll Asylbewerber fit für den Arbeitsmarkt machen. Hamburg ist eine von sechs Modellregionen

Hamburg. Mit einem neuen Modellprojekt sollen Flüchtlinge fit für den deutschen Arbeitsmarkt gemacht werden. Seit Februar schult die Agentur für Arbeit qualifizierte Asylbewerber und nutzt damit die Wartezeit bis zur Klärung des Bleiberechts. Zugleich mit dem Erhalt eines Aufenthaltsstatus können sie auf diese Weise ihre neue Stelle antreten. Hamburg ist eine von sechs deutschen Städten, die das Projekt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nun gestartet hat.

„Kommen Flüchtlinge nach Deutschland, sind sie zunächst einmal neun Monate zum Nichtstun verdammt“, sagt Sönke Fock, Chef der Hamburger Agentur für Arbeit. Neun Monate dauert üblicherweise das Verfahren, in dem der Aufenthaltsstatus geklärt wird. „Untätigkeit entspricht nicht der Vorstellung der Flüchtlinge“, so Fock. „Sie wollen anerkannt werden und sich integrieren. Und das geht am besten über Arbeit und Ausbildung.“ Der Zeitraum bis zur Feststellung des Aufenthaltsstatus soll zwar nach Vorstellung der Großen Koalition in Berlin auf drei Monate verkürzt werden. Darauf haben sich Union und SPD geeinigt. Wann das umgesetzt wird, ist aber unklar. Deshalb soll die Wartezeit sinnvoll genutzt werden, indem die fachlichen und sprachlichen Fähigkeiten der Flüchtlinge bestimmt und verbessert werden. Außerdem kann die Arbeitsagentur in dieser Zeit auf die Suche nach einem Arbeitsplatz gehen.

Auch wenn es zunächst so scheint, handelt es sich „ausdrücklich nicht um ein humanitäres Projekt“, sagt Sönke Fock. Das Projekt trage vielmehr der Fachkräfte-Debatte Rechnung. Derzeit fehlen der Hamburger Wirtschaft nach eigener Aussage 37.000 Fachkräfte. Es gibt sogenannte Engpassberufe. Besonders das Hotel- und Gaststättengewerbe ist auf der Suche nach geeigneten Mitarbeitern, aber auch in medizinischen Sparten und Pflegeberufen ist die Nachfrage nach Mitarbeitern groß.

Dass sich das Interesse, welches die Arbeitsagenturen an den Flüchtlingen haben, nicht aus Menschlichkeit speist, sondern am Bedarf misst, bezeichnet Agenturchef Fock als Paradigmenwechsel. Erstmals werden die steigenden Flüchtlingszahlen auch als Chance für den Arbeitsmarkt gesehen. Noch im Jahr 2009 hat Hamburg knapp 770 Menschen neu aufgenommen, die Asyl suchten, 2013 waren es rund 3600. Neu ist, dass diese Gruppe als Potenzial angesehen wird. Vom neuen Projekt sollen Flüchtlinge und Arbeitsmarkt gleichermaßen profitieren.

Die Teilnahme an dem Sonderprogramm (genannt Xenos), welches neben Hamburg auch in Bremen, Dresden, Köln, Augsburg und Freiburg seit Februar dieses Jahres angeboten wird, ist freiwillig. Die wichtigste Voraussetzung für die Teilnehmer aber ist die Herkunft aus einem Land, bei dem die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass ein Bleiberecht gewährt wird. Das bedeutet: Wer aus Ghana oder Senegal kommt, Länder die vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration als sichere Herkunftsländer angesehen werden, bekommt aller Voraussicht nach kein dauerhaftes Bleiberecht. Das erhalten nur jene Flüchtlinge, die aus Staaten kommen, in denen unter anderem politische Verfolgung stattfindet. Dazu zählen etwa Syrien, Afghanistan, Pakistan, der Iran, Irak, Somalia, Eritrea oder Sri Lanka. „Wenn es keinen Aufenthaltsstatus gibt, sind mir die Hände gebunden“, sagt Fock.

Die Bandbreite reicht vom Analphabeten bis zum Akademiker

Die Auswahl der Asylantragsteller läuft zentral über das Bundesamt. Die Bewerber werden dann an die Arbeitsagenturen vermittelt. Während parallel das Verfahren zum Bleiberecht läuft, prüft die Agentur die Qualifikation der Flüchtlinge. Die Bandbreite reicht vom Analphabeten bis zum Akademiker. „Wir müssen herausfinden, ob die Schul- und Berufsabschlüsse vergleichbar mit unseren sind und ob man sie anerkennen kann“, erklärt Sönke Fock. Häufig liegen entsprechende Dokumente nicht vor. Wer aus seinem Heimatland flüchtet, nimmt in der Regel nur das Nötigste mit. Es wird dann versucht, die Dokumente zu beschaffen, über etwaige Verwandte der Flüchtlinge oder Botschaften. Gelingt auch das nicht, ist es laut Fock möglich, die Qualifikation über eine Arbeitsprobe nachzuweisen. Sönke Fock: „Es kann aber auch herauskommen, dass das Programm nicht für jeden Bewerber sinnvoll ist und er keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hat.“

Gleichzeitig laufen Sprachkurse für die Flüchtlinge. Denn nur wenn sie über ein bestimmtes Sprachniveau verfügen, sind sie an Betriebe vermittelbar. In diesem Zusammenhang war es zwischen den Ländern und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch vor wenigen Wochen zu massiven Verstimmungen gekommen. Das Ministerium ist für die Finanzierung der Sprachkurse zuständig und hatte die Förderung vorerst gestoppt, weil entsprechende EU-Mittel ausgelaufen waren. Dem Vernehmen nach hat Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) bei seiner Parteifreundin, Bundessozialministerin Andrea Nahles, protestiert. Öffentlich hatte Scheele gefordert, dass der Bund sich bei der Finanzierung der Deutschkurse nicht zurückziehen dürfe, sondern stattdessen eine Überbrückung der Förderlücke für dieses Jahr ermöglichen müsse. Hamburg hat im April gemeinsam mit Bremen einen entsprechenden Antrag im Bundesrat gestellt.

Mit Erfolg. Anfang dieses Monats hat das Bundessozialministerium weitere 34 Millionen Euro bewilligt. Wie viele von den bislang 50 Teilnehmern in Hamburg schließlich einen Job bekommen werden, ist trotzdem noch unklar. Denn den bekommen sie – auch wenn sie fachlich geeignet und als Flüchtlinge anerkannt sind – erst dann, wenn es keinen Kandidaten aus der EU gibt.