Juan Francisco Cuello Santacreu und Isaac Rafael Bañuls Llacer waren noch nie in Hamburg. Die Krise in ihrer Heimat führt die Spanier hierher. Sie treffen auf eine zuweilen ziemlich fremde Kultur.

Flughafen Hamburg, Terminal 1, Sonntag, 30. September 2013, 22.40 Uhr. Die Maschine aus Palma de Mallorca ist gerade gelandet. Und Frank Körbelin sagt: „Ich kann mir deren Namen nicht merken.“ Zur Sicherheit hat er sich die Namen der beiden Männer, auf die er wartet, ausgedruckt: Juan Francisco Cuello Santacreu, 32, und Isaac Rafael Bañuls Llacer, 29. Körbelin liest die Namen ab, stottert, schüttelt den Kopf.

Gleich wird hier ein Arbeitsverhältnis beginnen: Frank Körbelin, der Chef einer Hamburger Bauklempnerei. Und die beiden Spanier, die ihre Heimat Valencia verlassen und über Mallorca nach Hamburg fliegen. Sie kommen aus Verzweiflung: In Spanien gibt es keine Jobs für die beiden Klempner, jeder dritte Spanier ist arbeitslos. Seit 2008 sind mehr als 400.000 Spanier aus wirtschaftlichen Gründen ausgewandert.

Körbelin hat Verstärkung mitgebracht: eine Mitarbeiterin, die Spanisch spricht. Und ein Schild mit dem Namen von Körbelins Firma hochhält: „Auf der Hart“.

Plötzlich sprintet Körbelin los. „Da ist einer!“, ruft er. Er hat Isaac entdeckt, ein Foto von ihm hat der Firmenchef dabei. Und wirklich: Isaac Rafael Bañuls Llacer trottet in die Empfangshalle. Auf einem Gepäckwagen hat er drei Koffer. Erst jetzt fällt Körbelin auf, dass sein zweiter Mitarbeiter direkt neben Isaac steht: Juan Francisco Cuello Santacreu, Gepäckwagen, drei Koffer, er sieht ziemlich mitgenommen aus. Dies war sein erster Flug. Er war auch noch nie im Ausland. Beide Spanier tragen T-Shirts, zu Hause in Valencia war es heute 30 Grad heiß, in Hamburg sind es gerade neun Grad. Deshalb haben sie auch dicke Jacken dabei.

Frank Körbelin schüttelt den beiden die Hand, stellt sich vor. Und dann holt der deutsche Chef eine Checkliste heraus. „Suche einer kleinen Wohnung“. Körbelin hat einen Haken daneben gemacht, die Aufgabe ist erledigt. Er hat sein Kürzel daneben notiert: „FK“. Für die Anmeldung beim Einwohnermeldeamt braucht er die Personalausweise. Körbelin hat wieder zwei Buchstaben notiert. „SM – das sind Sie“, sagt er. SM – spanische Mitarbeiter. Die beiden Spanier verstehen kein Wort. Körbelin sagt, dass seine Mitarbeiterin Bankkonten eröffnen und die Anmeldung bei den Behörden erledigen wird. „Versuchen Sie erst gar nicht, dass alleine zu machen. Sie werden scheitern.“ Die Spanier nicken. Dann nimmt er sie mit zu seinem Auto. Sein erster Eindruck: „Sehr gut. Ich bin überzeugt davon, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben.“ Die beiden Spanier trotten hinter dem Deutschen her. „Das hier ist schon ein bisschen komisch“, sagt Juan auf Spanisch.

Zwei Tage später. Eine Nacht haben die beiden Spanier im Hotel übernachtet, am Vortag sind sie in ihre Zwei-Zimmer-Wohnung in Wilhelmsburg eingezogen. Wobei „einziehen“ der falsche Begriff ist. Sie haben ihre Koffer abgestellt und auf einer Matratze geschlafen. Heute ist der erste Tag auf der Baustelle. Um 7 Uhr sollten Juan und Isaac ihren Dienst in Neumühlen antreten. Hier baut die Firma „Auf der Hart“ auf der Großbaustelle „Elbdeck“ mit. 100 Wohnungen sollen hier entstehen. Die Firma verlegt Wasserrohre, Feuerlöschrohre, Abwasserrohre und baut die Bäder. Die beiden Spanier wollten mit dem HVV kommen, sie mussten mehrmals umsteigen. Der letzte Bus fuhr in die falsche Richtung. Sie mussten ein Taxi nehmen. Es ist 7.30 Uhr, als Juan und Isaac ziemlich zerknirscht auf der Baustelle vorstellig werden.

