Hamburger protestieren gegen Ausfuhr von Munition über den Hafen. Prominente rufen zur Unterschriftenaktion auf. Allein innerhalb von drei Monaten verlassen rund 230 Container mit Patronen und Raketen den Hafen.

Hamburg. Bomben, Minen, Patronen – rund 1000 Schiffscontainer mit Munition werden jährlich über den Hamburger Hafen exportiert. Häufig kommen sie in Krisengebieten zum Einsatz und tragen zum Tod vieler Menschen bei. Gegen diesen Waffen- und Munitionsexport formiert sich erstmals breiter ziviler Widerstand.

Christoph Störmer, Hauptpastor an der Hauptkirche St. Petri, bereitet die Gründung einer politischen Initiative vor, die mit Unterschriften und Appellen an den Senat sowie an die Bundesregierung einen Stopp der Exporte erwirken soll. „Wir Hamburger sind gegen den Export von Gewalt über unseren Hafen. Wir müssen die Rüstungsexporte ausbremsen“, sagte Störmer dem Abendblatt. Auch die Teilnahme an Sitzblockaden vor den Hafenterminals schließe er als Mitglied der „Hamburger Initiative Kirchliche Mitarbeiter und Gewaltfreie Aktion“ nicht aus.

Zu den ersten prominenten Unterstützern der Aktion „Kein Export von Gewalt“ zählen der Reeder Peter Krämer, Jan van Aken (Hamburger Bundestagsabgeordneter der Linken), Erzbischof Werner Thissen, Schauspielerin Nina Petri, Propst Jürgen Bollmann (ehemaliger Bischofsvertreter) sowie die Professoren Michael Brzoska (Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg) und Hans-Jürgen Benedict von der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie. Störmer will die Abendblatt-Aktion „Keine Gewalt“ nicht nur regional begrenzen, sondern in einen internationalen politischen Kontext stellen. Die Kritik von Altbundeskanzler Helmut Schmidt an den Rüstungsexporten ermutige vielleicht auch andere, sich in dieser Frage zu engagieren, sagte Störmer. Schmidt forderte: „Es ist an der Zeit, Einspruch zu erheben.“ Deutschland rangiere als drittgrößter Waffenexporteur direkt nach den USA und Russland. Diese Entwicklung, so der 95-Jährige, müsse gestoppt werden.

Genaue Zahlen über das Ausmaß der Hamburger Waffenexporte gibt es nicht. Allein innerhalb von drei Monaten verlassen rund 230 Container mit Patronen und Raketen den Hafen. Das geht aus einer Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linken hervor. Zahlen für ein ganzes Jahr liegen nicht vor, weil das Gefahrgutinformationssystem GEGIS lediglich drei Monate erfasst. Ein längerer Aufbewahrungszeitraum der Daten sei nicht erforderlich, heißt es in der Antwort. Die vom Senat genannte Munition liest sich wie ein Katalog für Waffenhändler: 5672 Patronen für Handfeuerwaffen, verschifft in acht Containern, Wasserbomben, Raketen, Torpedos mit Flüssigtreibstoff.

„Jede Waffe“, sagt Jan van Aken, „findet ihren Krieg. Damit ist Hamburg das Tor zum Tod in der Welt.“ Jede Minute sterbe ein Mensch auf der Welt an den Folgen einer Gewehrkugel, einer Handgranate oder eine Landmine.

Erst kürzlich hatte van Aken enthüllt, dass Panzerabwehrraketen aus deutsch-französischer Produktion im syrischen Bürgerkrieg eingesetzt werden – auch von den Rebellen der al-Qaida-nahen Al-Nusrah-Front. „Wir müssen den Waffenexport ächten und stoppen“, fordert der Reeder Peter Krämer. Und Erzbischof Werner Thissen sagt: „Rüstungsexporte müssen differenziert bewertet werden. Ich finde es sehr wichtig, dass dieses Thema nicht verdrängt wird. Der Hamburger Hafen ist ein lokaler Ansatzpunkt, um über Rüstungsexporte im Gespräch zu bleiben.“ Deshalb unterstütze er die Initiative.

Pastor Störmer appelliert an die Hamburger, die bundesweite Unterschriftenaktion „Aufschrei“ zum Stopp der deutschen Rüstungsexporte zu unterstützen (www.aufschrei-waffenhan del.de). Sie steht unter der Schirmherrschaft der früheren Bischöfin Margot Käßmann. Bei einem Aktionstag am 26. Februar sollen die Unterschriften für ein Verbot von Rüstungsexporten im Grundgesetz Vertretern des Bundestags überreicht werden. Außerdem fordert er, dass der Senat endlich alle Waffenexportzahlen offenlegt. „Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Flüchtlingen, die vor dem gewaltsamen Tod in ihrer Heimat nach Hamburg fliehen, und den Waffen, die wir über den Hafen dorthin exportieren“, betont Störmer. Auf welcher rechtlichen Grundlage ein Waffen- und Munitionsexport im Hafen erwirkt werden kann, lässt der Bundestagsabgeordnete van Aken jetzt vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags prüfen.

Hauptpastor Störmer war bereits vor mehr als 30 Jahren im gewaltfreien Widerstand engagiert. Der zielte damals gegen Brokdorf, die Nutzung der Atomenergie – und die HEW. Im Rahmen eines Stromzahlungsboykotts gehörte er zu jenen Hamburgern, die zehn Prozent der Stromrechnung auf ein gesondertes Konto überwiesen. „Die Summe von 23.000 Euro haben wir jetzt sozialen Projekten zur Verfügung gestellt“, sagt Rechtsanwalt Dirk Gosau.