Benefizveranstaltung für Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“ verzauberte 2000 Besucher im Michel. Auch Rufus Beck, die berühmte Hörbuchstimme von Harry Potter, las vor

Neustadt. Eine kleine Schwalbe setzte sich vor ihrem Abflug auf die Statue des „glücklichen Prinzen“ am Hauptplatz der Stadt. Diese kleine Schwalbe hatte den Abflug mit ihren Artgenossen in den Süden versäumt, weil sie die Bindungen und Freundschaften des Sommers nicht loslassen wollte. Gerade wollte sie es sich gemütlich machen zu Füßen der Statue des glücklichen Prinzen, da spürte sie Wassertropfen niederfallen und sah, dass es Tränen waren, die aus den Augen des glücklichen Prinzen fielen.

„Wer bist du?“, fragte die Schwalbe. „Der glückliche Prinz“, war die Antwort. „Und warum weinst du dann?“, war die Gegenfrage. Er sehe so viele Sorgen und Nöte von seinem erhöhten Platze aus, und deswegen sprach der glückliche Prinz immer wieder seine Bitte aus. „Schwalbe, kleine Schwalbe, willst du nicht eine Nacht noch bei mir bleiben und mein Botschafter sein?“ Der Vogel ließ sich überreden, blieb und brachte die kostbaren Rubine, die ihn zierten, zu den Notplätzen der Stadt, verschenkte nach und nach alles, was ihn schön und prächtig aussehen ließ, bis er kahl, leer und unansehnlich wie ein Bettler war und die Schwalbe tot von der Winterkälte und verbraucht durch das Verschenken aller Schätze vor ihm lag. Am Ende des Märchens schickte Gott seine Engel aus, um das Kostbarste, was diese Erde hat, den Himmel, zu holen. Es waren das bleierne Herz des glücklichen Prinzen und der tote Vogel.

„Der glückliche Prinz“ heißt dieses Märchen von Oscar Wilde, das wie kein zweites zu diesem Abend im Michel passt. Es geht um Liebe und Mitgefühl – das Glück des Gebens. Um Mitmenschlichkeit. Darum, zusammenzurücken, um zu helfen. Denn genau das ist die Idee der Abendblatt-Veranstaltung der Redaktion Von Mensch zu Mensch und dem Verein „Kinder helfen Kindern“, die am vergangenen Sonnabend zum 22. Mal in der Hauptkirche St. Michaelis gefeiert wurde.

Es ist ein Fest des Gebens. Einerseits. Denn mit den Einnahmen der mit 2000 Besuchern ausverkauften Veranstaltung im Michel werden zwei Projekte in Hamburg unterstützt. Dazu gehören die „Hamburger Märchentage“, eines der erfolgreichsten Leseförderungsprojekte der Stadt. Zum anderen sollen mit dem Erlös die Dollen Deerns unterstützt werden, ein Verein, der Mädchen aus sozial schwachen Familien fördert.

Es ist ein Fest des Nehmens. Andererseits. Denn für viele Besucher schafft diese stimmungsvolle Mischung aus Märchen und Musik den schönsten Moment im Jahr. „Es ist unser Highlight“, sagt Besucherin Petra Federsen. „Jetzt beginnt für uns die Weihnachtszeit.“ Hauptpastor Alexander Röder spricht von einem „märchenhaften Abend zum Hören und Staunen“. Und Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst Deutsch Theaters und zum 19. Mal dabei, sagt: „Märchen machen uns deutlich, dass die Welt voller Wunder ist. Eines davon ist dieser Abend.“

Es ist ein Fest des Lichts in dieser dunklen Jahreszeit. 1000 Kerzen erstrahlen an der gewaltigen Nordmanntanne vor dem Altar. Darüber leuchtet der Stern von Bethlehem. Inmitten des Kirchenschiffs hängt der riesige Adventskranz, geschmückt mit 24 Kerzen – 20 roten und vier weißen. Als wäre das allein des Zaubers nicht genug, ziehen die Lucia-Sängerinnen aus Lettland mit ihrer Königin in die Kirche ein. Sieben strahlend schöne Frauen in langen weißen Kleidern, jede von ihnen hält eine Kerze in der Hand. Vorneweg schreitet Lucia, die Lichterkönigin, auf ihrem Haupt ein Kranz geschmückt mit Kerzen. Ihre reinen, glockenhellen Stimmen erfüllen den Kirchenraum. Begleitet werden die Sängerinnen von dem lettischen Cantus-Mädchenchor, das sind 33 Mädchen im Alter von zehn bis 18 Jahren, die nicht nur singen, sondern auch für Stimmung sorgen.

Es ist ein Fest der Werte, die am besten Märchen vermitteln können. Und diejenigen, die sie an diesem Abend vortragen, sind Meister des Erzählens. Wobei Lachen und Weinen nah beieinanderliegen. Hauptpastor Röder sorgt mit der „Weihnachtsbaumnostalgie“ für die lustigste Geschichte des Abends, und das schalkhafte Grinsen verrät schon beim ersten Satz, dass den Zuhörer Köstliches erwartet.

Es ist ein Fest der Rituale. Und so ist es nur folgerichtig, dass die Lucias aus Lettland ihr Kerzenlied „Mirdz sveciītes“ genauso erklingen lassen wie „Santa Lucia“ und „Ave Maria“. Dass der Cantus-Chor „Lasst uns froh und munter sein“ schmettert und den „Weihnachtszug“ durch den Altarraum fahren lässt. Und dass diejenigen vorlesen, die seit Jahren dabei sind, wie Schauspieler und Regisseur Eberhard Möbius, der „Das Weihnachtsgeschenk des kleinen Engels“ vorträgt.

Es ist auch ein Fest der Überraschungen. Dazu gehört Can Acikgöz, 13 Jahre alt und Gewinner des Vorlesewettbewerbs im Hamburger Süden, genauso wie Schauspieler Rufus Beck, die deutsche Hörbuchstimme von Harry Potter. Er liest, wie alle anderen auch ehrenamtlich, aus „Der kleine Nick“.

Beck passt in diese Veranstaltung auch, weil er ein besonderes Verhältnis zu Märchen hat. Er hat ein Buch geschrieben. Es heißt: „Kinder lieben Märchen – und entdecken Werte“.

Werte wie die in dem Märchen „Der glückliche Prinz“, vorgelesen von Isabella Vértes-Schütter. „Es ist mein Lieblingsmärchen. Weil es vermittelt: Guckt hin, wo Not ist, egal, was es kostet.“ Und die Menschen an diesem Abend tun genau das. „Wir können so aus den Erlösen Projekte fördern, die unsere Hilfe sehr benötigen“, sagt Sabine Tesche, Leiterin des Ressorts Von Mensch zu Mensch, die mit Vivian Hecker, Leiterin Marketing und Events, die Veranstaltung organisiert hat.

Es sind 100 glanzvolle Minuten. Und manchem Besucher fällt – wie Oscar Wildes Prinzen – die eine oder andere Träne aus dem Auge. Am Ende des Abends bleibt die Botschaft dieses Märchens hängen: dass die Erde kostbar wird durch Menschen, die loslassen und verschenken.