Juan soll heute bei der Rohmontage mitmachen, Isaac bei der Endmontage. Beide bekommen im Baucontainer der Firma einen Helm, Arbeitsschuhe, Arbeitsjacke. Dann geht es los.

Juan steht in einer Wohnung im vierten Stock. Sein neuer Kollege Tim Langenhop zeigt ihm die Ausführungszeichnung: Es ist zu sehen, wo die Badewanne stehen wird, der Heizkörper und das Waschbecken. „Jeder, der einen handwerklichen Beruf gelernt hat, kann diese Zeichnungen lesen“, sagt Langenhop. Juan nickt etwas unsicher. Er hat keine Berufsausbildung, sondern den Job einfach gemacht und so erlernt. Damals, als Klempner in Spanien noch gebraucht wurden. Nils Wickborn ist der zweite deutsche Kollege, mit dem der Spanier heute zusammenarbeitet. „Du kannst ja mal die Gewindestifte reinmachen“, sagt Wickborn. Juan versteht ihn erst, als ihm der Kollege die Gewindestifte vor die Nase hält. Dann lernt er, was ein „Unterputzkasten“ ist: ein Kasten, an den später das Klo montiert wird. Er hält eine Holzplatte fest, die seine Kollegen in die Wand schrauben. Als er selbst eine Platte mit dem Akkuschrauber anbringen soll, rutscht ihm der Schrauber immer wieder ab. „Alles okay“, sagt Langenhop.

Juan ist peinlich berührt. Es ist alles so fremd hier. Ein deutscher Klempner in Spanien hat Juan vor seiner Abreise noch ein paar Dinge beigebracht: Was „Grad“, und „Zoll“ bedeuten und was eine Trinkwasserleitung von einer Löschwasserleitung oder einer Heizungswasserleitung unterscheidet. Aber jetzt sieht Juan, dass die Deutschen anders arbeiten: In Spanien werden die Ziegelsteine aufgeschlitzt, die Leitungen werden eingelassen, danach werden die Steine wieder verputzt. In Deutschland werden vor die Steine Metallständer gebaut, die Leitungen kommen in den Zwischenraum, vor die Ständer kommen Rigipsplatten.

Gut, dass um 9.30 Uhr Pause ist. Im Bauwagen trifft Juan auf Isaac, die beiden packen Käse und Salami aus. Die Lebensmittel haben sie aus Spanien mitgebracht. Um sie herum sitzen die anderen Kollegen,. „Das Wort ,Scheiße‘ kennt ihr schon, oder?“, fragt einer. „Scheise“, sagt Isaac, alle lachen.

Zwischen ihnen sitzt der Kollege Jens Michelsen und erkundigt sich: Habt ihr eine HVV-Monatskarte? Ein Bankkonto? Wisst ihr, wie ihr nach Hause kommt? Die Antwort lautet: nein. Michelsen will den beiden helfen. Er sagt, dass Frank Körbelin vor drei Wochen gesagt hätte, dass da zwei Spanier auf die Baustelle kommen und dass die Kollegen sich ein wenig kümmern sollen. „Jaja, der Chef hat schon eine soziale Ader“, sagt Michelsen. Er nimmt Isaac mit in eine Wohnung im dritten Stock. Isaac will unbedingt ein WC-Becken einbauen, Michelsen lässt ihn. Vorher gibt er dem Spanier noch Arbeitshandschuhe. „Man sieht die fast bei allen Gewerken“, sagt er. Was „Gewerke“ sind, weiß Isaac nicht. Wohl aber, dass er die Handschuhe unpraktisch findet. Aber er fügt sich. Er nimmt Maß, sägt Rohre zurecht, passt den schweren WC-Kasten an der Wand an. „Ganz in Ruhe. Setz dich nicht unter Druck“, mahnt Michelsen. Aber Isaac hört ihn nicht. Er schraubt wie besessen an dem Klo herum, bis es in der Wand ist. „Super! Dein erstes WC in Deutschland“, sagt Michelsen. Dass Isaac den ganzen hellen Fußboden mit Sägespänen besudelt hat, sagt er nicht. Für alle Fälle zieht er die Schrauben später auch noch nach. Sicher ist sicher.

