Durchschnittsalter sinkt – und immer mehr Pädagogen gehen in Elternzeit. Oft gelingt es nicht, Vertretungen zu bekommen

Hamburg. Ende März war es fast schon ein personeller Notstand. Am Gymnasium Klosterschule in St.Georg fielen 13 Lehrer gleichzeitig aus, jeder sechste Pädagoge war das. Nicht etwa wegen Krankheit – die Kolleginnen waren schwanger, hatten ihre Kinder gerade bekommen oder waren in Elternzeit gegangen. So wie die Englisch-, Musik- und Theaterlehrerin Ute Kwaschik. Die 35-Jährige erwartet in weniger als zwei Wochen ihr zweites Kind. Ihr Partner Ferdinand Kiderlen, 36, ist auch Lehrer an der Klosterschule und wird bald ebenso fehlen. Er plant, gleich nach der Geburt einen Monat Elternzeit zu nehmen. Nur nach und nach und mit Mühe konnte die Klosterschule Vertretungen organisieren.

Die Klosterschule ist kein Einzelfall: „Alle Schulformen haben in den vergangenen acht Jahren sehr viel junges Personal eingestellt und müssen Schwangerschaften und Elternzeiten vertreten“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Mit dem sinkenden Durchschnittsalter der Lehrer in Hamburg von 46,9 Jahre Ende 2010 auf 44,8 Jahre Ende 2013 nimmt auch die Zahl der Pädagogen zu, die aufgrund ihrer Familienplanung länger ausfallen. „Wir haben noch stärker als früher einen Überhang an Frauen“, sagt Helga Wendland, Leiterin der Ida-Ehre-Schule in Eimsbüttel. Sind die Frauen verbeamtet, werden sie schwanger. „Das wollen wir ja auch, das ist der Lauf der Dinge“, sagt Schulleiterin Wendland.

Dass er Elternzeit nehmen kann, findet der Englisch- und Politiklehrer Ferdinand Kiderlen natürlich großartig. Schon bei Sohn Moritz, drei Jahre, hat er am Anfang einen Monat und zum Ende hin zwei Monate Elternzeit genommen. Schulleiter Ruben Herzberg allerdings stellt das vor organisatorische Schwierigkeiten, genau wie seine Kollegen an den übrigen Schulen. Denn: Hamburgweit gehen mehr Lehrer in Elternzeit als zurückkehren. Betrug die Differenz der Beurlaubungen für 2010 noch 30, ist diese im vergangenen Jahr auf 90 angestiegen. Vor vier Jahren waren 481 Lehrer beurlaubt, überwiegend aufgrund von Elternzeit, im vergangenen Jahr stieg diese Zahl um 202 auf 683 Kollegen in Elternzeit.

Eine Kollegin von Ferdinand Kiderlen wird ihre Stundenzahl aufstocken und seine 9b als Klassenlehrerin für diese Zeit übernehmen. Häufig ist es aber komplizierter, geeignetes Personal zu finden. „Es ist in allen Fächern schwierig, mal eben auf die Schnelle gute Leute zu finden“, heißt es. Es werde schließlich nicht jeder Kandidat genommen, „nicht jeder Lehrer ist auch der geeignete.“ Auf einem Elternabend wurden die Eltern an der Klosterschule beispielsweise aufgefordert, zu überlegen, wo die fehlenden zwei Sportlehrer herkommen könnten. „Ein junges Kollegium ist toll, aber dadurch gibt es auch eine hohe Fluktuation“, sagt Eleonore Cucina, Elternratsvorsitzende an der Klosterschule. Zu Unterrichtsausfällen sei es aber nicht gekommen. „Die Schüler bekommen dann Arbeitsaufträge und werden von anderen Lehrern beaufsichtigt“, sagt Frau Cucina, deren Tochter in die 9. Klasse geht.

Normalerweise finden die Schulleiter Vertretungspersonal über eine elektronische Informationsbasis. Auf diesem elektronischen Stellenmarkt melden sich unter anderem Lehrkräfte in Übergangssituationen, die beispielsweise kurz vor ihrem Referendariat stehen oder ihr Zweites Staatsexamen abgeschlossen haben und auf eine Festanstellung warten. Oder es sind pensionierte Lehrer oder auch Menschen ohne Lehramtsstudium, die aber beispielsweise eine Fremdsprache unterrichten können, weil sie Muttersprachler sind.

Und nicht nur Pädagogen in Mutterschutz sind für die finanziellen Schwierigkeiten die Ursache, auch erhöhter Personalbedarf für Fortbildungen, Projektwochen und andere dienstliche Verpflichtungen belasten die Budgets. „Das Durchführen der Klassenreisen kostet allein die Gymnasien etwa 22 Stellen, die gar nicht finanziert sind. Die beiden wegfahrenden Kollegen erzeugen gleichzeitig auch noch Vertretungsbedarf, der nicht dadurch kompensiert wird, dass eine Klasse weniger unterrichtet werden muss“, sagt Egon Tegge, Vorsitzender der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien.

Stefanie von Berg, schulpolitische Sprecherin der grünen Bürgerschaftsfraktion: „Das Prinzip der selbstverantworteten Schule ist richtig und wichtig. Allerdings darf dieses Prinzip nicht dazu führen, dass sich der Senat aus seiner Verantwortung für die Schulen stiehlt.“ Auch aus der Antwort auf eine schriftliche Kleine Anfrage von Bergs geht hervor, dass die Schulen mehr Geld für Vertretungen ausgeben als sie haben. Berg: „Die Zahlen belegen, dass der Bedarf für Vertretungen erheblich gestiegen ist. Es ist nun Aufgabe des Senats, den Ursachen hierfür auf den Grund zu gehen.“

Dass Schulen, an denen besonders viele Kolleginnen schwanger werden und ausfallen, das Budget für die notwendigen Vertretungen nicht ausreicht, liegt allerdings nach Ansicht der zuständigen Schulbehörde in erster Linie an der fehlerhaften Planung der jeweiligen Schulleiter. „Es gibt immer wieder einzelne Schulleitungen, die deutlich mehr zusätzliches Personal einsetzen, als ihrer Schule zugewiesen wurde“, sagt Behördensprecher Albrecht. Eher selten liege das daran, dass es an der Schule viele Krankheitsfälle gibt. „Oft werden die zusätzlichen Stellen für andere schulische Zwecke eingesetzt, etwa für zusätzliche Kursangebote oder deutlich zu kleine Kurse in der Oberstufe. Manchmal werden auch die Lehrkräfte der Schule nicht für den Vertretungsunterricht herangezogen.“ Eine Reihe von Schulen habe dagegen viele Personalstellen übrig und nicht besetzt, manchmal im Gegenwert von höheren sechsstelligen Beträgen.