Endlich gibt es Klarheit über den Ursprung Hamburgs. Historiker und Archäologen lösen das Rätsel des Domplatzes

Hamburg. Es ist eine wissenschaftliche Sensation. Archäologen und Historiker sind sich sicher, Hamburgs Keimzelle endgültig entdeckt zu haben. Die erste Hammaburg, das seit Jahrhunderten gesuchte Ur-Hamburg, stand doch auf dem heutigen Domplatz am Speersort. „Nach jahrelanger Auswertung aller Grabungsergebnisse und nach ausgiebiger Fachdiskussion mit führenden Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen kann dies jetzt als gesichert gelten“, sagte Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg, dem Abendblatt. Somit ist die 15 Monate dauernde Grabung auf dem Domplatz in den Jahren 2005/2006 doch noch ein großer Erfolg geworden. Damals hatte Enttäuschung geherrscht, weil es weder spektakuläre Funde noch zunächst neue Erkenntnisse gegeben hatte.

Doch Weiss und sein Team haben im Laufe der Auswertung aller Befunde Beweise und Indizien zusammengetragen, die das Bild von Hamburgs Frühgeschichte in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen. „Man kann durchaus sagen, dass Hamburgs Geschichte in Teilen neu geschrieben werden muss“, so Weiss. Bisher ging man davon aus, dass die Hammaburg um 815 errichtet und die Anlage und die Siedlung mit der Ankunft des Missionars und Bischofs Ansgar im Jahre 832 entscheidend aufgewertet wurde. Jetzt ist klar: Die Hammaburg ist deutlich älter und entstand bereits im 8. Jahrhundert. Es gab mindestens seit Beginn des 9. Jahrhunderts adlige Burgherren, wohl aus dem Geschlecht der Billunger. Historisch verbürgt ist ein Burgherr namens Bernhard, der in der Hammaburg und wahrscheinlich weiteren Befestigungsanlagen nördlich und südlich der Elbe residierte, als Ansgar ankam und die Siedlung zum Bistum wurde.

Die Hammaburg, verkehrsgünstig an Alster, Elbe und Bille gelegen, war von Beginn an ein Handelsplatz, der zunächst womöglich gar nicht ganzjährig bewohnt wurde. Man kann also sagen: Die Ur-Hamburger waren Händler, es handelt sich von Beginn an um eine Kaufmannsstadt. Die hölzerne, von einem Graben und Palisaden geschützte Burganlage lag auf einer Landzunge, die nördlich, westlich und südlich von der mäandernden Alster umgeben war.

Hamburg ist also keineswegs, wie früher oft vermutet, quasi eine kirchliche Gründung. Innerhalb der Hamma-burg stand auch keine Kirche, wie bisher angenommen wurde, sondern, wenn überhaupt, eine kleine Kapelle.

Die lange gesuchte Kirche des Ansgar – der Vorläufer des späteren Mariendoms – vermuten die Archäologen jetzt weiter nördlich: genau dort, wo die Petrikirche steht.

Der entscheidende Durchbruch bei den Forschungen ergab sich aus der Datierung von Funden mit neuesten wissenschaftlichen Methoden. So war man bereits in den 80er-Jahren auf eine „Doppel-Kreisanlage“ gestoßen, die Reste einer frühmittelalterlichen Befestigung. Bisher war man davon ausgegangen, dass sie aus dem 6. oder 7. Jahrhundert stammt (manche sprachen sogar von steinzeitlichen Anlagen) – und deswegen nicht die Hammaburg sein konnte. Das wurde jetzt durch die Arbeit des Ausgrabungsleiters, Dr. Karsten Kablitz, ebenso revidiert wie die Annahme, dass es sich um eine Anlage mit zwei Ringen handelte. Vielmehr gab es eine erste, kleine Anlage aus dem 8.Jahrhundert mit einem Durchmesser von rund 50 Metern, die dann zu Beginn des 9. Jahrhunderts auf 75 Meter erweitert wurde. Dieser äußere Ring wurde um das Jahr 850 eingeebnet, wie Weiss und sein Team herausgefunden haben. Und das passt perfekt zu einem historisch verbürgten Datum, denn 845 überfielen Wikinger die Hammaburg und zerstörten sie.

„Jetzt haben wir erstmals einen archäologisch belegten zeitlichen Ablauf, der perfekt zu den schriftlichen Quellen passt“, sagt Prof. Weiss. Gleichwohl gibt es natürlich noch immer viele offene Fragen. Zum Beispiel kann man nur mutmaßen, welchen Zweck die innere, ältere Befestigung hatte, die noch von Sachsen erbaut worden war.

Unklar ist auch die Zeit zwischen 845 und etwa 900, also von der Zerstörung der Hammaburg beim Wikingerüberfall bis zum Bau einer neuen großen Befestigung rund um die Siedlung. Doch das größte Rätsel ist nun gelöst.

Professor Weiss plant für den Herbst eine große Sonderausstellung. Dort soll auch das Original der „Vita Ansgari“ gezeigt werden, der zeitgenössischen Biografie des Missionars, die als wichtigste schriftliche Quelle zur Frühgeschichte Hamburgs gilt.