Um die zunehmende Spaltung der Gesellschaft sorgt sich fast jeder Hamburger. Unabhängig vom Geschlecht, Alter oder Einkommen sind fast alle gleichermaßen der Meinung, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Und sie haben recht!

Denn fast überall auf der Welt wächst die Kluft zwischen Wohlhabenden und Mittellosen immer weiter. So ist das Vermögen der drei reichsten Menschen der Welt – Bill Gates aus den USA, der mexikanische Telekommunikationsunternehmer Carlos Slim sowie der amerikanische Investmentbanker Warren Buffett – größer als das Bruttoinlandsprodukt der 57 ärmsten Nationen unseres Planeten. Somit besitzen drei Menschen mehr als 57 Länder in einem Jahr produzieren! In Europa hat sich nicht nur die Anzahl der Millionäre in den vergangenen drei Jahren um 19 Prozent erhöht, auch besitzen mittlerweile fünf Prozent der europäischen Bevölkerung ebenso viele Immobilien wie die restlichen 95 Prozent.

In Deutschland ist insbesondere die Entwicklung von Gehältern besorgniserregend. So haben sich die Einkommen (inflationsbereinigt) von Universitätsabsolventen in den letzten drei Jahrzehnten um knapp 22 Prozent erhöht. Im gleichen Zeitraum stiegen die Löhne bei Ungelernten hingegen um weniger als ein Prozent.

Wie sieht es in Hamburg aus? Bei uns zeigt sich die Spaltung beispielsweise am Jahresdurchschnittseinkommen in den verschiedenen Stadtteilen. So ist dieses in Nienstedten (etwa 170.000 Euro) rund elfmal höher als auf der Veddel (etwa 15.000 Euro). Und zu Recht gilt die Hansestadt auch als die Stadt der Millionäre: Gemessen an der Einwohnerzahl ist die Millionärsdichte nirgendwo auf der Welt höher: über 42.000 Hamburger sind Millionäre und knapp 1000 verdienen pro Jahr mehr als eine Million Euro. Gleichzeitig liegt jedoch die Armutsgefährdungsquote in der Hansestadt bei fast 18 Prozent und damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt (15,2 Prozent). Als arm gilt, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss – sprich mit weniger als 1800 Euro brutto monatlich. Besonders betroffen sind hiervon Rentner, Alleinerziehende und formal niedrig Gebildete.

Was sind die Gründe für diese fast schon dramatische Entwicklung?

Zum einen ist die Anzahl von Teilzeitkräften deutlich gestiegen. So hat sich seit der Wiedervereinigung die Quote von Teilzeitarbeitsplätzen verdoppelt – auf fast zehn Millionen. Immer mehr Unternehmen bieten ihren Arbeitnehmern schlechter bezahlte Teilzeitarbeitsplätze oder Minijobs an. Dagegen hat sich die Anzahl von Vollzeitarbeitskräften – vor allem im Gastgewerbe, Einzelhandel sowie im Gesundheits- und Sozialwesen – um fast 2,5 Millionen reduziert. Zum anderen nehmen die Arbeitsstunden von Geringverdienern immer weiter ab: vor zwei Jahrzehnten wurde noch über 1000 Jahresarbeitsstunden lang Geld verdient, heute sind es nicht einmal mehr 900 Stunden. Zum Vergleich: die Anzahl von Arbeitsstunden der Besserverdienenden ist mit 2250 Stunden zweieinhalbmal so hoch.

Wie kann dieser Entwicklung begegnet werden?

Bill Gates und Warren Buffett haben mittlerweile rund 100 weitere US-Milliardäre von ihrer Initiative „Das Spenden-Versprechen“ überzeugt und diese verpflichtet, wenigstens die Hälfte ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden. Die Europäische Union hat 2010 einen „Europäischen Sozialfond“ mit 76 Milliarden Euro für sechs Jahre aufgelegt, der Projekte unterstützt, welche Wege aus der Armut fördern. Beide Ansätze sind ebenso löblich wie sinnvoll.

Und in Deutschland?

Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) ergaben, dass die insgesamt gute Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt nicht allen Bevölkerungsgruppen zugute kommt und dass sich die Armut und soziale Ungleichheit in keinem anderen Industrieland so schnell vergrößert wie in der Bundesrepublik. Mittelfristig wird diese zunehmende Ungleichheit die Wirtschaftskraft Deutschlands schwächen, der soziale Zusammenhalt wird in Gefahr geraten, und sogar politische Instabilität ist möglich. Der erste Ansatzpunkt, dieses zu verhindern und der Spaltung zu begegnen, müssen daher deutlich mehr Investitionen in Bildung und Weiterbildung sein. Diese beginnen bei der frühkindlichen Bildung und gehen über die richtige Verteilung von Personal- und Sachmitteln in Grund- und weiterführenden Schulen bis hin zur Hochschulbildung und der lebenslangen beruflichen Weiterbildung. Politiker und Wirtschaftsvertreter müssen ebenso wie jeder einzelne Bürger erkennen und bereit sein, finanzielle und auch persönliche Beiträge zu leisten, um eine Veränderung zu ermöglichen. Hierzu gibt es keine Alternative.

Die BAT-Stiftung für Zukunftsfragen veröffentlicht an dieser Stelle jede Woche exklusiv Ergebnisse ihrer Repräsentativbefragungen für das Hamburger Abendblatt. Hierfür wurden jeweils 1000 Hamburger und 2000 Deutsche ab 14 Jahren befragt. Der Wissenschaftliche Leiter der Stiftung – Professor Dr. Ulrich Reinhardt – interpretiert die Ergebnisse.