Nachdem eine Mutter und ihrer zwei Söhne bei einem Feuer in der Flüchtlingsunterkunft an der Eimsbütteler Straße ums Leben kamen, herrscht Trauer und Fassungslosigkeit.

Altona-Nord. Vor dem Haus liegen Tulpen, Rosen, Hyazinthen und Primeln, dazwischen stehen Kerzen und zwei Kuscheltiere. Immer wieder legen Passanten Blumen nieder. Sie bleiben kurz stehen und gedenken der zwei Kinder und ihrer Mutter, die am Mittwochabend in der Flüchtlingsunterkunft in der Eimsbüttler Straße 75 durch ein Feuer gestorben sind. Die Polizei geht von Brandstiftung aus. Fanny Dethloff, Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche, hält morgens eine kurze Ansprache. „Ich bin sprachlos“, sagt sie und bittet um eine Gedenkminute. Während die Menschen vor dem Haus schweigen, transportieren Arbeiter mit Mundschutz und blauen Overalls Schutt, verkohlte Türen und Wandverkleidungen aus dem Haus. Es riecht stechend nach kaltem Rauch.

Auch Familie Babaev ist gekommen. Sie war von der Feuerwehr aus der zweiten Etage gerettet worden, bekleidet nur mit Pyjamas. „Wir haben nichts mitnehmen können“, sagt Noorana Babaeva, die 19-jährige Tochter. Die Kleidung, die sie, ihr Bruder Noorlan, 17, und ihre Eltern Meherziban und Namik jetzt tragen, haben sie mit Geld vom Sozialamt gekauft. In die Notunterkunft, die ihnen in einer Bergedorfer Siedlung zugewiesen wurde, sind sie nicht gezogen. „Wir wären in zwei verschiedenen Blocks untergebracht worden und hätten uns das Bad mit anderen teilen müssen. Meine neunjährige Schwester hat nur noch geweint“, sagt Noorana. Die Familie hat in der Wohnung eines Verwandten geschlafen, behelfsmäßig auf Fußboden und Sofa. Die Babaevs fühlen sich im Stich gelassen. Einen Mitarbeiter von „Fördern und Wohnen“ hat Noorana vor Ort gefragt, ob das Haus wieder bewohnbar sein wird, und ihn auf Risse in der Rückfassade aufmerksam gemacht. „Er hat mich einfach stehen gelassen“, sagt sie. An Brandstiftung will die Familie nicht glauben. „Es war alles veraltet, ein technischer Defekt ist gut möglich“, sagen sie. Dennoch: Die Haustür sei kaputt gewesen, jeder konnte rein.

Ein dunkler BMW mit Augsburger Kennzeichen fährt vor. Auf dem Beifahrersitz der Familienvater, der im Feuer seine Frau Nacia und seine Söhne verloren hat. Der Pakistaner verbirgt sein Gesicht in den Händen, wagt nur manchmal einen Blick zum Haus. Zwei Männer steigen aus: Ein Freund, der aus Bayern gekommen ist, sobald er von dem Unglück gehört hat, und der Onkel der gestorbenen Jungen: Daniel, 6, und Rahman, 7. Sie reden kurz mit den Männern, die das Haus bewachen. Zu ihrem Anliegen möchten sie sich nicht äußern. „Keine Interviews. Bitte respektieren sie unsere Trauer“, sagen sie. Dann kehren sie zu dem Auto zurück und fahren langsam wieder davon.

In der Grundschule Arnkielstraße, in der seine Söhne Vorschule und erste Klasse besucht haben, steht ein Foto von ihnen, davor Kerzen und Blumen. Ilhan Aydin wird dort gleich hingehen, vorher wollte er sich den Unglücksort noch einmal ansehen. Seine beiden Söhne sind mit den beiden zur Schule gegangen, erzählt er: Daniel mit Emre, 5, Rahman mit Emirhan, 7. Die Klassenlehrerin der „Großen“ hat den Kindern schon am Donnerstag erzählt, dass Rahman nicht wiederkommen wird. Die Vorschulkinder wissen noch nichts. „Wir erzählen es ihnen gleich“, sagt Aydin. Er hat Angst davor. „Emre und Daniel waren unzertrennlich. Wie soll der Kleine bloß begreifen, dass sie nie wieder zusammen spielen werden?“

„Fördern und Wohnen“ bescheinigt Brandschutz einwandfreien Zustand

Auch Hassan Hussein steht vor dem Brandhaus, in dem er mit seiner Frau Hoda und den vier Kindern gewohnt hat. Er hat ebenfalls abgelehnt, die Notunterkunft zu beziehen. „Die ist in Wandsbek. Aber die Kinder sollen hier zur Schule gehen – es muss doch wieder Alltag einkehren“, sagt der Ägypter. Die Familie ist bei Bekannten untergekommen; in einem Haus im Hinterhof, das ebenfalls von „Fördern und Wohnen“ angemietet wurde.

Das Feuerdrama beschäftigt mittlerweile auch die Politik. „Wir trauern“, sagt Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Die Stadt und ihre Behörden müssten nun insbesondere dem Mann, der seine Frau und zwei Söhne verloren hat, hilfreich zur Seite stehen. Gleichzeitig verlangt Scholz Aufklärung über die Brandursache. Dabei vertraue er den Experten von Staatsanwaltschaft, Feuerwehr und Polizei. Die Bürgerschaftsfraktion der Grünen verlangt mit einer Kleinen Anfrage Auskunft über die aktuellen Ermittlungserkenntnisse, ob es in dem Haus bereits früher gebrannt hat und wann die Brandschutzvorschriften zuletzt überprüft wurden. „Dass es sich offenbar um Brandstiftung handelt, macht den Fall noch tragischer“, erklärt die innenpolitische Sprecherin Antje Möller. „Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer.“ Die FDP, die Linksfraktion und die Türkische Gemeinde rufen zur Teilnahme an einem Trauermarsch am heutigen Sonnabend um 13 Uhr am Bahnhof Sternschanze auf. „Wir Hamburger müssen jetzt zusammenstehen, um denen, die bei uns Schutz suchten, nicht nur Schutz, sondern auch Trost und Hilfe zukommen zu lassen“, sagt der stellvertretender Landesvorsitzender der FDP, Najib Karim.

Die zehnköpfige Sonderkommission geht ersten vielversprechenden Spuren nach. „Es gibt einen sehr guten Hinweis von einer Fußgängerin, den wir sehr ernst nehmen“, sagte ein Polizeisprecher. Gesucht wird noch nach weiteren Hinweisen, die sich auf die Zeit vor dem Feuer beziehen. Über das Wochenende werden die Ermittler die Bewohner des Hauses, die verstreut über Hamburg untergebracht sind, und die Nachbarn befragen. Daraus erhoffen sie sich neue Ansatzpunkte. Die Spurensicherung am Tatort ist abgeschlossen. „Es wurde kein Brandbeschleuniger festgestellt“, so ein Polizist. Möglich ist, dass der Kinderwagen vorsätzlich angesteckt wurde oder eine Zigarettenkippe die Tragödie ausgelöst hat. Die Ergebnisse von kriminaltechnischen Untersuchungen an möglichen Spurenträgern stehen noch aus. „Fördern und Wohnen“ hat betont, der Brandschutz im Gebäude sei einwandfrei gewesen. Das Haus sei in gutem bis akzeptablem Zustand, hieß es bei der städtischen Einrichtung.