Später an diesem ersten Arbeitstag nimmt er die beiden Spanier mit aufs Dach. Dort kann man den Hafen sehen und die Schiffe. „Ozean?“, will Isaac wissen. Nein, die Elbe. „Hamburg ist groß“, sagt Juan leise. „Viel zu groß.“

Freitag, der fünfte Tag in Hamburg. Isaac nennt seine neue Nachbarschaft „die Bronx“. Die Zwei-Zimmer-Wohnung der Spanier befindet sich in Wilhelmsburg. Der Putz blättert von der Außenfassade. Aus Misstrauen hatte Isaac an den ersten Tagen sein gesamtes Erspartes immer bei sich. Juan sagt, dass er die Gegend gar nicht so schlecht finde. Hier leben viele Ausländer. Er brauche sich mit seinem dürftigen Deutsch nicht zu schämen.

Die Wohnung ist in Ordnung: Zwei Zimmer, Küche Bad, alles renoviert. Aus den Decken schauen Kabel raus. Lampen gibt es nicht, auch keine Vorhänge, keinen Duschvorhang. Am ersten Tag hatten sie noch keinen Strom. Im Wörterbuch Deutsch-Spanisch haben sie nachgeschaut. Jetzt wissen sie, was „Kerzen“ sind.

Die beiden sitzen am Küchentisch. Und sprechen über die letzten Tage zu Hause in Spanien. Juan war mit seinen Freunden noch mal essen, in der Disco. Der Flug nach Hamburg war eine Zäsur für ihn. Juan steht unter Druck, das merkt man. Vielleicht ist es auch seine Familie, die von ihm erwartet, dass er es hier schafft. Telefoniert hat er mit seinen Eltern noch nicht. Er hat ihnen nach drei Tagen eine Kurznachricht geschickt: „Ich komme gerade von der Arbeit. Das Handy funktioniert hier nicht so gut. Wir haben kein Internet in der Wohnung, aber wir werden bald einen Anschluss bekommen. Alles gut.“

Isaacs Mutter hat am letzten Abend eine Paella für die Familie und die Freunde gemacht. Er vermisst seine Freundin. „Er ist ständig mit seinem Handy zugange“, bemerkt sein Mitbewohner Juan. Isaac ist angetan von Deutschland: Die Kollegen seien sehr nett, sagt er. Diese hätten sich sogar mit ihnen in den Bus gesetzt, damit sie nicht wieder in die falsche Richtung fahren. So etwas kennt Isaac aus Spanien nicht. Da gebe es mehr Konkurrenz unter den Arbeitern. Und Bäder werden in Spanien genau so eingebaut wie in Deutschland. „Sie gehen hier nur vorsichtiger mit dem Material um.“

Juan sagt, die Deutschen seien viel perfektionistischer.

Das größte Problem ist die Sprache: Juan und Isaac wollen einen Sprachkurs machen. Am besten für sie wäre ein Sprach-Tandem: Sie bringen ihren Partnern Spanisch bei – im Gegenzug lernen sie Deutsch. Doch so etwas gibt es in Hamburg nur für Studenten, haben sie im Internet gesehen. Juan hat sich ein Kinderbuch gekauft, im Buchladen gegenüber: „Pitje Puck, der Held des Tages“. Darin geht es um den Briefträger Pitje, Hund Schlappohr und Bäcker Windbeutel. Juan dachte, dass er das Kinder-Deutsch besser verstehen kann. Er sagt, dass er sich getäuscht hat.

In Juans Zimmer liegen die Koffer geöffnet auf dem Boden. Dicke Pullis, Jacken, eine Wollmütze sind zu sehen. Und jede Menge Medikamente gegen Grippe und Erkältung. Hier liegen auch ein Bett und ein Schrank – in Einzelteilen. Juan hatte noch keine Zeit zum Aufbauen. In Isaacs Zimmer sieht es geordneter aus. Er hat die Koffer erst gar nicht geöffnet. Auf dem Fensterbrett steht eine Postkarte von Valencia.

„Hamburgs neue Gastarbeiter“ ist eine Serie in loser Reihenfolge. Das Abendblatt wird die beiden Spanier in den kommenden Monaten weiter begleiten.