Das Prinzip ist einfach: Die eine stillende Frau hat zu viel Muttermilch, die andere zu wenig. Über die Muttermilchbörse können sie sich treffen. Arzt und Hebamme begrüßen die Idee.

Eimsbüttel. Tauschen liegt im Trend. Es gibt Internetbörsen für alles Mögliche. Jetzt ist die vermutlich erste private Muttermilch-Börse Deutschlands an den Start gegangen. Innerhalb eines Tages haben sich bereits fünf Interessenten dort eingetragen.

Das Prinzip ist einfach: Die eine stillende Frau hat zu viel Muttermilch, die sie abpumpt und einfriert, eine andere dagegen hat zu wenig Muttermilch für ihr Baby. Beide Mütter können sich auf einer Internetplattform treffen, um Muttermilch zu tauschen. Das dachte sich Tanja Müller aus Eimsbüttel und startete die Muttermilchbörse.

Als ihr Sohn Jonathan vor drei Jahren geboren wurde, hatte Tanja Müller zunächst Schwierigkeiten mit dem Stillen. Trotz einer schmerzhaften Brustentzündung kam Aufgeben für sie nicht infrage. Zu wertvoll war ihr die Muttermilch. Bei ihrer zweijährigen Tochter Maria lief es ganz anders: „Beim ersten Kind hatte ich zu wenig, beim zweiten zu viel Milch – und nirgends fand ich eine Möglichkeit zum Austausch.“

Es war paradox: Als ihre Tochter vier Wochen zu früh auf die Welt kam, traf sie eine Mutter auf der Säuglingsstation, die nicht genug eigene Milch für ihren Säugling hatte und Tanja Müller nach ihrer Milch fragte. Doch das Krankenhaus gestattete es nicht, der anderen Mutter von ihrer eigenen abgepumpten und im Krankenhauskühlschrank gelagerten Milch etwas abzugeben. Das war im Krankenhaus nicht vorgesehen. „Hygieneängste führen dazu, dass selbst in vielen Geburtskliniken überschüssige Milch weggeschüttet wird, auch dann, wenn bei anderen Säuglingen auf der Station unmittelbarer Bedarf besteht“, sagt Tanja Müller. Am Ende ihrer Stillzeit musste sie 92 100-Milliliter-Beutel mit gefrorener Muttermilch wegwerfen. „Da liefen mir die Tränen, es war so schade um die gute Milch und die viele Abpumparbeit.“

Im kinderfreien Urlaub an der Ostsee kam der Marketingexpertin Ostern 2013 die Idee zur Muttermilchbörse. Ihr Ehemann, ein Softwareentwickler, baute die Internetpräsenz (www.muttermilch-boerse.de). Inserate können nach Alter des Kindes sowie nach Postleitzahl gefiltert und mit Angaben über Gesundheit und Ernährung der Mutter versehen werden. Den Müttern steht es frei, Geld für ihre Milch zu verlangen oder sie zu verschenken.

„Ich freue mich, wenn sie die Milch verschenken“, sagt Tanja Müller. Kommerzielle Interessen stünden nicht hinter ihrem Angebot. Sie verlangt 4,99 Euro für ein dreimonatiges Inserat, „um meine Unkosten wieder hereinzuholen.“ Sie träume davon, dass dieser Weg des Milchtauschens offiziell anerkannt wird, dass sie Nachahmer findet. Sie hatte sich an den Kinderärzteverband gewandt, an die Stillkommission und den Hebammenverband, um unterstützt zu werden – ohne Erfolg. „Ich wollte es gern gemeinsam aufbauen. Aber es kam nichts.“

Eine Kooperation mit dem Institut für Milchuntersuchung (IFM) ermögliche zuverlässige Qualitätsprüfungen, sagt die 37-Jährige. Dort können Frauen ihre Milch testen lassen. Dort ist man von der Professionalität der Milchbörse ganz angetan. Tanja Müller rät den Verkäuferinnen, den Mutterpass zu überprüfen. In Deutschland wird das Blut der meisten Mütter während der Schwangerschaft auf viele Krankheiten geprüft, die auch in der Stillzeit als relevant gelten: HIV, Hepatitis B, Hepatitis C und Syphilis. Gut ist es auch, wenn der Arzt den Gesundheitszustand der Verkäuferin bestätigt. Ansonsten basiere der Kauf fremder Muttermilch auf Vertrauen. „Wenn möglich, rate ich den Frauen sich zu treffen und kennenzulernen“, sagt Frau Müller. Sie selbst übernimmt keine Verantwortung, sondern bietet lediglich die Möglichkeit, zusammenzukommen.

„Bisher konnten Frauen, die nicht stillen können, in Deutschland nur mit enormem Aufwand an Muttermilch für ihre Babys gelangen“, sagt sie. Die wenigen Milchbanken, die es gibt, begrenzen ihr Angebot regional und knüpfen die Milchvergabe häufig an strenge Bedingungen. „Das Kind muss zum Beispiel früh geboren sein“, sagt Tanja Müller.

Rückendeckung bekommt sie von Hebammen und Medizinern. Gynäkologe Lutz Rathmer von der Praxisklinik Winterhude sagt: „Das ist grundsätzlich erst einmal eine gute Sache. Es ist nachgewiesen, dass Muttermilch vor Krankheiten schützen kann. Sie bietet eindeutig Vorteile gegenüber industriell gefertigter Säuglingsnahrung, auch wenn es nicht die eigene Muttermilch ist.“ In Deutschland sei es noch bis in die 70er-Jahre üblich gewesen, Muttermilch an Sammelstellen abgeben zu können. Heute praktizieren nur noch wenige Kliniken in Ostdeutschland den Tausch von Muttermilch. Ein wenig skeptisch ist er, weil die Börse eine rein private Initiative ist. Das könne hinsichtlich mancher Infektionen heikel sein und sollte labortechnisch begleitet werden.

Auch Hebamme Martina Ulle hält die Milchbörse für eine gute Sache. „Die Forschung wird nie das erreichen, was eine Frau mit ihrem Körper produziert. Denn Muttermilch enthält lebende Bifidus-Bakterien, die die Abwehr stärken und mit den Helferzellen den sogenannten Nestschutz darstellen.“