Eine Glosse von Alexander Schuller

Seine Freunde und Bekannten kann man sich aussuchen, seine Familie und die buckelige Verwandtschaft nicht. Leider erhält diese fürchterliche Tatsache jedes Jahr pünktlich zu Weihnachten neue Nahrung: Wenn sich Menschen um, unterm oder neben dem geschmückten Baum treffen, die sich in der übrigen Zeit des zurückliegenden Jahres weder gesehen noch miteinander geredet haben. Weil sie sich noch nie verstanden und sich auch noch nie was zu sagen hatten – vor allem nichts Nettes ...

Das ist für gewöhnlich die klassische Ausgangssituation für die zahlreichen Familiendramen, die sich jedes Jahr zwischen dem 24. und 26. Dezember unter deutschen Dächern abspielen, und die es dann manchmal sogar bis in die Schlagzeilen der Medien schaffen. Jedenfalls dann, wenn Blut geflossen ist. Aber das muss ja nicht sein. Es gibt nämlich einfache Verhaltensregeln, die an diesem unheimlichen Familienfeiertag zuverlässig dafür sorgen, dass nur die Kerzen brennen, und nicht die Luft.

Versuchen Sie daher in den notgedrungen aufgezwungenen Gesprächsrunden auf alle Themen zu verzichten, die in irgendeiner Weise Politik und/oder Religion und Beruf berühren. Oder Veganismus. Kritisieren Sie keine anwesenden sowie nicht-anwesenden Personen. Sprechen Sie auch niemals über Personen, die alle Anwesenden kennen oder zu kennen glauben (Sehen Sie mal: Da geht es nämlich schon los!), treten Sie ja keine Ehe- oder Partnerschaftsprobleme innerhalb der Familie breit, verzichten Sie auf weitschweifige Schilderungen von Urlaubsreisen und, ganz wichtig: Vermeiden Sie den ganzen Heiligen Abend das Thema Geld.

Stattdessen erzeugen Sie ganz souverän einen imaginären Teppich der Harmonie, indem Sie bewusst und ausschließlich übers Wetter reden. Und ansonsten essen Sie einfach so viel und so lange Sie können. Ja, stopfen Sie alles einfach in sich rein. Denn mit vollem Mund redet man nicht. Wer schweigend kaut, läuft nicht Gefahr, was Falsches zu sagen.