Wider jede Vernunft winkt die Große Koalition milliardenschwere Reformen durch.

Er beherrscht das Spiel noch immer perfekt. Der einst als „Medienkanzler“ titulierte Gerhard Schröder (SPD) hat via „Bild“ seine Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) wie seine ungeliebte Parteifreundin Andrea Nahles frontal angegangen. Wortgewaltig rechnet er mit den Rentenreformen ab, die die Große Koalition gestern durchgewinkt hat. Der Gesetzentwurf sieht die Erhöhung der sogenannten Mütterrente, die abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren bei einer Beitragszeit von 45 Jahren und Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner vor. „Das absolut falsche Signal“, sagt Schröder. Wie recht er hat. Noch klüger allerdings wäre gewesen, Schröder hätte sich rechtzeitig zu Wort gemeldet – und nicht erst jetzt, um sein neues Buch zu bewerben.

Und doch deutet diese Rentenreform an, dass Gerhard Schröder aus einem anderen Holz geschnitzt ist als Angela Merkel. Der Hannoveraner hat mit seiner Agenda 2010 und tief greifenden Reformen dieses Land wieder wettbewerbsfähig gemacht – gegen alle Widerstände und auf Kosten der eigenen Partei und des eigenen Amtes. Schröder hat den alten Satz von Willy Brandt, erst komme das Land, dann die Partei, zur Maxime seines Handelns gemacht. Angela Merkel bevorzugt offenbar eine andere Reihenfolge.

Dieser erste zentrale Gesetzentwurf der Großen Koalition ist fatal. Er erfolgt überstürzt, weil er wichtige Fragen nicht klärt. Wenn Arbeitsministerin Nahles eine verfassungskonforme Lösung im parlamentarischen Verfahren „nachholen“ will, spürt man die heiße Nadel. Und das ist noch eine Petitesse verglichen mit den Langfristkosten der großkoalitionären Rentenparty. Experten gehen bei dem Paket von Mehrausgaben von 160 Milliarden Euro bis 2030 aus. „Wie soll das finanziert werden?“, fragt sich Schröder zu Recht. Die Antwort: Die Beitragsleister werden es bezahlen müssen – die eigentlich vorgesehene Entlastung bei den Rentenbeiträgen entfällt, die nächste Erhöhung rückt näher. Arbeit wird in Deutschland wieder teurer. Und damit nicht genug: Ausgerechnet gut ausgebildete Fachkräfte werden durch das neue Gesetz früher in den Ruhestand wechseln – oft ausgerechnet in den Branchen, die schon jetzt einen Mangel an guten Leuten beklagen. So schwächt man einen starken Standort.

Das zusammengeschusterte Gesetz zeigt zudem, wie die Große Koalition Deutschland offenbar regieren möchte: Es geht nicht um einen Interessenausgleich im Sinne des Landes, sondern der Parteien: Die Union bekommt die Mütterrente und darf sich von konservativen Wählern feiern lassen, im Gegenzug gönnt sich die SPD die abschlagsfreie Rente mit 63 und versöhnt sich mit den Gewerkschaften. Gleichzeitig schielen beide Parteien schon auf die nächsten Wahlen – schließlich stellen die über 55-Jährigen die Mehrheit der Wähler.

Abgeschmackt klingt es, wenn Merkel den Rentenirrsinn als soziale Großtat mit den Worten überhöht, „die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang mit Schwachen, ... wenn sie alt sind und wenn sie krank sind“. Das klingt richtig – aber war die Republik bis zu diesem Beschluss unmenschlich? Die einstige Reformpolitikerin Angela Merkel hat die halbe Sozialdemokratie längst links überholt – nur bei Andrea Nahles ist das schwer möglich. Die genehmigte sich gestern „einen ganz, ganz kleinen Moment des Stolzes“. Ein seltsamer Stolz auf eine „Leistung“, das Geld der jungen Menschen umzuverteilen ...

Der Stolz von heute wird ohnehin der Kampf von morgen sein: Diese Schönwetterreform dürfte in den Stürmen der nächsten Krise verwehen. Dann werden Union und SPD unter Schmerzen zurückdrehen müssen, was sie heute leichtfertig verschenken. Große Koalitionen galten stets als gute Lösung für schwierige Zeiten. Nahles und Merkel beweisen: In guten Zeiten werden sie schwierig für das Land.